Auf den Spuren eines Heiligen
Der Weg von Turin nach Castelnuovo führt vorbei an Weinbergen, großen Einkaufszentren und vielen roten Backsteinhäusern. Die Gegend hat kaum Steinbrüche. Marmor oder Granit gibt es hier nicht. Hier im Piemont werden Kirchen, Paläste und Häuser aus Backstein gebaut. Rote Backsteinhäuser stehen auch in Castelnuovo, dem Geburtsort von Johannes Bosco.
"Die Bauernhäuser haben sich seit damals nicht verändert. Sie sehen noch genau so aus", sagt Giorgio Musso. Der 54-Jährige ist Bürgermeister von Castelnuovo. "Bis 1930 hieß der Ort Castelnuovo d'Asti, dann wurde er umbenannt in Castelnuovo Don Bosco" erklärt der Bürgermeister in seinem Amtszimmer im kleinen Rathaus des Städtchens. Ja, man sei sehr stolz auf den berühmtesten Sohn der Stadt, sagt Musso. Es ist ein Glück für die Stadt, dass Don Bosco hier geboren und aufgewachsen ist.
Der Heilige in der Eisenwarenhandlung
Fotos des Heiligen hängen hier sogar in den Schaufenstern der Eisenwarenhandlungen. "Es ist nicht einfach Tourismus. Es ist mehr. Es sind Pilger, die nach Castelnuovo kommen", sagt Bürgermeister Musso. Die Menschen besuchen die Stätten an denen Johannes Bosco geboren wurde, seine ersten Schritte machte, das Vieh hütete, die ersten Worte Latein lernte.
Becchi hieß der kleine Ort früher, der heute nur noch Colle Don Bosco genannt wird. Der kleine Berg ist die Heimat Don Boscos. Hier wurde Giovanni Bosco am 16. August 1815 geboren. Sein Geburtshaus steht nicht mehr. 1957 wurde es abgerissen. An seiner Stelle erhebt sich heute der "Tempio", eine große doppelstöckige Basilika. Auch der Tempio ist zu großen Teilen aus rotem Backstein gebaut. Das Portal mit den zwei Türmen und die Kuppel sind mit weißem Naturstein verkleidet. Ganz in honigfarbenen Holztönen ist der Innenraum der Kirche gehalten. Trotz der immensen Größe wirkt dieser Kirchenbau als wolle er seine Besucher beschützen - wie ein Schiff, wie eine Arche.
Don Egidio ist der "Rettore", der Rektor der Don-Bosco-Basilika und aller Einrichtungen auf dem Colle Don Bosco. Lächelnd sitzt Egidio Deiana in einem kleinen bescheiden eingerichteten Büro neben dem Pilgerladen. "Im Sommer ist hier viel Bewegung. Überall sind Gruppen von Jugendlichen unterwegs. Es gibt Wochen, in denen wir den Tagesablauf organisieren, in denen wir ein Programm vorbereitet haben", berichtet Don Egidio von den Tagen ohne Dauerregen und Nebel auf dem Colle.
Viele Jugendliche besuchen den Ort
"Es kommen tausende Jugendliche . Die meisten kommen aus dem Piemont, der Lombardei, aus der Emilia Romagna, aus den Gegenden, die nicht weit entfernt sind", sagt Don Egidio, der selbst von Sardinien stammt. Aber auch aus vielen anderen Ländern Europas, aus Indien und Afrika kommen Jugendliche hierher, um die Orte kennenzulernen, an denen Giovanni Bosco aufwuchs.
Wenige hundert Meter entfernt vom Tempio steht noch das Elternhaus Giovanni Boscos, in dem er nach dem frühen Tod seines Vaters in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs. Hier können die Pilger und Besucher das "Traumzimmer" sehen, in dem Giovanni im Alter von neun Jahren den Traum hatte, der ihn durch sein ganzes Leben begleitete. "Nicht mit Schlägen, sondern mit Güte werden sie zu deinen Freunden", sagte in dem Traum ein vornehmer Herr über die fluchenden Jungen, die Giovanni Bosco in seinem Traum mit Faustschlägen zum Schweigen bringen wollte. Eine leuchtende Dame zeigte ihm, dass er wilde Tiere zu sanften Lämmern machen werde. "Wenn es soweit ist, wirst Du alles verstehen", sagte sie dem Jungen im Traum. Das Haus ist heute ein kleines Museum.
