Standpunkt

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – wie sieht es in der Kirche aus?

Veröffentlicht am 14.07.2025 um 00:01 Uhr – Von Pater Stefan Kiechle SJ – Lesedauer: 

Bonn ‐ "Liberté, Égalité, Fraternité": Heute sind diese Prinzipien in Demokratien selbstverständlich. Einst musste man sie auch gegen den Widerstand der Kirche erringen. Nicht nur in ihr werden sie immer noch zu wenig gelebt, meint Pater Stefan Kiechle.

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Der 14. Juli, französischer Nationalfeiertag, geht in Deutschland meist im Sommerloch unter. Er erinnert an den Sturm auf die Bastille im Jahr 1789. Die Französische Revolution kämpfte für Liberté, Égalité und Fraternité (Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit). Heute sind diese politischen Prinzipien in unseren Demokratien selbstverständlich, damals mussten sie gegen den Widerstand des Ancien Régime (der alten Feudalherrschaft) hart erkämpft werden. Doch sind sie wirklich selbstverständlich? Und wie war der Beitrag der Kirche?

Die Kirche war damals und noch lange auf der Seite des Ancien Régime: Sie wollte Gesellschaft und Kirche hierarchisch erhalten, in Klassen aufgeteilt, mit den uralten Privilegien des Adels und des Klerus, autoritär regiert, und sie erklärte dies für die gottgewollte Ordnung. Im 20. Jahrhundert passte sie sich vorsichtig und mit inneren Kämpfen an die Moderne an, doch erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurden Religionsfreiheit, Menschenrechte und Partizipation zu Leitprinzipien katholischen Denkens und Handelns. Heute neigen sich Teile der Kirche, nicht nur in den USA, wieder autoritären, rechtsgerichteten Regierungen zu. Und was die Kirche nach außen als hehre Prinzipien verkündet, hat sie innerkirchlich noch lange nicht umgesetzt – man denke nur an die weiterhin im Recht fixierte klerikale Hierarchie oder an die fehlende Égalité der Frauen.

Und Gesellschaft und Politik? Leicht könnte man mit dem Finger auf Frankreich zeigen: auf die die dort wenig aufgearbeiteten Verbrechen des Kolonialismus, auf die nach wie vor starre Klassengesellschaft – da fehlt noch viel an Liberté, Égalité, Fraternité. Doch stehen wir in Deutschland oder in den anderen westlichen Ländern, die auf die Errungenschaften der Demokratie, des Rechtstaates, der Menschenrechts so stolz sind, besser da? Überall werden die Reichen reicher und die Armen ärmer – Klassen und Privilegien formieren sich wieder stärker. Überall der Hang zum Rechtpopulismus, zu neuer, oft auch rassistisch grundierter nationaler Abschottung, zu autoritären Regierungen.

Liberté, égalité und fraternité stammen – freilich säkularisiert – aus dem Menschenbild der Bibel! Welch Schande, dass sie noch immer so wenig gelebt werden. Viel zu tun…

Von Pater Stefan Kiechle SJ

Der Autor

Pater Stefan Kiechle SJ ist seit 2018 Chefredakteur der Zeitschrift "Stimmen der Zeit". Zuvor leitete er sieben Jahre die Deutsche Provinz des Jesuitenordens.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.