Begründete Entscheidung für die Freiheit

Söding: Exegese hat politische Aufgabe gegen Fundamentalismus

Veröffentlicht am 24.06.2025 um 12:22 Uhr – Lesedauer: 

Wien/Bochum ‐ Fundamentalistische Strömungen erstarken aktuell: politisch, aber auch in den Kirchen. Der Neutestamentler Thomas Söding sieht deshalb ein "Wächteramt" bei der Bibelexegese. Diese müsse auch ein Angebot machen, wie Politik besser werde.

  • Teilen:

Nach Ansicht des Bochumer Neutestamentlers Thomas Söding hat die Bibelexegese angesichts eines erstarkenden Fundamentalismus nicht nur eine wissenschaftliche Bedeutung innerhalb des Christentums, sondern auch eine politische. Einerseits habe sie ein "Wächteramt", andererseits müsse sie auch ein Angebot machen, wie Politik besser wird, wenn sie die Bibel im Blick hat, schreibt Söding in einem Beitrag für das theologische Feuilleton "feinschwarz.net" (Dienstag). "Die Aufgabe der Exegese angesichts des Fundamentalismus besteht in einer doppelten Unterscheidung, die zu einer begründeten Entscheidung führt: für die Freiheit", so der Theologe.

Der Fundamentalismus reklamiere zwar ein wörtliches Verständnis der Bibel, gehe aber nicht in ihre Sprach- und Denkschule, sondern identifiziere die eigene Sprache mit der der Bibel. "Die Exegese muss die Aneignungen, die optischen Täuschungen und gezielten Verzeichnungen aufdecken; vor allem muss sie die biblische Sprache unterrichten: geschichtliches Denken, genaue Lektüre, interkulturelle Kompetenz", betont Söding. Daher sei die Bibel in dem Geist zu lesen, in dem sie geschrieben wurde, und daraus das spezifische Gewicht der Aussagen zu erschließen.

Die Exegese müsse daher die Sprache der Bibel vor Vereinnahmung schützen und die Fundamentalunterscheidung zwischen der Kirche und allen politischen Mächten dieser Welt zur Geltung bringen, die Jesus mit der Reich-Gottes-Verkündigung begründet habe, fordert Söding. "Der politische Kategorienfehler des Fundamentalismus besteht darin, dass er mit der Bibel genuin religiöse Sätze nicht nur als unmittelbar geltende Moral ausgibt (was schon falsch ist), sondern als politisch zu erlassenes Recht durchsetzen will."

"Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist"

In seiner Reich-Gottes-Predigt nehme Jesus das alttestamentliche Motiv auf, dass kein König dieser Welt Gott sei und dass jeder König vor Gott Rechenschaft ablegen müsse. "Durch den Neuansatz im Kairos, den er durch seine Person füllt, macht er klar, dass die Gottesherrschaft keinen Gottesstaat begründet, sondern einerseits ein Volk Gottes bildet, andererseits eine politische Ethik formatiert", schreibt Söding.

Die Pointe in der Sentenz "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist" (Mk 12,17) sei die Einsicht, "dass es um Gottes Willen auch den Bereich des Politischen gibt". Das bedeute, dass es eine Politik brauche, die nicht im Namen Gottes durchregiere, und "Menschen, die nicht, weil sie an Gott glauben, Fundamentalopposition treiben, sondern das Ethos und Recht des Politischen anerkennen, weil sie auf Gerechtigkeit setzen". Hinter diese Unterscheidung fielen alle politischen Fundamentalisten zurück. "Sie behaupten zwar, Gott zu geben, was Gottes ist, beanspruchen aber die Definition darüber und machen sich deshalb selbst zu Gott."

Demokratische Prinzipien wie Gewaltenteilung ließen sich zwar nicht aus dem neuen Testament ableiten, räumt Söding ein. "Aber die Entlastung der Politik und des Rechts von Sinnstiftung und Wertevermittlung stärkt sie in ihrer genuinen Aufgabe, Macht für Gerechtigkeit einzusetzen." Die Kirche müsse sich in die Tradition Jesu stellen, der zwischen gerechter und korrupter Politik unterscheiden habe können: "gegen den Fundamentalismus, für die Freiheit". (mal)