Maischbergers Abendmahl

Wer nicht hören kann, der muss den Zuschauer fühlen lassen. Danach hört die Dame in der grünen Lederjacke nämlich nicht mehr auf: Vom Christentum als Märchenreligion erzählt sie, von einem blutrünstigen Gott und vom langen Arm des Joseph Ratzinger, der angeblich ein WDR-Video mit ihren Aussagen zu Jungfrauengeburt manipulierte. Alles klar? Macht nichts, es geht an diesem Abend bei Sandra Maischberger ja bloß um Religion, und die ist, wie mehrfach behauptet wird, das Gegenteil von Vernunft und Verstand.
Noch ist man nett zueinander
Nahezu die gesamte erste Dreiviertelstunde zuvor füllt ein Gespräch mit Nora Illi. Vollverschleiert im Nikab sitzt die junge Schweizerin da. Mit 18 hat sie sich für den Islam entschieden. Am Islam liebe sie, dass er ihr gesamtes Leben bestimme, sagt sie. Die Christen könnten ihre Religion so leicht wegschieben. Fotos aus ihrem Alltag hat die Redaktion vorbereitet, der Zuschauer erkennt einen bärtigen Mann an Illis Seite, er sieht so aus, wie einer diesen Männer, die vor einigen Monaten in Fußgängerzonen kostenlose Korane verteilten. Doch Maischberger fragt erst einmal nicht nach, denn noch ist man nett zueinander: Sophia Kuby, Vertreterin der papstverehrenden "Generation Benedikt", sagt, sie fühle sich eigentlich dem Islam sehr nahe, denn auch im Christentum bestimme die Religion den Alltag.
Norbert Blüm sitzt in der Runde, weil Sandra Maischberger glaubt, er sei beinahe Priester geworden. Außerdem hat er gerade für den Papstverlag Herder ein Buch geschrieben, was ihn wiederum mit Frank Elstner verbindet, der dort gerade seine Memoiren veröffentlicht hat. "Wetten Spaß" heißen sie, darin geht es deutlich weniger um Jesus als in den Papstbüchern, aber für eine Einladung zu einer öffentlich-rechtlichen Talkshow reicht es, auf einer erzbischöflichen Schule gewesen zu sein.
Die Lizenz zum Reden
Elstner bekundet der jungen Muslima seinen Respekt. Karin Duve kann ihren Atheismus zwar nicht mit einem Buch beglaubigen. Sie hat jedoch übers Taxifahren und über fleischloses Essen geschrieben. Und da man offenkundig auch in der großen ARD nicht weiß, ob Jesus Vegetarier war, genügt das als Lizenz zum Reden.
Nur mal angenommen, dies wäre eine Runde zum Thema Essen gewesen, dann wäre die Rollenverteilung wie folgt: Norbert Blüm verteidigt die katholische Hausmannskost, Frank Elstner findet, eine Spur Safran müsse schon drin sein. Uta Ranke-Heinemann behauptet, der Papst habe ihre Suppe vergiftet. Sophia Kuby erbittet dagegen auch beim Magerjoghurt zwischendurch den päpstlichen Segen. Nora Illi verspeist ausschließlich Exotisches im Dunkeln, und Karin Duve schiebt all das, was auf den Tellern der anderen liegt, beleidigt beiseite.
Doch bei einer Runde zum Thema Essen würde man zumindest eine Diplomökotrophologin und einen Sternekoch einladen. Zum Thema Religion reichen Hobbybrutzler. Theologen oder Religionswissensschaftler, Leute, die etwas wissen, und nicht nur fühlen, gelten als Langweiler bei Tisch. Bei Gott muss es krachen, die Tischgesellschaft muss sich gründlich bekleckern, sonst schmeckt es dem Zuschauer nicht. Das ist das Talkshow-Dogma der befleckten Empfängnis.
Sex und Salafismus
Normalerweise fallen deshalb in Gesprächsrunden dieser Art drei oder vier über einen her, dieser eine bekleckerte ist Katholik, heißt entweder Matthias Matussek oder Manfred Lütz und klotzt zurück. Die Rolle des reinen Vermittlers wird gern mit Vertretern der EKD besetzt. Diesmal aber bleibt der Wolfgang-Huber-Nikolaus-Schneider-Stuhl leer. Uta Ranke-Heinemann, immerhin Tochter eines prominenten Protestanten, fehlt das Versöhnen-statt-spalten-Gen. Wild fuchtelt sie mit der Gabel umher. Doch die eine, auf die alle zielen, ist nicht die betagte Katholiken, sondern die junge Muslimin. Als sie Verständnis für die Vielehe bekundet, spuckt Karin Duve bestürzt das Wort Salafismus aus, Frank Elstner entzieht Illi den Respekt, Norbert Blüm bereitet der Monogamie ein Dinner for two und Sophia Kuby würzt das Ganze mit der Erkenntnis, dass Christen den besseren Sex haben.
Sex und Salafismus, das sind die wichtigsten Ingredienzien von Maischbergers Abendmahl. Ach, möge doch einer mal nur mit Wasser kochen, wünscht sich der Zuschauer, dem der Mund vom Ungenießbaren brennt. Möge doch einer da sitzen, der als Gegenwert für die monatliche GEZ-Kollekte erklärt, was es mit Jesus und Allah auf sich hat, was Salafismus ist und was Atheismus von Agnostizismus unterscheidet. "Lassen Sie uns doch wieder vom lieben Gott reden", fleht Norbert Blüm. Er bleibt unerhört.
Spiritueller Speiseplan
Der liebe Gott? Kürzlich förderte eine Allensbachumfrage zutage, dass immer mehr Deutsche an immer mehr Götter glauben. Außerdem stehen Engel und Seelenwanderung deutlich häufiger auf dem spirituellen Speiseplan als vor zwanzig Jahren. Maischberger hätte aus Gründen des Proporzes in Uta Ranke-Heinemanns Ohrstöpsel Erzengelsstimmen legen und Frank Elstner auf die Rolle des Seelenwanderkartenmalers einschwören sollen. Dann wäre es wenigstens ein lustiger Abend geworden. So aber gab es fürs Gebührengeld nichts zu lachen. Wer glaubt wird unselig, wer nicht glaubt, auch. Diese bittere Erkenntnis sättigt nicht. Man hat sie bloß satt.
Von Christiane Florin