Interview zur Spiritualität von Antoine de Saint-Exupéry

Historikerin: "Der Kleine Prinz" ist auch eine Frohe Botschaft

Veröffentlicht am 29.06.2025 um 12:00 Uhr – Von Michael Kinnen (KNA) – Lesedauer: 

München/Berlin ‐ Vor 125 Jahren wurde der Autor Antoine de Saint-Exupéry geboren. Zitate aus seinem Werk "Der Kleine Prinz" werden heute sogar in Gottesdiensten gelesen. Und seine Bücher enthalten tatsächlich eine religiöse Botschaft, sagt Historikerin Beate Schley.

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Der französische Pilot und Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry (1900-1943) ist vor allem für sein Erfolgswerk "Der Kleine Prinz" bekannt. Das Buch gehört zu den meistverkauften und meistübersetzten Büchern aller Zeiten. Viele entdecken darin auch tief gehende spirituelle Anregungen. Die Münchener Romanistin und Historikerin Beate Schley hat viele Jahre im Verlagswesen gearbeitet und 2019 unter dem Pseudonym Birgitta Salzmann das Buch "Das Evangelium des Kleinen Prinzen: Zur Spiritualität von Antoine de Saint-Exupéry" veröffentlicht. Was es damit auf sich, erklärt sie im Interview.

Frage: Frau Schley, warum ist "Der Kleine Prinz" auch über 80 Jahre nach seinem Erscheinen noch so faszinierend?

Schley: Zunächst sind es natürlich die sehr bekannten Zitate, die jeder im Kopf hat: "Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." Oder: "Man ist zeitlebens für das verantwortlich, was man sich vertraut gemacht hat." Das sind ganz grundlegende Themen, die ja auch die christliche Religion betont. Etwa, dass man die Dinge nicht nur in den Äußerlichkeiten sieht, sondern auch wirklich auf den Wesenskern des Menschen schaut, den Menschen wirklich erkennt – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.

Frage: Wie meinen Sie das?

Schley: Erkennen bedeutet ja lieben: dass man den vertrauten Partner also anders sieht und nicht wie jemand Beliebigen – ganz unbekümmert, mit einem kindlichen Herz, mit einem naiven Herzen; dass man einfach eine echte, vertraute Begegnung mit ihm hat. Es geht ohnehin oft um Begegnungen in diesem Buch. Das ist ja auch wieder fast religiös.

Frage: Ihr Buch trägt den Titel "Das Evangelium des Kleinen Prinzen". Bei manchen Gottesdiensten – etwa zu Taufen oder Hochzeiten – wünschen sich manche eine Passage aus diesem Buch statt aus dem tatsächlichen Evangelium – bisweilen zum Ärger mancher Theologen.

Schley: Das Buch ersetzt natürlich nicht das Evangelium. Das wollte Saint-Exupéry auch nicht. Aber eine Faszination an seiner Parabel ist, dass sie so tief gehend ist: Da sind die eigenen Lebensthemen: das Scheitern, die Hoffnung und Sehnsucht, das Gelingen. Das beschreibt in vielen Aspekten einfach das menschliche Leben, das jeder kennt. Auch wenn das kein Evangelium im theologischen Sinn ist, ist es aber doch ganz wortwörtlich eine "Frohe Botschaft".

Frage: Worin besteht die?

Schley: Man kann sich im Kleinen Prinzen gut selbst erkennen und dabei auch seine negativen Seiten annehmen. Das geht auch deshalb so gut, weil das immer mit einem Lächeln geschieht; weil in diesem Buch auch immer Humor dabei ist. Da kann man Zärtlichkeit und Selbstironie entdecken, wenn die "Kleinen" den scheinbar Vernünftigen, den Erwachsenen und Großen immer einen Schritt voraus sind. Die frohe Botschaft besteht dann vielleicht auch darin, dass man sich klarmacht, dass der Mensch immer ein Suchender ist und ihn das auch glücklich macht. Es ist normal, immer nach dem Sinn zu suchen. Das ist kein Fehler, kein Defizit, sondern das bringt Erfüllung.

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Frage: Wie religiös war Antoine de Saint-Exupéry selbst?

Schley: Er ist als Katholik sehr gläubig erzogen worden und aufgewachsen. Er war auch auf einem Jesuitenkolleg und später an einem katholischen Marianistengymnasium. Seine Mutter war sehr fromm. Als er im Krieg unter ungeklärten Umständen verschwand, hat sie sogar gedacht oder gehofft, dass er nicht tot ist, sondern sich vielleicht in ein Kloster zurückgezogen hat. Man kann nicht hineinsehen in einen Menschen, wie religiös jemand wirklich ist. Das hängt auch davon ab, wie man Religion definiert.

