Stefan Heße über sein Amt als Erzbischof von Hamburg

"Mittendrin im Leben"

Veröffentlicht am 17.06.2015 um 00:01 Uhr – Von Sophia Michalzik – Lesedauer: 
Erzbischof Stefan Heße im Gespräch mit einem Mann
Bild: © KNA
Erzbistum Hamburg

Bonn ‐ Am Sonntag ist Stefan Heße seit 100 Tagen Erzbischof von Hamburg. Im Interview mit katholisch.de berichtet er von seinem neuen Leben an der Waterkant, das auch von Herausforderungen geprägt ist: Immerhin stehen in seinem Erzbistum auch strukturelle Veränderungen an.

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Frage: Herr Erzbischof, Sie sind seit 100 Tagen Erzbischof der flächenmäßig größten Diözese Deutschland. Wie ist Ihr Leben an der Waterkant?

Erzbischof Heße: Ich bin dabei mich einzuleben. Bisher gefällt mir mein Leben hier sehr gut, weil Hamburg eine tolle Stadt und eine Riesenmetropole ist. Neben der Stadt umfasst das Erzbistum aber auch Schleswig-Holstein und den mecklenburgischen Teil von Mecklenburg-Vorpommern. Über Fläche kann ich mich also nicht beklagen. Ich bin viel unterwegs und es gibt viel zu tun.

Frage: Sie kommen aus dem Rheinland, einer Region mit sehr extrovertierten Menschen. Die Norddeutschen gelten hingegen als reservierter. Wie ist Ihr Eindruck von Ihren Gläubigen?

Heße: Wir haben hier eine Kirche, die aus rund 170 Nationen besteht. Es ist also eine sehr bunte Gruppe hier oben im Norden. Von extrovertiert oder introvertiert kann man hier nicht sprechen. Wenn ich herumkomme, erlebe ich die Gemeinden immer als sehr herzlich und aufgeschlossen. Über eine vermeintlich nordische Kühle kann ich mich also nicht beklagen, weil ich sie gar nicht erlebe.

Frage: Wie war denn die Umstellung für Sie von einer sehr katholischen Region in die Diaspora zu wechseln?

Heße: Die Umstellung ist noch nicht abgeschlossen – ich bin noch mitten drin. 100 Tage im Amt sind nicht viel. Wenn ich gesund bleibe, kann ich 27 Jahre Erzbischof von Hamburg sein. In diesen 100 Tagen das ganze Erzbistum schon kennengelernt zu haben, ist also übertrieben. Ich bin viel unterwegs und lerne viel kennen. Die Begegnungen mit den Gemeinden sind sehr herzlich, die Begegnungen mit der Politik sehr respektvoll, ebenso die mit anderen Religionen. Ich glaube nicht, dass wir als Katholiken einen Minderwertigkeitskomplex haben müssen: Wir dürfen selbstbewusst katholische Kirche in der Diaspora sein. Man akzeptiert uns und wartet auf unseren Beitrag – auch im ökumenischen Miteinander.

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Frage: Papst Franziskus fordert dazu auf, an den Rand der Gesellschaft zu gehen. Wenn Sie aus dem Mariendom treten, erleben Sie diesen Rand. Wie gehen Sie damit um?

Heße: Der Mariendom liegt im Stadtteil St. Georg. Das Viertel hat sich stark gewandelt und es gibt Straßen, die sehr "in" sind. Es gibt aber auch Prostitution und Drogenkriminalität. Das macht uns zu schaffen, ebenso wie die Flüchtlingsproblematik. Wir sind hier als Kirche am Mariendom mitten unter den Menschen, mittendrin im Leben wie es nun mal ist.

Frage: Das Erzbistum Hamburg ist fünfmal größer als das Erzbistum Köln. In einem Strukturprozess soll die Zahl der Pfarreien reduziert werden. Wie steht es um das Projekt?

