Beat Föllmi hat Präsenz von Religion in deutschen Vorabendkrimis analysiert

Theologe: Viele TV-Krimis vermitteln völlig falsches Bild von Religion

Veröffentlicht am 11.03.2025 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Straßburg ‐ Ob "Hubert und Staller", "WaPo Bodensee" oder "Großstadtrevier": Im Vorabendprogramm von ARD und ZDF wimmelt es seit Jahren von Krimiserien. Welche Rolle spielen Glaube und Religion darin? Und wie werden Priester und Gläubige dort dargestellt? Diesen Fragen ist der Theologe Beat Föllmi nachgegangen.

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Welche Bedeutung haben Glaube und Religion in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft? Und wie werden sie öffentlich dargestellt? Diesen Fragen ist der im französischen Straßburg lehrende evangelische Theologe und Musikwissenschaftler Beat Föllmi am Beispiel deutscher Vorabendkrimis nachgegangen. Der Schweizer Wissenschaftler hat fast 900 Folgen von beliebten Fernsehserien wie "Hubert und Staller", "WaPo Bodensee" oder "Großstadtrevier" angeschaut und auf ihre Darstellung von religiösen Riten und Menschen hin untersucht. Im Interview spricht er über die Ergebnisse seiner Studie.

Frage: Herr Föllmi, wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Präsenz von Religion ausgerechnet in deutschen Vorabendkrimis zu untersuchen?

Föllmi: In meiner Forschung beschäftige ich mich ganz generell mit der Frage, wie Religion in der heutigen Gesellschaft wahrgenommen wird. Und da ich von Haus aus Theologe und Musikwissenschaftler bin, interessiert mich vor allem die Präsenz von Religion in der Kunst – und damit auch in Medien wie dem Fernsehen. Dass ich mir in diesem Kontext speziell die Vorabendkrimis genauer angeschaut habe, hatte zwei Gründe: Zum einen geht es in Krimis in der Regel um Themen wie Tod, Schuld und Sühne und damit durchaus um theologische Fragen. Und zum anderen, das will ich zugeben, schaue ich diese Art von Krimis auch privat sehr gerne.

Frage: Allerdings haben Sie sich ja nicht mit – möglicherweise eher abstrakt aufgeworfenen – theologischen Fragen in den Krimis beschäftigt, sondern konkret mit der Darstellung von religiösen Menschen und Riten. Warum das?

Föllmi: Weil ich wissen wollte, ob und wie Religion in dieser Art von Filmen dargestellt wird. Ich fand das deshalb spannend, weil Religion in Krimis in der Regel nicht das Hauptthema ist, sondern – wenn überhaupt – eher beiläufig vorkommt. Und genau da wollte ich einhaken und gucken, wie realistisch religiöse Rituale und Menschen in diesen Filmen gezeigt werden.

Frage: Wenn ich richtig gelesen habe, haben Sie im Zuge Ihrer Untersuchung 890 Folgen von 12 Krimiserien geguckt. Das klingt nach extremem Binge-Watching ...

Föllmi: Ja, das war schon eine arbeitsintensive Zeit (lacht). Wenn man Filme ernsthaft analysieren will, muss man sie aber natürlich aufmerksam und vor allem auch vollständig anschauen. Außerdem muss man immer wieder unterbrechen, um sich Notizen machen zu können oder Dialoge zu transkribieren. Aber das gehört nun mal zum wissenschaftlichen Arbeiten dazu; für die Analyse von Oratorien habe ich auch schon mal tagelang nur Musik gehört. Ein bisschen hat mir geholfen, dass das Projekt teilweise noch in die Zeit der Corona-Pandemie gefallen ist, in der wir alle ja ohnehin mehr zu Hause und mehr vor dem Bildschirm saßen.

„Die meisten Drehbuchautoren scheinen davon überzeugt zu sein, dass eine Szenerie in Bayern nur dann vollständig ist, wenn irgendwann mal ein Kirchturm zu sehen ist, ein Pfarrer durchs Bild läuft oder eine Bäuerin im Herrgottswinkel sitzt.“

—  Zitat: Beat Föllmi

Frage: Blicken wir auf die Ergebnisse Ihrer Untersuchung: Können Sie zunächst einmal sagen, wie oft Religion in Vorabendkrimis überhaupt vorkommt?

