Verschleppt, versklavt, verkauft
Mädchen seien als Sklavinnen geboren und bereits im Alter von neun oder zehn Jahren "reif genug", um sie zu verkaufen, fügt er hinzu. "Sklaverei ist in meiner Religion erlaubt, und ich werde weiter Menschen entführen und zu Sklaven machen." Damit meint er nicht nur härteste Knochenarbeit in den Lagern der Extremisten, sondern auch regelmäßigen sexuellen Missbrauch.
Es sei nicht das erste Mal, dass die Boko Haram junge Frauen kidnappe - jedoch seien es noch nie so viele gewesen, sagt die Vorsitzende der nigerianischen Frauenvereinigung FIDA, Ladi Madaki. Jene, die eine Entführung überlebt haben, berichten von Horror-Erlebnissen.
Eine Studie der schottischen St. Andrews Universität berichtet vom Fall einer 19-Jährigen, die drei Monate lang in der Gewalt der Extremisten war. "Sie wurde gezwungen, für 14 Männer zu kochen und zu putzen, zum Islam zu konvertieren und Regierungssoldaten anzulocken, denen dann von der Boko Haram die Kehle aufgeschlitzt wurde." Im August 2013 berichtete eine Studentin in Nordnigeria von einer Boko-Haram-Attacke auf die Schlafsäle der Universität Maiduguri. Alle Männer wurden ermordet und die Frauen in Musliminnen und Christinnen aufgeteilt. Anschließend vergewaltigten die Angreifer die christlichen Hochschülerinnen systematisch.
"Wartet nur ab, was mit Euren eigenen Frauen passieren wird"
Experten zufolge hat die Boko Haram, die seit 2002 das westafrikanische Land terrorisiert und im muslimisch geprägten Norden einen Gottesstaat errichten will, erst im vergangenen Jahr ihre Taktik geändert. Entführungen waren bis dahin eher selten. "Dass jetzt Frauen verschleppt werden, ist eine direkte Reaktion auf eine ähnliche Taktik der nigerianischen Regierung", heißt es in der St.-Andrews-Studie.
Ein nigerianischer Junge läuft an einem ausgebrannten Auto in Maiduguri vorbei, wo sich Militär und die Islamistengruppe Boko Haram im Sommer 2009 heftige Kämpfe lieferten.
Die Behörden in Abuja hatten 2012 zahlreiche Ehefrauen von Boko-Haram-Mitgliedern inhaftiert, darunter auch von Shekau selbst. In einer Videobotschaft warnte der Sektenchef kurz darauf: "Ihr habt unsere Frauen gefangen genommen. Jetzt wartet nur ab, was mit Euren eigenen Frauen passieren wird." In der Folgezeit wurden immer häufiger unschuldige Bürgerinnen entführt, um die Boko-Haram-Frauen freizupressen. Jedoch ist es kein Zufall, dass es sich bei den Opfern meist um Christinnen handelt, die so zusätzlich für ihre Religion "bestraft" werden sollen.
Derweil wächst die Kritik an Präsident Goodluck Jonathan, der trotz blutiger Anschläge und Entführungen weiter Wahlkampf für das kommende Jahr betreibt. Erst drei Wochen nachdem die Mädchen verschleppt worden waren, äußerte er sich am Sonntag erstmals öffentlich zu dem Fall. Kleinlaut musste er da zugeben, dass seine Streitkräfte trotz fieberhafter Suche keine Spur gefunden haben. "Wo auch immer die Mädchen sind, wir werden sie da rausholen", versprach er. Glauben will ihm niemand mehr.
Onlinepetition fordert: "Bring back our girls"
Deshalb nehmen aufgebrachte Bürger die Sache seit Tagen selbst in die Hand, marschieren durch Nigeria und machen ihrem Ärger Luft. "Unsere Mädchen sind keine Sexmaschinen!", heißt es auf Schildern. "Bring back our girls" ("Bringt unsere Mädchen zurück") lautet der Slogan, der auf einer Onlinepetition der 23-jährigen Nigerianerin Ify Elueze beruht. Die in Deutschland lebende Studentin mobilisierte innerhalb weniger Tage weltweit mehr als 245.000 Menschen - darunter auch zahlreiche Prominente.
"Wir fordern den nigerianischen Präsidenten Goodluck Jonathan auf sicherzustellen, dass alle Schulen ein sicherer Ort des Lernens sind, geschützt vor Attacken", sagt Elueze. Denn auch jegliche Bildung für Frauen will Abubakar Shekau verbieten. Nicht zufällig wurden die Jugendlichen in Chibok in einer Schule gekidnappt. "Ihr habt wohl vergessen, dass ich gesagt habe, dass es nicht nur um die Mädchen geht, sondern dass ich gegen jede Art von westlicher Bildung bin", erklärt er in seinem Video. "Ich wiederhole es noch einmal: Mädchen sollten einfach nur heiraten."
Ein Kommentator aus der Metropole Lagos brachte es im Internet in einem offenen Brief an Präsident Jonathan auf den Punkt: "Wir befinden uns im Belagerungszustand und sind auf dem Weg hin zu einem Krieg. Deshalb lautet meine Bitte nicht nur, die Mädchen zurückzubringen, sondern sie LEBEND zurückzubringen."
Von Carola Frentzen (dpa)
