Damit jeder helfen kann

Hinzu komme die Angst, etwas falsch zu machen oder das Gefühl, andere könnten es besser, so Markus weiter. Je dichter der Verkehr, desto geringer daher die Bereitschaft, auf die Bremse zu treten und sich der unbekannten Situation zu stellen.
Übung macht den Meister, könnte man mit Blick auf die Fülle an Erste-Hilfe-Kursen sagen, die die Malteser, das Deutsche Rote Kreuz oder die Johanniter-Unfall-Hilfe bundesweit anbieten. Tatsächlich aber haben Studien bereits Ende der achtziger Jahre ergeben, dass die Hilfsbereitschaft nach einem solchen Kurs geringer war als vorher. "Das, was dort lange Zeit vermittelt wurde, war überfrachtet mit zu vielen Hintergründen, medizinischen Erläuterungen und transportierte die falschen Bilder", erklärt Markus. "Das ist eben die deutsche Genauigkeit, die alles mit Risiken und Nebenwirkungen erklären will und dabei mitunter den Nutzen aus den Augen verliert."
Die Kurse schreckten potentielle Helfer also eher ab, als dass sie sie gewannen. Anfang der neunziger Jahre wurde die Ausbildung daher reformiert, um die Handlungsbereitschaft zu verbessern. Aktuell steht wieder eine Neuerung an: Ab dem 1. April werden Erste-Hilfe-Kurse vereinfacht und die Themen auf wesentliche Inhalte reduziert. Zudem sollen Kursleiter die wichtigsten Handgriffe weitaus praxisnäher vermitteln. Der neue Einstiegskurs umfasst nur noch einen Tag, statt bisher zwei. Trotzdem sollen sich die Teilnehmer danach sicherer fühlen als bisher, da der Schwerpunkt auf Maßnahmen liegt, "die die Menschen auch wirklich durchführen können".
Reanimation als wichtigstes Thema
Schon in den vergangenen zwei Jahren ist das Thema Reanimation deutlich vereinfacht worden. Der bisherige Höhepunkt der Ausbildung, die Herz-Lungen-Wiederbelebung, überforderte die Teilnehmer in ihrer Komplexität. Pulskontrolle, Mund-zu-Mund-Beatmung, Druckpunktsuche, Zeitmessung und ungewollte Rippenbrüche - das alles war ein bisschen viel auf einmal. Die Folge: Nur in 18 Prozent der Notfälle trauen sich Laien Wiederbelebungsmaßnahmen zu, wie die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) im Jahr 2013 herausfand.
Ein Sanitäter des Malteser-Hilfsdienstes.
Das soll jetzt anders werden. Reanimation bildet künftig den Einstieg in den Kurs. "Nach zwei Stunden können Sie bereits wiederbeleben", verspricht Markus. Im Mittelpunkt stehe stärker als zuvor die Druckmassage des Herzens. 100 bis 120 Mal pro Minute soll der Brustkorb etwa fünf Zentimeter nach unten gedrückt werden. Der Bee Gees-Song "Staying alive" kann helfen, den Rhythmus zu halten. Auch die Beatmung wird weiterhin unterrichtet und der Umgang mit dem Defibrillator.
Diese Geräte, die mittlerweile an vielen öffentlichen Plätzen wie Ämtern, Bahnhöfen oder Flughäfen hängen, helfen mit Stromstößen bei Herz-Rhythmus-Störungen oder Kammerflimmern. Sie sind speziell für Laien konzipiert. Eine Lautsprecherstimme im Gerät leitet den Ersthelfer Schritt für Schritt an. "Ein Ersatz für die Wiederbelebung ist das Gerät jedoch nicht", warnt Markus. "Man sollte die Druckmassage niemals abbrechen, um es zu holen, sondern nach weiteren Helfern rufen, die das übernehmen können."
Die Erste-Hilfe-Party zu Hause
"Potentielle Helfer sind meistens in Rufweite", sagt der Malteser und räumt mit der Vorstellung der einsamen November-Landstraße auf. "Notfälle passieren selten am verwaisten Strand oder im Wald, sondern viel eher im öffentlichen Raum." Anders als häufig angenommen führen auch nicht Verkehrsunfälle die Rangliste an, sondern jene, die zu Hause und in der Freizeit passieren. "Die meisten Hilfeleistungen werden bei Menschen erforderlich, die man gut kennt", macht Markus deutlich. Das allein sollte schon Motivation genug sein, um regelmäßig Auffrischungskurse zu besuchen.
Dazu muss man nicht einmal in ein Schulungszentrum gehen. "Wer zehn Leute zusammentrommelt, kann auch mit Schnittchen und Kaffee eine Erste-Hilfe-Party zu Hause schmeißen", erklärt Markus. Dann kommen die Ausbilder der Malteser für zwei Stunden ins Haus und referieren auch über Spezialthemen, wie "Erste Hilfe am Säugling" . Verpflichtend sind Erste-Hilfe-Kurse lediglich für alle Führerscheinanwärter. Außerdem müssen Betriebe bereits ab zwei Angestellten dafür sorgen, dass Mitarbeiter als Ersthelfer ausgebildet werden. Je nach Betriebsart sind es fünf bis zehn Prozent der Belegschaft.
Müsste es mehr gesetzliche Regelungen geben? "Die Malteser setzen sich eher für Anreize ein, etwa Vergünstigungen bei Kfz-Versicherungen oder Krankenkassenbeiträgen", so Markus. Daneben bietet der Hilfsdienst Programme an Schulen an, wo ab der siebten Klasse zwei Stunden im Jahr für Wiederbelebungskurse eingeplant sind. "Wir empfehlen auch, die Erste Hilfe fächerübergreifend zum Thema zu machen", so Markus. Etwa in Biologie, wenn der Blutkreislauf erläutert wird oder in Sozialwissenschaften, wenn es um Handlungsbereitschaft geht. "Je früher wir die Kinder erreichen, desto selbstverständlicher wird Erste Hilfe im Leben für sie sein."
Von Janina Mogendorf