Frage: Was heißt das für Saint-Exupéry konkret?

Schley: Er hat sicher nicht einen äußeren Moralismus gepflegt – oder so etwas. Das war salopp gesagt nicht sein Ding. Er hat mehr die innere Verfasstheit des Menschen als religiös charakterisiert, sozusagen seine Suche nach dem Sinn als religiöse Haltung verstanden. Es gab ja nicht nur den Kleinen Prinzen. Auch in seinem letzten Buch "La Citadelle", zu deutsch "Die Stadt in der Wüste" hat Saint-Exupéry eine Art philosophisches Testament verfasst. Das Werk ist leider nicht fertig geworden und auch erst posthum veröffentlicht worden. Da hat er seine philosophischen Gedanken konkretisiert.

Frage: Inwiefern?

Schley: ... auch wieder in dem Sinn, dass sich sehr viel im Inneren des Menschen abspielt, was man auch nicht jedem zeigen muss und sagen muss. Man sieht eben nur mit dem Herzen gut. So war auch Saint-Exupéry selbst. Er wollte ja auch nicht gerne Interviews geben und war sehr verschlossen; am Ende seines Lebens dann tief depressiv. Er wollte nicht einfach eine Deutung oder Wahrheit vorgeben, sondern wollte, dass man seine Gedanken, seine Philosophie selbst als Leserin und Leser in seinen Büchern entdeckt.

Frage: Haben Sie da auch etwas für Ihre eigene Religiosität oder Spiritualität entdeckt?

Schley: Ja, es hat meine eigene Religiosität auch in der Hinsicht befruchtet, dass ich mir vornehme, nicht so sehr auf Äußerlichkeiten zu schauen. Das ist etwas, was auch heute sehr aktuell ist: dass man die Menschen um einen herum nicht nur nach dem Äußeren bewertet, sondern wirklich versucht zu sehen, was sie sagen, wer sie sind, wo ihre Stärke liegt, wo der konkrete Mit-Mensch zu finden ist.

Frage: Lesen Sie auch eine Botschaft jenseits des Religiösen im "Kleinen Prinzen"? Das Buch ist ja voll von Anspielungen und Bildern.

Schley: Die aktuelle Botschaft ist sicher auch, dass man aufmerksam sein muss. Ein Beispiel: die Affenbrotbäume, die Baobab, dürfen nicht in den Himmel wachsen und alles überwuchern. Denn dann richten sie mehr Schaden an als sie nutzen. Da gibt es ja auch eine schöne Passage im Kleinen Prinzen dazu. Man könnte vielleicht heute die negativen politischen Entwicklungen, die es in manchen Ländern gibt, also den Machtmissbrauch, den Populismus und vieles, was wirklich Wachstum von anderen Kräften behindert, mit den Affenbrotbäumen vergleichen. Da muss man sehr aufpassen und diese Bedrohungen beseitigen – also diese wuchernden Affenbrotbäume frühzeitig ausreißen, damit sie nicht das Leben einengen und die Luft zum Atmen nehmen.

Frage: Haben Sie eine persönliche "Moral von der Geschicht'"?

Schley: Das Schöne ist ja, dass es keine vorgegebene Deutung oder Moral im Kleinen Prinzen gibt. Aber das Buch kann anregen, dass man sich mehr traut, auch seine kindliche Seite weiter zu pflegen. Dass man zwar auch der Erwachsene ist, der funktioniert, der, wie es in dem Buch heißt, immer an Zahlen glaubt; also der immer alles ausmessen will: Wie groß ist ein Mensch, wie alt ist ein Mensch – aber nicht: Kann er Gitarre spielen? Kann er Bilder malen; woran hängt sein Herz? Diese kreativen Dinge sind ja eigentlich eher wichtig, um einen Menschen kennenzulernen. Da habe ich mir vorgenommen: Ich muss wieder mehr wie ein kleines Kind werden – "Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen", heißt es ja auch in der Bibel. Die frohe Botschaft des Kleinen Prinzen ist, dass man dann, wenn man sich sein kindliches Herz bewahrt und damit die Welt anschaut, mehr vom Leben hat: mehr Genuss, mehr Freude, mehr Glück.

Von Michael Kinnen (KNA)