Seit 65 Jahren: Ein gemeinsames Leben als Priester und Haushälterin

Was das Geheimnis seines langen Lebens ist? Max Knorr sitzt am Esstisch seiner Wohnung in Kempten im Allgäu und schmunzelt. Dann deutet er nach rechts. Dort sitzt Annemarie Zill. Die beiden leben seit 65 Jahren zusammen – doch nicht etwa als Ehepaar. Knorr ist katholischer Priester, Zill seine Haushälterin. Sie ist 89 Jahre alt, er schon 99. Just hat er sein 70-jähriges Weihejubiläum gefeiert. Anlass für einen Rückblick auf ein bewegtes Leben im Doppelpack, das nicht immer problemlos verlief.
Max Knorr kam im März 1926 in Regensburg zur Welt. Die Eltern betrieben einen Gemischtwarenladen, Knorr machte daher eine Einzelhandelslehre, hängte eine Ausbildung in der Bank dran. "Dort am Schalter sprachen ihn die Leute an: Warum er nicht im Krieg sei?", erzählt Annemarie Zill aus jener Zeit, in der sie Knorr noch gar nicht kannte. Der Senior nickt. "Ich war ja groß und stark." Irgendwann habe er sich freiwillig gemeldet. Es folgten zwei Jahre an der Front in Polen und Jugoslawien.
"Die Mädchen haben mich eigentlich schon interessiert"
"Er hat niemanden töten müssen", betont Zill. Aber der Krieg habe ihn geprägt. Nach der Heimkehr habe er zunächst Musik in Regensburg studiert und dann damit überrascht, Priester werden zu wollen. "Das war für mich eigentlich nicht vorgesehen", meint Knorr. "Schlecht war ich nie, aber so brav auch nicht. Ich war sicher nicht einer der Frömmsten. Sonntags in die Kirche, das war normal. Aber die Mädchen haben mich eigentlich schon interessiert." Dennoch: Zweifel hätten ihn später nie geplagt.
1950 trat Max Knorr dem Orden der Unbeschuhten Karmeliten bei. Er zog ins Kloster Reisach im oberbayerischen Oberaudorf, holte sein Abitur nach, studierte Theologie und wurde am 29. Juni 1955 zum Priester geweiht. 1957 verließ er das Kloster. "Die Diskrepanz zwischen kontemplativem Ordensleben und dem ständigen Aushelfen in Pfarreien wurde zu groß", erklärt Zill. "Damals saß ich fünf, sechs Stunden irgendwo im Beichtstuhl", erinnert sich Knorr. "Da bin ich lieber gleich Weltpriester geworden." Dass er bis ins Alter von 95 Jahren regelmäßig als solcher wirken sollte, konnte er da nicht ahnen.
Kurz nach seinem Klosterabschied bekam Knorr seine erste Stelle als Kaplan, im schwäbischen Höchstädt. Da trat der Name Zill in sein Leben. "Meine Familie stammt von dort", erzählt die Seniorin, die 1957 schon als Haushälterin arbeitete, aber noch nicht für Max Knorr. Erst habe sich ihre Mutter, eine sehr religiöse Frau, um ihn gekümmert.
Sie habe schnell gemerkt, dass sie ins Pfarrhaus passe, sagt Annemarie Zill. Mit Haushalt und Kochen allein sei es da nämlich nicht getan. Verwaltungskompetenz brauche man ebenso wie seelsorgerische Fähigkeiten.
Irgendwann lernte der Geistliche auch die Tochter kennen – und mögen. "Ich habe um sie geworben", sagt der Priester und lächelt. Mit Erfolg: 1960 ging die fast genau zehn Jahre jüngere Frau mit ihm nach Durach ins Allgäu und ein Jahr später nach Auchsesheim unweit ihrer alten Heimat, wo der Seelsorger seine erste Pfarrei übernahm. "Wir haben immer gut zusammengepasst", meint Knorr. "Ich hab mit ihr schon das Glück gefunden." – "Ja mei", sagt sie, durchaus gerührt.
