Bulgarien und Rumänien stehen vor einer Abwanderungswelle von Fachkräften

Neuer Aderlass?

Veröffentlicht am 06.01.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Migration

Bukarest/Sofia ‐ Geboten wird ein Bruttolohn von 7.000 bis 7.800 Euro pro Monat. Soviel verdient ein Durchschnitts-Rumäne nicht einmal im Jahr. Zur Bewerbung genüge ein rumänisch geschriebener Lebenslauf, heißt es in einem von mehr als 2.000 neuen Stellenangeboten aus Deutschland auf der einschlägigen rumänischen Internetseite "tjobs.ro".

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Der Arbeitgeber preist sich selbst geradezu an: Es lockt "ein berühmtes Analysezentrum in einer der deutschen Großstädte", das unter anderem Blutgefäßerkrankungen behandelt.

Nach dem Wegfall der letzten Arbeitsschranken für Rumänen und Bulgaren zum 1. Januar dürfte als erstes gut ausgebildetes Personal aus diesen Ländern abwandern - es droht in beiden Ländern ein "Brain-Drain", der schmerzhafte Verlust von Fachkräften. Deutschland und Großbritannien suchen händeringend Ärzte und Pfleger, aber auch Informatiker und Handwerker.

Die meisten Stellenangebote auf "tjobs.ro" kommen aus dem Gesundheitssektor - so dass sich Rumänien und Bulgarien wohl noch stärker als bisher um ihre Krankenversorgung Sorgen machen sollten. Allein aus Rumänien sind in den letzten zehn Jahren nach Angaben der Bukarester Ärztekammer bereits 20.000 Mediziner ausgewandert - auf der Flucht vor Hungerlöhnen. Der Aderlass ist dramatisch spürbar.

Keine Reisewelle nach Westen

In Rumänien mag niemand die Zahl der Auswanderungswilligen beziffern - Umfragen sprechen von etwa drei Vierteln der Menschen. In Bulgarien rechnet das Forschungsinstitut Alpha Research mit etwa 200.000 Arbeitsmigranten.

Helmut Breker kommt als Arzt im Ruhestand jeden Donnerstag in die Kölner Praxis der "Malteser Migranten Medizin", um dort ehrenamtlich Menschen zu helfen, die vom sozialen Netz sonst nicht aufgefangen werden.
Bild: ©KNA

Helmut Breker kommt als Arzt im Ruhestand jeden Donnerstag in die Kölner Praxis der "Malteser Migranten Medizin", um dort ehrenamtlich Menschen zu helfen, die vom sozialen Netz sonst nicht aufgefangen werden.

Aus Großbritannien landeten zu Jahresbeginn gleich rund 4.700 Stellenangebote bei "tjobs.ro". Auf die "Horden" vom Balkan, die Londoner Politiker im Geiste anrücken sahen, warteten britische Reporter am Neujahrstag am Londoner Flughafen Heathrow aber vergeblich. Zwar kennen fast alle Bulgaren den bitteren Scherz, wonach es zwei Auswege aus der Misere gebe: "Terminal 1 und Terminal 2 am Flughafen Sofia". Dennoch blieb hier eine Reise-Welle nach Westen aus.

Die bereits seit Monaten dauernden britischen Debatten hatte Rumäniens Regierung noch vor dem Jahreswechsel zu beschwichtigen versucht. Ministerpräsident Victor Ponta betonte, das Gros der auswanderungswilligen Rumänen habe das Land längst verlassen. In der Tat leben und arbeiten Schätzungen zufolge etwa drei Millionen Rumänen im Ausland - die meisten davon in Spanien und Italien.

"Unbegründete Hysterie"

Aus Bulgarien meldete sich dazu Außenminister Kristian Wigenin vor Weihnachten zu Wort: "Es kam zu einer unbegründeten Hysterie, und die Bulgaren sowie Rumänen wurden zum leichtesten Opfer dieser Kampagne", sagte er. Die in Deutschland laufende Kontroverse wurde hingegen in Bukarest und Sofia vorerst kaum wahrgenommen.

Bereits seit dem Jahr 2001 dürfen Rumänen und Bulgaren visumfrei in die Schengen-Zone einreisen. Seither ist die legale und illegale Arbeitsmigration explosionsartig gestiegen. Die Folge: In vielen Dörfern sind schmucke Einfamilienhäuser entstanden, finanziert vom Geld, das Migranten nach Hause schicken. Zugleich gibt es ein neues Problem: Zehntausende Kinder leben, teils traumatisiert, in Heimen, bei Verwandten oder Nachbarn, weil die Eltern im Ausland arbeiten.

Eine Minderheit unter diesen Migranten waren bisher schlecht ausgebildete Menschen, darunter auch Roma, auf der Suche nach einem besseren Leben im Westen. Einige von ihnen wurden dabei kriminell und sorgten für Schlagzeilen. Dass dies dem Image aller Rumänen und Bulgaren schade, ist in beiden Ländern eine seit dem Fall des Kommunismus 1989 andauernde, meist rassistisch gefärbte Klage.

Von Elena Lalowa und Kathrin Lauer (dpa)

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