Heße: Ich habe das Projekt von meinem Vorgänger, dem emeritierten Erzbischof Werner Thissen, übernommen. Der Weg ist unumkehrbar und auch der einzig sinnvolle. Die pastorale Raumgestaltung ist ein Organisationsprozess. Aber davon darf man nicht erwarten, dass er automatisch das christliche Leben in diese sogenannten pastoralen Räume bringt. In den zukünftig etwa 30 Pfarreien kommt es also darauf an, an den einzelnen Kirchorten das christliche Leben zu entfalten. Das kann durch die Gemeinden geschehen oder durch eine Caritas-Einrichtung wie Seniorenheime oder ein Krankenhaus. Dazu gehören auch unsere Schulen, für die ich sehr dankbar bin. All das sind Orte kirchlichen Lebens. Die Herausforderung liegt darin, diese Orte in ein Netzwerk innerhalb der pastoralen Räume zu integrieren.

Frage: Gibt es einen zeitlichen Horizont?

Heße: Von 30 pastoralen Räumen haben wir drei errichtet. Bevor so eine Pfarrei errichtet wird, braucht es einen dreijährigen Vorbereitungsprozess. Diese Phase ist nicht zu unterschätzen: Wenn die Vorbereitung nicht gut läuft, steht auch das Projekt hinterher auf wackligen Füßen. Wir müssen davon ausgehen, dass das Projekt erst 2020 abgeschlossen wird.

„Ich wünsche mir, dass die Menschen vor Ort noch aktiver werden. Warum gelingt es nicht, dass in unseren Kirchen jeden Tag ein Gottesdienst stattfindet?“

—  Zitat: - Erzbischof Stefan Heße

Frage: Es gibt immer wieder Kritik an größeren Pfarreiverbünden. Für Priester bedeuten sie eine große Verantwortung, für die Gläubigen weniger Nähe zu ihrer Pfarrei. Wie sehen Sie das?

Heße: Es ist wichtig, dass diese Spannungen zwischen dem, was vor Ort ist, und was an größeren Orten geschieht, austariert werden. Ich wünsche mir, dass die Menschen vor Ort noch aktiver werden. Warum gelingt es nicht, dass in unseren Kirchen jeden Tag ein Gottesdienst stattfindet? Das wäre etwas, was eine lebendige Gemeinde auszeichnen könnte und sollte. Ich denke dabei nicht nur an die Eucharistiefeier, sondern habe auch verschiedene andere Formen von Gottesdiensten vor Augen: Warum nicht jeden Tag ein Morgengebet? Oder Rosenkranzandachten, Taizégebete und Schriftbetrachtungen? Unsere Kirchen müssen als Orte des Gebets gepflegt werden und offen für die Menschen sein. Die Gemeinde darf nicht nur für sich da sein, sondern muss hinausgehen und das Leben in einer Stadt oder in einem Ort befruchten. Sie muss Salz der Erde und Licht der Welt sein.

Frage: Sie sehen die Verantwortung also nicht nur bei den Priestern, sondern auch bei den Gläubigen?

Heße: Ich halte den Priester für eine katholische Gemeinde für unverzichtbar. Der Priester ist aber auch nicht alles. Das Zweite Vatikanische Konzil betont das Priestertum aller Gläubigen. Das verwirklicht sich in erster Linie im Lob Gottes. Da können die Leute ganz einfach aktiv werden.

Frage: Was ist für Sie die derzeit größte Herausforderung in Ihrem Bistum?

Heße: Nach meinem Eindruck ist die Kommunikation ein wichtiges Thema. Wie kann die in dieser großen Diözese gelingen? Wenn in Köln ein Priester drei oder vier Kilometer zum Gottesdienst fahren muss, ist das unter Umständen schon weit. Hier sind das ganz andere Dimensionen. Ich denke da nicht nur an moderne Kommunikationsmittel, sondern an die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht.

„Mir ist der Dialog miteinander wichtig, weil wir in einer so pluralen und säkularisierten Stadt gemeinsam auftreten und der Botschaft Jesu Christi zur Stimme verhelfen müssen.“

—  Zitat: - Erzbischof Stefan Heße

Frage: Sie stehen auch im Dialog mit anderen Konfessionen. Wie steht es um die Ökumene im Erzbistum?

