Tausende Bischöfe zogen in Prozession in die Zukunft ihrer Kirche

Konzilseröffnung vor 60 Jahren: Erhebend – pompös – erfreulich?

Veröffentlicht am 11.10.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Mit Kardinälen voll besetztes Kirchenschiff
Bild: © KNA

Bonn ‐ Die Beisetzung der englischen Königin zeigte neulich erneut die Bildmacht großer Zeremonien. Auch der Einzug tausender Bischöfe ins Zweite Vatikanische Konzil vor 60 Jahren war ein monumentales Ereignis. Doch nicht jedem gefiel es.

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"Gaudet Mater Ecclesia" – es freut sich die Mutter Kirche. So überschrieb Papst Johannes XXIII. (1958-1963) seine große Rede zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils am 11. Oktober 1962, vor 60 Jahren. Es hatte kurz zuvor geregnet; der Boden auf dem Petersplatz war noch nass. Doch dann hatte Petrus ein Einsehen und zog den Vorhang auf für jene Bilder, die in die Geschichtsbücher der Kirche eingehen sollten: Mehr als 2.500 Bischöfe im Ornat zogen in Sechserreihen als Prozession in den Petersdom ein. Am Ende der Papst selbst, erhöht im traditionellen Tragesessel.

Doch nicht jedem gefiel solch südlicher Pomp eines stummen Priestertums. Der französische Dominikaner-Theologe Yves Congar etwa notierte in sein Tagebuch: "Die Liturgische Bewegung ist in der römischen Kurie noch nicht angekommen. Diese riesige Versammlung sagt kein Wort, singt keine Strophe." So verhagelt war ihm die Stimmung durch diesen "feudalen und renaissancehaften" Apparat, dass er seinen Platz in der Konzilsaula noch vor der Rede des Papstes verließ. Congar fühlte sich zurückversetzt in eine Zeit, in der "die Päpste und Bischöfe Herren waren, die Hof hielten". Alledem habe "die Kirche in Rom nie abgeschworen".

Mancher Kirchenfürst fühlte sich buchstäblich zurückgesetzt

Allerdings war das Ganze gut organisiert ... Aus den Priesterseminaren hatte man sogenannte assignatores locorum – Platzanweiser – rekrutiert, die die Konzilsväter zu ihrem Pult brachten. Dabei fühlte sich mancher Kirchenfürst nach seiner gefühlten Bedeutung buchstäblich zurückgesetzt, wie sich der damalige "Assignator" und Religionssoziologe Maurilio Guasco später süffisant erinnerte. Der ein oder andere habe "umgehend Gerechtigkeit gefordert, ohne das Paradies abzuwarten, in dem die Hierarchien keine Gültigkeit mehr haben und die Letzten die Ersten sein werden".

Einer von ihnen war der melkitische Patriarch Maximos IV., der damals wohl prominenteste katholische Kirchenführer aus dem Orient. Er schwänzte sogar die gesamte Eröffnungsfeier, weil er mit der rangmäßigen Platzierung der ostkirchlichen Patriarchen hinter den Kardinälen nicht einverstanden war.

Teilnehmer des Zweiten Vatikanischen Konzils lauschen einer der Reden.
Bild: ©KNA

Teilnehmer des Zweiten Vatikanischen Konzils im Petersdom.

Die traditionelle Anrufung des Schöpfergeistes – "Veni creator spiritus" – eröffnete nach dem einstündigen Einzug eine mehrstündige Liturgie. Den Abschluss machte Johannes XXIII. mit seiner Rede. Über Wochen hatte er sie mit eigener Hand verfasst, ja gebacken, wie er später berichtete: "mit Mehl aus dem eigenen Sack". Nichts Vorgestanztes, Wiedergekäutes. Er gab dem Konzil auch kein Programm vor, erst recht keinen Katalog zum Abhaken. Der Papst skizzierte eine Vision, was für eine Kirche aus einer Versammlung von Bischöfen in freier Beratung werden könnte.