In diesem Jahr, zum bevorstehenden 200. Geburtstag von Don Bosco, werden auf dem Colle hunderttausende Pilger erwartet. Wie viele genau kommen werden? "Ich kann es nicht sagen", antwortet Don Egidio auf die Frage nach den erwarteten Pilgerzahlen. Höhepunkt der Pilgerreise ist die Unterkirche des Tempio. Hier an der Stelle, an der einst das Geburtshaus von Giovanni Bosco stand, wird heute von den Pilgern eine Reliquie des Heiligen verehrt.
Ganz anders als das beschaulich ländliche Castelnouvo ist die Großstadt Turin. Die Orte an denen Don Bosco wirkte, befinden sich im Stadtteil Valdocco der wiederum zum Stadtbezirk Aurora gehört. Lebendig ist es hier, wie wohl sonst nur an wenigen Orten in Europa. Einwanderer aus Südostasien, Afrika und dem Orient leben und arbeiten hier. Alle sind in Bewegung. Jeder ist mit irgendetwas beschäftigt, handelt, telefoniert, schimpft, putzt. Stimmen sprechen und rufen in unzählig vielen Sprachen. Gleich in der Nähe, an der Porta Palazzo, ist jeden Tag Markttag. Die Verkaufsstände erstrecken sich auf fünf Hektar, einer Fläche fast siebenmal so groß wie die Grundfläche des Kölner Domes.
Die Händler und viele ihrer Kunden leben hier im Stadtbezirk Aurora. Die Häuser sind nicht prächtig, die Verhältnisse beengt. Abgewohnt sind die meisten der sechsstöckigen Mietskasernen aus dem 19. Jahrhundert. Aus den Wohnungen kommen morgens nicht nur Familien. Aus mancher Tür einer kleinen Wohnung kommen zehn oder noch mehr junge Männer. "Hier kommen die Einwanderer das erste Mal an", sagt Don Rafael Gasol. Der Salesianer aus Barcelona ist selbst erst vor kurzem in Valdocco angekommen. Der spanische Akzent ist nicht zu überhören.
Kirche wurde in nur vier Jahren gebaut
Seit Juli leitet er zusammen mit zwei Mitbrüdern die salesianischen Stätten in Turin. "Die Situation heute ist ganz ähnlich zu der Situation, wie Don Bosco sie damals hier erlebt hat. Es geht noch immer um Migration", so Don Rafael. Damals seien die Menschen vom Lande in die Stadt gekommen. Die Armut trieb sie in die Stadt auf der Suche nach Arbeit. Heute sind es Menschen aus aller Welt, die hier auf der Suche nach einem besseren Leben sind.
Die Maria-Hilf-Basilika ist die Mutterkirche der Salesianer. "Von hier wurden 1875 die ersten Missionare ausgesendet. Don Bosco selbst hat die Kirche in nur vier Jahren bauen lassen. Unglaublich, oder?" Don Rafael zeigt gerne das Juwel der Salesianer. Don Boscos Leichnam liegt hier in einem Sarkophag aus Kristallglas. Pilger legen hinter dem Altar ihre Hand im Gebet auf die Glasscheibe, die sie vom Heiligen Don Bosco trennt. "Die Kirche baute Don Bosco, als die Pinardi-Kapelle und die Kirche vom Hl. Franz von Sales zu klein geworden waren", sagt Don Rafael und führt durch die Sakristei hinaus zu den kleinen Gotteshäusern, die nur etwa zwanzig Meter entfernt sind.
Die ganze Welt zu Besuch
Gleich daneben, im zweiten Stock des angrenzenden Gebäudes, befinden sich die "Camerette", die Zimmer Don Boscos. Hier waren die Verwaltung und die Bibliothek, hier ist noch heute das Arbeitszimmer Don Boscos zu sehen und der Schreibtisch, an dem er religiöse Schriften verfasste und Briefe schrieb. In den Räumen, die heute ausschließlich als Museum dienen, sind zahlreiche Objekte aus dem Leben Don Boscos zu sehen. Seine Schreibfeder, Kelche, eine Kanzel, liturgische Gewänder und ein Schrankaltar sind nur ein Teil der Ausstellungsstücke. Auch das Zimmer, in dem Don Bosco am 31. Januar 1888 starb, ist hier zu sehen.
Bei Don Rafael klingelt unterdessen das Telefon, das er die ganze Zeit dabei hat. "Entschuldigen Sie, ich bin gerade nicht im Büro. Könnten Sie später noch einmal anrufen", sagt Don Rafael. "Es rufen pausenlos Leute aus der ganzen Welt an, um hier Zimmer zu reservieren", sagt er. Wie viele es im Jubiläumsjahr werden? "Viele. Sehr viele", sagt Don Rafael.
Von Markus Kremser