Dann erzählt Zill: "Ich dachte mir, ich probier's aus; wenn's nichts ist, geh ich wieder. Aber ich habe schnell gemerkt: Ich passe ins Pfarrhaus." Mit Haushalt und Kochen allein sei es da nämlich nicht getan. Verwaltungskompetenz brauche man ebenso wie seelsorgerische Fähigkeiten. "Eines Freitags, ich hab einen schönen Fisch gehabt, hat's mittags geläutet", berichtet die Seniorin. "Herrschaft, hab ich gedacht, kann man nicht einmal in Ruhe essen! Zum Glück hatte ich einen langen Flur zur Haustür, um Luft zu holen. Denn draußen stand eine Frau, die leise sagte: 'Mein Kind ist gestorben.' – Ich habe mich innerlich so geschämt."
"Na, so seh ich mich net"
"Die Tür haben wir immer ernst genommen, die offene Tür des Pfarrhauses", nimmt Max Knorr den Faden auf. Und die Tür, das sei sozusagen seine Haushälterin gewesen. "Sie ist wirklich eine Dienerin." Sie erwidert: "Na, so seh ich mich net."
Treu aber zog Annemarie Zill mit dem Pfarrer immer wieder um. Von Auchsesheim ging's 1965 für fast ein Vierteljahrhundert nach Kempten, in die Pfarrei Christi Himmelfahrt; weitere Stationen sollten folgen. Zill verließ ihre Heimat nur ungern: "Das war schlimm." In Auchsesheim sei die Jugend dank des frischen Windes durch das Zweite Vatikanische Konzil so aufgeschlossen gewesen – "tolle Jahre".
"Die Musik hab ich von klein auf geliebt", sagt Priester Max Knorr.
In Kempten dann herrschte gegenüber Umbrüchen Skepsis. In Christi Himmelfahrt begann 1969 der Bau einer neuen Kirche – im nüchternen Stil der Zeit. Den fanden nicht alle gut, wie der Priester zu verstehen gibt. "Du hast immer gesagt: Nicht Prunk, sondern die Menschen sind die Kirche", fügt Zill an.
Baustellen gab es in all den Jahren auch im Persönlichen. Annemarie Zill war zwischendurch "zur Erholung". Sie hatte psychische Probleme, als sie sich einmal von der Gemeinde nicht angenommen spürte. Max Knorr fühlte sich geschlaucht, als er zeitweise drei, vier Beerdigungen am Tag abhalten musste.
"Zölibat sollte gelockert werden"
"Gejammert haben wir manchmal, aber öfter nicht", resümiert der Priester und schmunzelt wieder. Sie bereue ihr Leben nicht, ergänzt die Haushälterin. "Mein Gott, Sie hätten doch schöne Kinder haben können!, hat mir mal ein Arzt gesagt." Zill und Knorr lachen gemeinsam.
Jetzt lassen sie sich Kaffee und Kuchen schmecken. Eben hat Zill beides aus der Küche geholt – so rasch, sie ginge für 20 Jahre jünger durch. Auch der Pfarrer wirkt rüstig. Gut, an Augen und Ohren hapert's. Doch fürs Foto erhebt sich Knorr geradezu geschwind vom Tisch. Nein, nicht in der Strickjacke, das Sakko muss her! Und wie wär's an der Gitarre? "Die Musik hab ich von klein auf geliebt", verrät er, "auch Geige, Klavier ..."
Wie ist es nun, da das Lied des Lebens langsam verklingt? Gibt's noch Zukunftswünsche? Ja, für die Kirche: "Wieder mehr Priester", sagt er. Sie findet: "Der Zölibat sollte gelockert werden. Auch einem Pfarrer tut's gut, wenn er nicht allein im Haus ist." Und was ist mit dem Tod? "Mit dem bin ich so oft konfrontiert gewesen, der ist keine Schwierigkeit mehr", sagt Max Knorr. Annemarie Zill ergänzt: "Irgendwann gehen wir heim, sagt er immer." Aber erst mal wird der Kuchen aufgegessen.