Heße: Ich habe eine Reihe von ökumenischen Gottesdiensten mitgefeiert. Das ist hier sehr anerkannt und einfach selbstverständlich. Bei meiner Weihe waren auch Bischöfin Kirsten Fehrs und Landesbischof Gerhard Ulrich dabei. Auch die anderen Bischöfe der evangelischen Nordkirche habe ich inzwischen kennengelernt. In diesen Tagen feiern wir außerdem das Fest der Lübecker Märtyrer. Das waren drei katholische Kapläne und ein evangelischer Pastor. Die Überlieferungen berichten, dass ihr Blut, nachdem sie mit dem Fallbeil von den Nazis getötet wurden, ineinander floss. Das ist für mich ein sehr bewegendes Zeichen. Ich bin gespannt, wie der ökumenische Dialog hier weitergeht. Mir ist der Dialog miteinander wichtig, weil wir in einer so pluralen und säkularisierten Stadt gemeinsam auftreten und der Botschaft Jesu Christi zur Stimme verhelfen müssen.

Frage: Gemeinsam mit den evangelischen Christen und weiteren Konfessionen und Religionen läuft derzeit die Volksinitiative für einen Gottesbezug in der Landesverfassung von Schleswig-Holstein. Die Initiative könnte sich durchsetzen. Wie wichtig ist Ihnen ein solcher Gottesbezug?

Heße: Ich bin dankbar, dass sich so viele engagiert haben und wir in so kurzer Zeit so viele Unterschriften bekommen haben. Das ist ein deutliches Zeichen an die Politik. Es wäre großartig, wenn es uns gelingen würde, den Gottesbezug in die Landesverfassung einzupflegen. Dadurch wird deutlich, dass wir unser Leben jemand anderem verdanken und auch auf jemand anderen hin verantwortlich führen sollten. Das ist entlastend und für uns Menschen grundsätzlich befreiend.

Frage: Sie sind  - anders als Erzbischof Thissen – bekennender Nicht-Fußballfan. Mit welchem Hobby füllen Sie stattdessen Ihre Freizeit?

Heße: (lacht) Ich habe durchaus mit Erzbischof Thissen oder auch meinem Fahrer mitgelitten, als der HSV vor einigen Wochen um den Klassenerhalt kämpfte. Das hat mich schon berührt, wie die Menschen da mitfiebern. Ich genieße im Moment das schöne Erzbistum, besonders zu dieser Jahreszeit. In der Natur zu sein und zu wandern ist für mich ein wichtiger Ausgleich. In Hamburg bin ich auch häufiger mit dem Fahrrad unterwegs. Außerdem lese ich gerne. Und ich bin dankbar, dass ich auch in den ersten Monaten immer wieder Zeit gefunden habe, auch einmal etwas Theologisches zu lesen. Das war nicht dienstlich angesetzt, sondern bringt mich auch auf neue Gedanken.

Linktipp: Aufgaben für einen Brückenbauer

Papst Franziskus hat entschieden: Der bisherige Kölner Generalvikar Stefan Heße wechselt aus dem mitgliederstärksten Bistum Deutschlands in die flächenmäßig größte der deutschen Diözesen. Am Tag seiner Ernennung erklärte der künftige Erzbischof von Hamburg: "Da werden sich andere und neue Aufgaben für mich stellen." In der Diaspora wird der gebürtige Kölner vor allem Brücken bauen müssen: Zwischen Konfessionen, Religionen und Kulturen.

Das Erzbistum Hamburg

Das 1995 gegründete Erzbistum Hamburg ist die jüngste und die flächenmäßig größte katholische Diözese in Deutschland. Sie umfasst Hamburg, Schleswig-Holstein und den Landesteil Mecklenburg. Hier leben gut 397.000 Katholiken, die mit einem Anteil von rund 7 Prozent eine kleine Minderheit in der Bevölkerung bilden. Nur 4 der 27 deutschen Bistümer zählen weniger Katholiken. Dennoch hat sich die Zahl der Katholiken im Nordbistum wegen Zuzügen gegen den Bundestrend erhöht. Erzbischof ist Stefan Heße.
Von Sophia Michalzik