Föllmi: Das hängt ganz wesentlich davon ab, wo die Serien spielen. Grob gesagt kommt Religion eher in Krimis vor, die im ländlichen Bayern spielen, als bei solchen, die in Großstädten wie Hamburg oder Köln angesiedelt sind. Die meisten Drehbuchautoren scheinen davon überzeugt zu sein, dass eine Szenerie in Bayern nur dann vollständig ist, wenn irgendwann mal ein Kirchturm zu sehen ist, ein Pfarrer durchs Bild läuft oder eine Bäuerin im Herrgottswinkel sitzt. Sie können daran schon erkennen, dass Religion in Krimis eher folkloristisch und klischeebeladen dargestellt wird.

Frage: Mein Eindruck ist, dass in Fernsehfilmen fast nur katholische Pfarrer dargestellt werden – evangelische dagegen kaum. Stimmt das?

Föllmi: Das stimmt durchaus und hat seinen Grund sicher vor allem in der Optik. Katholische Pfarrer kann man – jedenfalls wenn man eher klischeehaft denkt – sehr einfach darstellen: mit schwarzem Anzug und Kollarhemd. Manche tragen zudem noch ein Birett, obwohl das in der Realität überhaupt nicht vorkommt. Auch daran kann man sehen, wie überzeichnet Pfarrer in den meisten Filmen gezeigt werden. Evangelische Pfarrer – und ich sage bewusst Pfarrer, denn eine Pfarrerin ist in den von mir untersuchten Filmen nie aufgetaucht – sind schwieriger darzustellen. Teilweise werden sie in den Serien auch mit Kollarhemd gezeigt, obwohl das bei evangelischen Pfarrern in Deutschland in Wahrheit kaum verbreitet ist. Aber so sind sie für die Zuschauer natürlich leichter als Geistliche erkennbar. Mit Blick auf die Darstellung katholischer Geistlicher ist mir aber noch etwas Anderes aufgefallen.

Frage: Das wäre?

Föllmi: In den Serien wird ein großer Unterschied gemacht zwischen der Darstellung von normalen Ortspfarrern und Ordensleuten, die in Klöstern leben. Während die Pfarrer zwar klischeehaft, aber meist positiv dargestellt werden, werden Ordensleute fast immer negativ gezeichnet. Klöster gelten vielen Drehbuchautoren erkennbar als Hort des Bösen und Geheimnisvollen – und nicht als Orte der Spiritualität. Die Darstellung von Mönchen oder Nonnen in den Filmen weist oftmals unangenehme Klischees auf.

Bild: ©privat

Beat Föllmi ist Professor für Kirchenmusik und Hymnologie und Verantwortlicher des Masterstudiengangs Evangelische Theologie an der Universität Straßburg.

Frage: Können Sie Beispiele nennen?

Föllmi: Wenn junge Ordensfrauen gezeigt werden, wird fast immer die Frage aufgeworfen, warum eine junge Frau nur so wahnsinnig sein kann, für den Rest ihres Lebens in ein Kloster zu gehen. Mitunter geht das sogar klar ins Sexistische: Wenn beispielsweise bei "Hubert und Staller" der eine Polizist zum anderen sagt "Wow, stellen Sie sich die Granate mal ohne Tracht vor", dann geht das schon sehr weit. Ordensmänner wiederum werden oft mit Kriminalität in Verbindung gebracht. In einer Folge von "WaPo Bodensee" etwa versteckt sich ein rumänischer Killer in einem Kloster, und der Abt bekommt überhaupt gar nichts davon mit. Durch solche Darstellungen wird ein Bild vom Ordensleben gezeichnet, das nichts mit der Realität zu tun hat.

Frage: Wie steht es denn um "heiße Eisen" wie den Zölibat oder die Rolle von Frauen in der katholischen Kirche? Werden solche Themen in den Serien aufgegriffen?

Föllmi: Durchaus. Der Zölibat ist fast schon ein Dauerbrenner, er kommt immer wieder vor. Und zwar meist in der Art, dass ein Priester nicht zölibatär lebt und deshalb in Schwierigkeiten gerät. Die Rolle der Frau und auch der sexuelle Missbrauch von Kindern – beides Themen, die in der Medienberichterstattung über die katholische Kirche breiten Raum einnehmen – kamen in den untersuchten Serien dagegen gar nicht vor. Sie waren den Drehbuchautoren für eine Vorabendserie offenbar zu heikel.

