Seit Mai leitet Stefan Betschon das Schweizer Kirchenportal

Neuer Redaktionsleiter: Profilierungsbemühungen haben kath.ch geschadet

Veröffentlicht am 10.06.2025 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Zürich ‐ Das Nachrichtenportal kath.ch hat unruhige Jahre hinter sich, der Chefsessel glich zuletzt einem Schleudersitz. Seit Anfang Mai nun leitet Stefan Betschon die Redaktion. Im Interview spricht er über seine neue Aufgabe, das Verhältnis zu den Schweizer Bischöfen und seine publizistischen Ziele.

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Hinter dem kirchlichen Schweizer Nachrichtenportal kath.ch liegen unruhige Zeiten: Neben Kritik an einer zu boulevardesken und investigativen Berichterstattung sorgten in den vergangenen zwei Jahren auch mehrere vorzeitige Wechsel in der Redaktionsleitung für Unruhe und Unsicherheiten. Seit 1. Mai bekleidet nun Stefan Betschon das Amt an der Spitze der Redaktion. Der 65-Jährige arbeitet damit erstmal für ein katholisches Medium, zuvor war er unter anderem mehr als zwei Jahrzehnte Redakteur bei der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ) und dort zuletzt für die Berichterstattung über Informatik und digitale Medien zuständig. Im Interview mit katholisch.de spricht Betschon über seine neue Aufgabe bei kath.ch, die Stimmung in der Redaktion, das Verhältnis zu den Schweizer Bischöfen und seine publizistischen Ziele.

Frage: Herr Betschon, seit Anfang Mai sind Sie Redaktionsleiter von kath.ch. Wie haben Sie die ersten Wochen in Ihrem neuen Amt erlebt?

Betschon: Stürmisch. Als wäre ich in einen reißenden Bergbach hineingeworfen worden. Das Begräbnis eines bedeutenden Papstes, das Konklave, die Wahl eines neuen Papstes – das sind Ereignisse, wie man sie nicht oft erlebt, welthistorische Momente. Ich konnte die Berichterstattung zwar nicht mitgestalten, ich war noch ganz neu im Amt. Aber es war schon eine bewegende Zeit.

Frage: In welcher Stimmung haben Sie die Redaktion bei Ihrem Amtsantritt vorgefunden?

Betschon: Sehr beschäftigt. Und ohne sich durch mich aus der Ruhe bringen zu lassen. Das fand ich ermutigend. Ich fühlte mich gut aufgenommen.

Frage: Kath.ch hat in den vergangenen Jahren unruhige Zeiten erlebt. Zwar konnte das Portal unter dem bis Ende März 2023 tätigen Redaktionsleiter Raphael Rauch deutlich an Reichweite gewinnen – zugleich stand es aufgrund einer aus Sicht von Kritikern allzu boulevardesken und investigativen Berichterstattung über die katholische Kirche immer wieder stark in der Kritik. Was denken Sie: War diese Kritik berechtigt?

Betschon: Ich befürchte, diese Kritik war berechtigt. Wobei es ja auch guten Boulevard gibt. Ich habe, bevor ich bei der NZZ anheuerte, die Ringier Journalistenschule besucht. Der Ringier-Verlag ist in der Schweiz das Epizentrum des Boulevard-Journalismus. Als ich bei der NZZ anfing, bedeutete man mir, ich solle meine Ausbildung bei Ringier vergessen und verheimlichen. Aber ich konnte nicht verstehen, warum das, was man uns dort beizubringen versucht hatte, sich mit Qualitätsjournalismus nicht vertragen sollte: Verständlichkeit und Klarheit. Guter Boulevard macht komplizierte Dinge leicht fassbar. Schlechter Boulevard macht aus Nichtigkeiten Monstrositäten. Aufgeregtheit, Schnappatmung, Unehrlichkeit, überdrehte Superlative – das ist schlechter Boulevard.

„Mir ist an einem guten Verhältnis zu den Bischöfen viel gelegen. Kritik muss aber möglich sein – mit dem nötigen Respekt.“

—  Zitat: Stefan Betschon

Frage: Seit dem Weggang von Raphael Rauch haben mit Charles Martig und Christian Maurer in nur zwei Jahren zwei weitere Redaktionsleiter kath.ch vorzeitig verlassen. Der Chefsessel glich zuletzt also eher einem Schleudersitz. Macht Ihnen das mit Blick auf Ihre eigene Tätigkeit als Redaktionsleiter Sorgen?

Betschon: Charles Martig war, soweit ich weiß, von Anfang an dabei, er hat viel Aufbauarbeit geleistet. In jüngster Zeit aber, Sie haben recht, gab es in der publizistischen Leitung Brüche und Verwerfungen. Möglicherweise sahen junge Journalistinnen und Journalisten kath.ch nur als Sprungbrett für ihre eigene Karriere. Diese Profilierungsbemühungen haben kath.ch geschadet. Journalismus ist eine Ausdauerdisziplin. Die Fixierung auf Klicks, das Schielen auf die Quote bringt keine langfristigen Erfolge. Ich blicke auf eine lange Karriere im Journalismus zurück und habe viel erreicht: Ich habe einen Journalistenpreis gewonnen, ich habe Sachbücher gemacht, ich hatte viele Jahre eine wöchentliche, persönliche Kolumne im ersten Bund der NZZ. Das ist die höchste Ehre im Deutschschweizer Journalismus. Ich muss nicht mehr beweisen, dass ich etwas kann, ich muss nicht Geschirr zerschlagen, um auf mich aufmerksam zu machen.

