Theologin Polak: Bibel erzählt viel von Migranten – kaum von Helden
Für die Wiener Theologin Regina Polak erzählt die Bibel kaum Heldengeschichten, aber viel von Flucht und Vertreibung. "Viele Erzählungen, Gebete und Rechtstexte im Alten und Neuen Testament berichten von Menschen, die fliehen müssen, verfolgt sind, zu Opfern werden und dann durch die Zusage Gottes ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnen und ihr Leben in die Hand nehmen", sagte Polak am Dienstag in der Katholischen Akademie Freiburg. "Der christliche Glaube hat eine Migrations-Matrix. Zum Glauben gehört auch das Aufbrechen, das auf dem Weg sein – davon erzählt die Bibel."
Schon die biblische Schöpfungsgeschichte berichte von der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies, der danach "fremd" auf der Erde sei. Gleichzeitig geht es den biblischen Autoren laut Polak keineswegs darum, Migration und Vertreibung zu idealisieren oder zu verniedlichen. Die Theologin rief dazu auf, die Bibel unter diesem Blickwinkel neu zu lesen. Dabei ließen sich zwar keine unmittelbaren rechtlichen oder politischen Handlungsempfehlungen für die Gegenwart ableiten. "Dafür ist die historische Lücke viel zu groß. Die biblischen Erzählungen kennen keine Nationalstaaten, keine Staatsangehörigkeit, keine Pässe."
Christen könnten aber eine religiöse, migrantische "Wahrnehmungsperspektive" in die aktuellen Debatten um Migration und Asyl einbringen, sagte Polak. Beispielsweise seien viele biblische Geschichten von der Gewissheit getragen, dass die Erde keinem Menschen gehöre, sondern "Fremde" und "Ansässige" gleiche Besitzansprüche haben. Lange Namenslisten im Alten Testament seien Ausdruck der Überzeugung, dass jeder Mensch einen Namen, ein Gesicht und eine Geschichte hat. "Das war eine Revolution. Und insofern ist es nicht biblisch, heute von anonymen Migrantenströmen oder Migrantenfluten zu sprechen." (KNA)