Prozess könnte Vorbildcharakter für weitere Schmerzensgeldklagen haben

Erzbistum Köln muss 300.000 Euro an Missbrauchsbetroffenen zahlen

Veröffentlicht am 13.06.2023 um 15:04 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Ein Missbrauchsbetroffener hatte 725.000 Euro Schmerzensgeld sowie 80.000 Euro für mögliche künftige Schäden verlangt: Jetzt muss das Erzbistum Köln nach Gerichtsentscheid 300.000 Euro an ihn zahlen. Der Prozess könnte Vorbildcharakter haben.

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Das Erzbistum Köln soll einem Missbrauchsbetroffenen 300.000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Darauf angerechnet werden bereits von der Kirche an das Opfer ausbezahlte 25.000 Euro in Anerkennung des Leids, wie das Landgericht Köln am Dienstag entschied. Der 64-jährige Georg Menne hatte von der Diözese 725.000 Euro Schmerzensgeld sowie 80.000 Euro für mögliche künftige Schäden verlangt. Auf einen von Richter Stephan Singbartl angeregten Vergleich konnten sich die beiden Seiten nicht einigen.

Klägeranwalt Eberhard Luetjohann ließ nach der Entscheidung offen, ob er in Berufung geht. Menne selbst wollte sich zunächst nicht äußern.

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki begrüßte das Urteil. "Ich bin froh und dankbar, dass das Gericht mit seiner Entscheidung zur Klarheit in diesem Fall beigetragen hat". Das Erzbistum ergänzte, es übernehme für das erlittene Unrecht und Leid der Betroffenen institutionelle Mitverantwortung. Im konkreten Fall habe Woelki daher darauf verzichtet, eine Verjährung zu beanspruchen. Auch der Vortrag des Klägers sei nicht bestritten worden. In der Verhandlung hatte der Anwalt des Erzbistums betont, in keinem vergleichbaren Fall sei ein mittlerer sechsstelliger Betrag gezahlt worden.

Mehr als 320 Mal von Priester missbraucht

Der Sprecher der Betroffenengruppe "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, nannte die Entscheidung ein wichtiges Signal für Tausende ähnlich gelagerte Fälle in Deutschland. Es gebe nun erstmals ein Urteil eines deutschen Gerichts, das einem Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs durch einen Priester der katholischen Kirche eine Entschädigung in Form eines Schmerzensgelds zuspreche. Die Kirche habe seit mehr als einem Jahrzehnt die Opfer hingehalten und mit symbolischen Zahlungen ruhiggestellt. Nun müsse sie angemessene Entschädigungen zahlen, so Katsch.

Kardinal Rainer Maria Woelki während eines morgendlichen Gottesdienstes im Dom zu Fulda
Bild: ©picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki begrüßte das Urteil.

Menne soll in den 1970er Jahren mehr als 320 Mal von einem Priester missbraucht worden sein. Vorwürfe gegen den Geistlichen wurden dem Erzbistum 1980 sowie 2010 bekannt – er konnte dennoch viele Jahre weiter als Seelsorger arbeiten. Der Betroffene wirft der Erzdiözese daher Amtspflichtverletzung durch Unterlassen vor.

DBK-Generalsekretärin verteidigt kirchliches Verfahren

Die Deutsche Bischofskonferenz erklärte am Dienstagabend, das Urteil unterstreiche, dass sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen ein schreckliches Verbrechen sei. Zugleich verteidigte Generalsekretärin Beate Gilles das kirchliche Verfahren zur Anerkennung des Leids von Missbrauchsbetroffenen. Die freiwilligen finanziellen Leistungen seien für jene gedacht, die vor staatlichen Gerichten keine Ansprüche durchsetzen wollen oder können. Ausgangspunkt für die Zuerkennung von Leistungen sei, dass die Schilderungen der Betroffenen plausibel seien – ohne weitere Beweislast für sie. Die Leistungshöhe orientiere sich am oberen Bereich der durch staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder, teils auch im sechsstelligen Bereich. Teil des Verfahrens sei auch, dass allen Betroffenen der Rechtsweg offen bleibe.

Missbrauchsbetroffene in der katholischen Kirche erhalten von Bistümern und Orden in der Regel Zahlungen in Anerkennung ihres Leids. In dem kircheninternen System reicht es für gewöhnlich aus, wenn Betroffene den Missbrauch und die dadurch entstandenen Schäden in einem Antrag plausibel darlegen. Vor einem staatlichen Gericht dagegen müssen sie ihre Entschädigungsansprüche im Zweifel beweisen. Im konkreten Fall hat das Erzbistum den Sachverhalt als unstreitig anerkannt.

Über die Höhe der Kirchenzahlungen entscheidet seit 2021 die unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA). Nach ihren Angaben orientiert sich die Leistungshöhe "am oberen Bereich der durch staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder". In den ersten zwei Jahren erhielten Betroffene im Mittel rund 22.000 Euro pro Antrag. In etwa acht Prozent der Fälle wurden laut UKA aber mehr als 50.000 Euro gezahlt, mitunter auch mehr als 100.000 Euro. (KNA)

13.6., 15:50 Uhr: Ergänzt um weitere Details. 18:30 Uhr: Ergänzt um Stellungnahmen von Woelki und DBK.