Frage: Sie sind bereits 65 Jahre alt. Für welchen Zeitraum planen Sie als Redaktionsleiter?

Betschon: Das Kirchenrecht kennt 75-Jährige und 80-Jährige als belastbare und leistungsfähige Amtsinhaber. Da ist doch 65 kein Alter!

Frage: Die Schweizer Bischöfe als einer der Auftraggeber von kath.ch haben sich im Juni 2023 öffentlich von dem Portal distanziert. Man sei "seit längerem besorgt über einige Artikel, die auf kath.ch veröffentlicht werden", hieß es damals in einer Stellungnahme. Wie steht es heute um das Verhältnis von kath.ch und Bischofskonferenz?

Betschon: Mir ist an einem guten Verhältnis zu den Bischöfen viel gelegen. Kritik muss aber möglich sein – mit dem nötigen Respekt. Es zählt das bessere Argument. Darum geht es mir: Argumente, Unaufgeregtheit. Nicht billige Provokation, keine Profilierungssucht, keine Besserwisserei. Wir müssen besonnen bleiben. Wir dürfen nicht beitragen zur Polarisierung. Wir müssen Brücken bauen, nicht Mauern hochziehen. Unser Portal sollte ein Forum der Verständigung sein.

Bild: ©privat

Stefan Betschon ist seit Mai Redaktionsleiter von kath.ch. Zuvor war er unter anderem lange Jahre Redakteur bei der "Neuen Zürcher Zeitung".

Frage: Warum haben Sie trotz der unruhigen Vorgeschichte die Aufgabe als Redaktionsleiter übernommen? Was hat Sie an kath.ch gereizt?

Betschon: Nachdem ich vor drei Jahren mit dem Theologiestudium angefangen hatte, verspürte ich immer stärker die Berufung, mich für die katholische Publizistik zu engagieren. Jetzt müssten Sie mich fragen: Warum haben Sie mit dem Theologiestudium angefangen?

Frage: Und, warum haben Sie mit dem Theologiestudium angefangen?

Betschon: Nun: Ich habe fast ein Vierteljahrhundert als Wissenschaftsredaktor für die NZZ gearbeitet. Meine Themen waren Computertechnik, Software-Engineering, Informatik, Internet, Künstliche Intelligenz, Social Media und so weiter. Ich habe in diesen Themenbereichen mehrere Tausend Artikel geschrieben. Und meistens ging es irgendwie um die Frage: Wie kommt das Neue in die Welt? Wie gelingen Innovationen? Was treibt innovative Menschen an, was suchen sie? Je länger ich über diese Fragen nachdachte, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich theologische Kategorien bemühen müsste, um sie zu beantworten. Nehmen Sie Steve Jobs ... nein, jetzt verliere ich mich wieder in den Computerthemen. Entschuldigen Sie.

Frage: Bleiben wir bei Ihrer neuen Aufgabe: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Stärken von kath.ch?

Betschon: Kath.ch ist als Online-Medium schnell und agil. Wir sind thematisch breit aufgestellt. Wir sind für die Kirche als Ganzes da und nicht nur für eine einzelne Pfarrei. Wir haben einen größeren Blickwinkel als andere. Und wir nutzen auch neue und neueste journalistische Formen, Podcasts, Video.

„Wenn es um ein Re-Design der Website geht, denke ich an eine Entrümpelungsaktion.“

—  Zitat: Stefan Betschon

Frage: Und wo muss das Portal Ihrer Ansicht nach besser werden?

Betschon: Die aktuelle Berichterstattung funktioniert gut, die News kommen pünktlich. Die Redaktion hat die wichtigen Themen im Griff. Verbesserungspotential sehe ich bei der Analyse, bei der Einordnung und bei der Kommentierung. Ich sehe die Redaktion nicht als Durchlauferhitzer, sondern als Think Tank. Auch finde ich, wir sollten uns besser verkaufen. Unsere Website könnte übersichtlicher sein.

Frage: Welche publizistischen Ziele verfolgen Sie mit kath.ch? Wie sollte sich das Portal unter Ihrer Ägide publizistisch entwickeln?

Betschon: Einer meiner Vorgänger hat für kath.ch den Werbeslogan geprägt: "katholisch, aktuell, relevant". Diesem "Claim" fühle auch ich mich verpflichtet. Dem eifern wir nach.

Frage: Haben Sie denn schon konkrete Ideen für neue Formate oder neue Themenschwerpunkte?

Betschon: Wir haben viele Formate, vielleicht fast zu viele. Weniger ist mehr. Wenn es um ein Re-Design der Website geht, denke ich an eine Entrümpelungsaktion. Und die Themensetzung wird durch die Aktualität bestimmt und durch die Interessen unserer Leserschaft.

Von Steffen Zimmermann