Standpunkt

Für eine demokratische Erneuerung der Kirche gibt es viele Gründe

Veröffentlicht am 16.05.2024 um 00:01 Uhr – Von Michael Böhnke – Lesedauer: 

Bonn ‐ Sind Kirche und Demokratie wirklich Gegensätze, fragt Michael Böhnke und kommentiert, warum es angesichts der Krisen moderner Staaten und der Kirche viele Gründe für ein vorbehaltloses Eintreten der Kirche für die liberale Demokratie gibt.

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Pfingsten feiern wir den Empfang des Heiligen Geistes als Gründungsdatum der Kirche, in der Woche danach das Grundgesetz als Gründungsurkunde der Bundesrepublik. Kirche und Staat leben von Voraussetzungen, die sie selbst nicht zu garantieren vermögen. Die Kirche vom Empfang des Heiligen Geistes, der Staat von der Akzeptanz des Grundgesetzes. Beides sind dynamische und nicht beherrschbare Größen.

Immer wieder ist zu hören, die Kirche sei keine Demokratie. Es trifft zu, dass der moderne freiheitlich demokratische Rechtsstaat ausdrücklich auf die Legitimationsressource Religion verzichtet hat. Aber muss deshalb die Kirche auf Demokratie verzichten? Sind Kirche und Demokratie wirklich Gegensätze? Ich glaube, vom Pfingstereignis her sagen zu können: Sie sind es nicht. Die Kirche kann zwar nicht auf die Legitimationsressource Religion verzichten, aber haben nicht Pfingsten alle, die Christus angehören, den gleichen Geist empfangen? Warum, so frage ich mich, kann die Verfassung der Kirche nicht vom Volk Gottes als dem Souverän der Kirche ausgehen? Das Bekenntnis zum Empfang des Heiligen Geistes wäre für mich als Legitimationsgrund zureichend.

Die erste moderne Verfassung, die nach der Französischen Revolution durch ein kontinentaleuropäisches Land beschlossen wurde, war die Verfassung der Republik Polen. Sie datiert vom 3. Mai 1791 und weist eine Besonderheit auf. Der Text nimmt die Legitimationsressource Religion ausdrücklich in Anspruch. Es heißt: "Die herrschende Nationalreligion ist und bleibt der heilige römisch-katholische Glaube mit allen seinen Rechten" und weiter: "Jede Gewalt in der menschlichen Gesellschaft entspringt aus dem Willen der Nation." Glaube und Demokratie waren 1791 nach dem Willen des polnischen Volkes miteinander vereinbar.

Johannes Paul II. initiierte Pfingsten 1979 mit der Anrufung des Heiligen Geistes und dem Aufruf zur Erneuerung des Landes die erneute Hinwendung des polnischen Volkes zur Demokratie. Er vertraute der Gegenwart des Geistes im gemeinsamen Handeln. Die polnische Verfassung von 1997 verzichtet jedoch zu Recht auf eine religiöse Legitimation. Das sich eine Verfassung gebende Volk Gottes müsste es nicht. Für eine demokratische Erneuerung der Kirche gibt es angesichts der Kirchenkrise viele gute Gründe. Gleiches gilt umgekehrt. Angesichts der Krisen moderner Staaten gibt es viele gute Gründe für ein vorbehaltloses Eintreten der Kirchen für die liberale Demokratie.

Von Michael Böhnke

Der Autor

Michael Böhnke ist Professor für systematische Theologie an der Bergischen Universität Wuppertal. Außerdem ist er Ethik-Beauftragter des Deutschen Leichtathletikverbands.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.