Frage: Spielte die Bibel in den untersuchten Filmen eine Rolle?

Föllmi: Ja, allerdings in einer Weise, die ich als Theologe sehr problematisch finde. In den meisten Fällen zitierten als gläubig dargestellte Serienfiguren theologisch problematische Texte aus dem Alten Testament, in denen Gott der gewalttätige Rächer ist, der straft oder tötet. Dadurch wird ebenfalls ein völlig falsches Bild vermittelt.

„Ich würde mir wünschen, dass Religion in den Filmen nicht mehr nur als merkwürdige Tradition oder gar Defizit gezeigt wird, sondern der Glaube und die Gläubigen mit mehr Respekt behandelt werden.“

—  Zitat: Beat Föllmi

Frage: Und wie sieht es mit den Gläubigen aus? Wie werden die in den Serien dargestellt?

Föllmi: Überwiegend wird ein Bild gezeichnet, das gläubige Menschen als unnormal und realitätsfremd markiert. Nach dem Motto: Wer an irgendeinen Gott glaubt, kann nicht ganz in Ordnung sein. Oftmals werden Gläubige in den Filmen zudem der Lächerlichkeit preisgegeben. Auffällig fand ich zum Beispiel, dass insbesondere ältere gläubige Frauen in den Filmen meist ungepflegt aussehen, besonders moralinsauer rüberkommen oder manchmal sogar debil sind. Dadurch wird der Eindruck vermittelt, dass der christliche Glaube nur etwas für randständige Personen ist, die nicht ernstgenommen werden müssen.

Frage: Was glauben Sie: Warum werden Religion und religiöse Menschen in den Vorabendkrimis so klischeehaft und negativ dargestellt?

Föllmi: Ich denke, dass dafür neben möglicherweise dramaturgischen Erwägungen vor allem der religiöse Analphabetismus der Filmemacher verantwortlich ist. Bei Drehbuchschreibern und Regisseuren, die heute in ihren 20ern oder 30ern sind, kann man nicht mehr davon ausgehen, dass sie in ihrer Kindheit und Jugend irgendeine Form der religiösen Bildung erfahren haben oder dass Religion in ihrem Leben irgendeine Rolle spielt. Diese Leute zeigen Glaube und Religion deshalb so, wie sie sie sich vorstellen oder wie sie denken, dass die Zielgruppe dieser Krimis es erwartet.

Frage: Bislang haben wir nur über die Darstellung des Christentums gesprochen. Wie sieht es denn mit anderen Religionen aus, etwa dem Judentum oder dem Islam? Kamen die in den von Ihnen untersuchten Filmen auch vor?

Föllmi: Kaum. In den allermeisten Filmen kamen tatsächlich nur Vertreter der beiden großen Kirchen vor, also Katholiken und Protestanten. Schon Orthodoxe spielten keine Rolle. Ähnlich verhielt es sich mit Juden und Muslimen. Das Judentum wurde in den von mir untersuchten Filmen fast vollständig ausgespart, lediglich in einer Folge des "Großstadtreviers" kam eine ältere Jüdin vor, die von Neonazis verfolgt wurde. Muslime dagegen kamen zwar durchaus in einigen Filmen vor – aber fast immer nur im Zusammenhang mit islamistischem Terror. Das fand ich sehr bedenklich, weil durch solche Filme natürlich das gesellschaftliche Bild einer Religion mitgeprägt wird.

Frage: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was sollte bei der Darstellung von Religion und religiöse Menschen in Fernsehserien und speziell den Vorabendkrimis anders gemacht werden?

Föllmi: Ich würde mir wünschen, dass Religion in den Filmen nicht mehr nur als merkwürdige Tradition oder gar Defizit gezeigt wird, sondern der Glaube und die Gläubigen mit mehr Respekt behandelt werden. Dass etwa in einer Folge von "Hubert und Staller" einer der Hauptdarsteller geweihte Hostien vom Altar gegessen und dann mit Messwein runtergespült hat, halte ich für eine unnötige Grenzüberschreitung. Hier ist von Seiten der Verantwortlichen dringend mehr Sensibilität gefragt.

Von Steffen Zimmermann

Buchtipp

Beat Föllmi: Kruzifix und Geisterbeschwörung Religion in deutschen Vorabendkrimis. Aschendorff Verlag, Münster 2023, 222 Seiten, 36 Euro. ISBN:  978-3-402-25013-6