Der fast 81-Jährige verzichtete auf eine alterspessimistische Sicht auf die Gegenwart, und auch darauf, das Goldene Zeitalter der Kirche in einer Vergangenheit auszumachen, die es zu restaurieren gelte. Sein vielzitierter Satz: "Wir müssen diesen Unglückspropheten widersprechen"; jenen, die immer nur Schlimmes voraussagen, als ob der Untergang der Welt unmittelbar bevorstünde.

Die Worte des Papstes gaben den Konzilsvätern Mut und Selbstvertrauen

Stattdessen entfaltete Johannes XXIII. seine Idee vom "Aggiornamento", der Verheutigung der kirchlichen Botschaft. Nicht in ihren Inhalten; am Evangelium und der lebendigen Tradition duldet er nicht die geringste Abschwächung oder Verfälschung. Aber nach "der literarischen Formulierung des modernen Lebens" – und vor allem in ihrer pastoralen Ausrichtung. Dabei, so der Papst, gelte es, in schwieriger weltpolitischer Lage schlüssig nachzuweisen, dass die Lehre auch heute noch gültig sei; mit Verurteilungen sei nichts gewonnen: "Heutzutage sieht es die Braut Christi vor, eher das Heilmittel der Barmherzigkeit zu gebrauchen als das der Strenge." Es brauche "einen Sprung nach vorn", der "einem vertieften Glaubensverständnis und der Gewissensbildung zugute" komme.

Schon sehr bald sollte sich zeigen, dass die Worte des Papstes den Konzilsvätern Mut und Selbstvertrauen gegeben hatten. Am Folgetag, dem ersten Arbeitstag, lehnten sie die von den vatikanischen Behörden vorbereiteten Personallisten für die Besetzung der Arbeitskommissionen komplett ab, um sich selbst erst kennenzulernen und dann eigene Listen aufzustellen. Das Konzil war erwacht – und der Petersdom wurde in den kommenden drei Jahren keine Echokammer römischer Verlautbarungen.

Von Alexander Brüggemann (KNA)

Aus dem Konzilstagebuch des Befreiungstheologen Dom Helder Camara

Aus dem Konzilstagebuch des Befreiungstheologen Dom Helder Camara (1909-1999), damals Weihbischof in Rio de Janeiro, 3. November 1962:

"Ich komme soeben zurück vom Pontifikalamt (...) in Ehrung des Papstes, der den vierten Jahrestag seiner Krönung begeht. Ich war offenen Herzens hingegangen, denn Johannes XXIII. ist ein Mensch, den die Vorsehung gesandt hat. Doch dann ging ich betrübt wieder nach Hause, so wie nach dem Pontifikalamt bei der Eröffnung. (...) Auf die nichtkatholischen Beobachter ist die Wirkung (...) äußerst negativ: ein Exzess an Pomp und keine gemeinschaftliche Liturgie. Es bedrückt mich sehr zu sehen, wie das Volk – einschließlich der von weither angereisten Pilger – draußen auf dem Petersplatz bleiben müssen: Es gehen die Bischöfe rein, und die Tore schließen sich.

(...) Die drei päpstlichen Wächter in schwerer Uniform - lächerlich, etwa, wenn sie sich beim Segen niederknien mit dem rechten Knie, während sie mit der linken Hand salutieren, weil sie mit der rechten die Lanze halten müssen. (...) Dann kommt der Papst auf seinem Thronsessel, von vier Männern auf den Schultern getragen, mit einer dreifachen Krone auf dem Kopf und einer perfekten Renaissance-Szenerie drumherum. Niemand sagte etwas, niemand sang (...).

Alles stand im krassen Gegensatz zu den Worten des Papstes, der vom "Diener der Diener" sprach, vom guten Hirten und von Bescheidenheit und Demut. Ich spüre da die Zwangsveranstaltung heraus, von der er sich noch nicht befreien kann. (...) Und ich träume von dem Tag, da der Stellvertreter Christi frei sein kann von allem Prunk und Gepränge, über das die Snobs und die Edlen sich freuen, was jedoch für die Kleinen und die Nichtglaubenden ein Ärgernis ist."