Enge und Hilfsbereitschaft

Was sie auf dem 110 Meter langen Schiff erwartet? "Wir wissen es nicht", sagt eine 32-Jährige aus Aleppo in Syrien. Fast zwei Monate hat die Herrichtung des aus Rotterdam geholten Schiffes gedauert, und noch immer arbeiten Elektriker an Bord und verlegen Leitungen. Darum kann zunächst nur eines der drei Decks belegt werden. Es gibt Einzel- und Doppelkabinen, gemeinschaftliche Küchen, Wasch- und Gruppenräume. Durchgangstüren ermöglichen Familien die gemeinsame Nutzung mehrerer Kabinen. Unter den ersten Bewohnern, die meisten im Alter zwischen 25 und 35 Jahren, sind aber noch keine Kinder.
Angst vor Regierung, Rebellen und dem IS
Die 32-Jährige war in Aleppo Englischlehrerin. Nach ihrer Ankunft in Hamburg hat sie zwei andere junge Syrerinnen aus Damaskus kennengelernt. Eine von ihnen ist Juristin, die andere eine Mutter, die ihre beiden Kinder bei den Großeltern in Damaskus zurückgelassen hat.
Warum sie ihr Land verlassen haben? "Mein Land ist wirklich schön", sagt die 32-Jährige. "Aber es ist nicht mehr sicher dort." Sie ist Christin und fürchtet sowohl die syrische Regierung als auch Rebellengruppen bis hin zur Terrormiliz IS. Jetzt hat sie nur einen Wunsch: Arbeiten. "Wenn man uns arbeiten ließe, wäre der Stress für uns alle viel geringer." Sie ahnt, was das Zusammenleben von so vielen Menschen auf engstem Raum rund um die Uhr bedeuten kann.
Das wissen in Harburg aber auch viele Anwohner und benachbarte Unternehmen. Als im Oktober vergangenen Jahres klar wurde, dass die schwimmende Unterkunft nicht zu verhindern sein würde, boten auf einer Bürgerversammlung viele spontan Hilfe an. Das berichtet Jörn Hilgert, der als bürgernaher Polizeibeamter von Anfang an dabei war.
Drei Sozialarbeiter für 216 Bewohner
Die Sparkasse habe einen Raum als Anlaufstelle zur Verfügung gestellt, pensionierte Lehrer wollten Deutschunterricht geben, andere die Flüchtlinge zu Behördengängen begleiten. Auf dem Schiff werden drei Sozialarbeiter die insgesamt 216 Bewohner betreuen.
Vor rund 25 Jahren hatte Hamburg schon einmal Flüchtlinge auf Schiffen untergebracht. Zu den Bewohnern gehörte die damals zehnjährige Zaklin Nastic, die mit ihrer Mutter aus der polnischen Stadt Gdynia kam. Sie verbrachte einige Monate auf der "Marco Polo", einem ehemaligen Kreuzfahrtschiff, und wohnte dann noch auf der "Bibi Altona" und einem weiteren Wohnschiff. Die ganz kleine Kabine auf der "Marco Polo" teilten sich Mutter und Tochter mit einem fremden Mann und einer fremden Frau. "Wenn man Bett an Bett schläft, ist das schon schwierig", sagt Nastic.
Eine Möglichkeit zum Spielen gab es nicht. Andere Kinder tobten durch die engen Gänge, aber Nastic fürchtete sich vor dem Wasser, vor allem wenn sie über die Gittertreppe an Bord ging. Winterstürme brachten das Schiff zum Schwanken, einige Bewohner übergaben sich. "Es war laut, alles klapperte. Mir hat das Angst gemacht", erinnert sie sich.
"Es gibt so viele Leerstände"
Heute engagiert sich Nastic als Politikerin für Flüchtlinge und Wohnungslose. Als stellvertretende Fraktionschefin der Linken im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel erkennt sie an, dass sich Stadt und Bürger heute sehr um die Flüchtlinge kümmern, deren Zahl bundesweit stark zugenommen hat. Aber dass die Menschen auf Schiffen untergebracht werden müssen, versteht sie nicht: "Es gibt so viele Leerstände, da kann man nicht sagen, dass Hamburg keinen Platz hat."
Von Bernhard Sprengel (dpa)