Projekt in Köln will den Interreligiösen Dialog stärken

Ein Garten voller Religion für Auseinandersetzungen ohne Sprechverbote

Veröffentlicht am 20.09.2025 um 12:05 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Köln ‐ Religion hat heute kaum noch einen Platz im Alltag, obwohl Anhänger verschiedenster Glaubensformen Tür an Tür wohnen. Ein Garten-Projekt in Köln will zum Dialog über Religion und ihre Kritik anregen – ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

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DONG! Auf einmal ist außer dem durchdringenden Glockenschlag nichts mehr zu hören. Der junge Mann, der den Klöppel noch in der Hand hält, ist selbst etwas überrascht: So eine kleine Glocke, vielleicht einen Meter hoch, und dann so laut. Als das Dröhnen nach wenigen Sekunden nachlässt, ist das sofort Gesprächsthema: Was ein Glockenschlag doch mit den Menschen macht. Das gilt nicht nur hier, in der Kölner Südstadt: Obwohl auf der kleinen Glocke eine Muttergottes aufgeprägt ist, diskutieren die Leute um ihn herum schnell, dass es Glocken in fast allen Weltreligionen gibt – nur im Islam spielen sie keine Rolle. Aber sonst: Glöckchen an Thorarollen, buddhistische Tempelglocken. Damit ist die Gruppe von Lehramtsstudierenden gleich im Thema. Denn die kleine Glocke ist die erste Station des Gartens der Religionen in Köln. Dessen Ziel: Der Interreligiöse Dialog.

Nur einen Augenblick später steht die Gruppe, alle Mitglieder sind in ihren Zwanzigern und kommen von der Kölner Universität gleich um die Ecke, auf einem kreisförmigen Untergrund, der wie eine Dartscheibe gestaltet ist, er heißt "Spiel des Lebens". "Hier stellt sich die Frage: Wie komme ich an mein Ziel?", sagt Anne Plhak, die den Garten für den katholischen Sozialverband “In Via” konzeptionell betreut. "Ich habe hier Kugeln mitgebracht, die Sie rollen können. Schauen Sie mal, ob Sie die Mitte treffen." Das Besondere: Die Kugeln sind nicht ganz rund, sie haben ein Loch. Dadurch kullern sie spiralenförmig. Wer direkt das Ziel ansteuert, wird es verfehlen – wer aber genau hinsieht, das Spiel durchschaut und etwas Geschick hat, kommt schon recht nahe an die Mitte heran. Die Symbolik liegt auf der Hand. Ähnlich sieht es bei der Sonnenuhr zehn Meter weiter aus: Werden und Vergehen. Im Garten gibt es auch noch eine kleine Wüste und einen Stein, aus dem Wasser entspringt. Das alles in einem Innenhof, umringt von Bäumen und Häusern, mitten in der Stadt.

Bild: ©katholisch.de/cph

Gar nicht so einfach: Das Spiel des Lebens.

"In diesen fünf Stationen geht es um Themen, mit denen sich alle Religionen beschäftigen", sagt Plhak. Sie machen die erste Hälfte des Gartens aus. Die weiteren fünf Stationen stehen für die fünf Weltreligionen, die jeweils durch ein in den Boden eingelassenes Symbol und ein in einen Stein gemeißeltes Symbol dargestellt werden: Christentum (Kreuz, Beziehung), Judentum (Davidstern, Treue), Islam (Halbmond, Ehrfurcht), Hinduismus (Om-Zeichen, Vielfalt) und Buddhismus (Rad des Buddha, Gelassenheit). Die Religionsstationen ziehen sich wie eine Art Kapellenkranz um die alle Religionen umfassenden Stationen. Das Ziel: "Die Leute sollen hier ins Gespräch kommen – über ihren eigenen Glauben und jenen der anderen." Da war schon in der Konzeptionsphase viel Fingerspitzengefühl gefragt: Welche Symbole repräsentieren eine Religion, sind aber gleichzeitig nicht heilig, denn sie stehen auf Steinplatten im Boden.

Vor einigen Jahrzehnten wuchsen an gleicher Stelle noch Gemüse und Kräuter. Denn ursprünglich war das alles hier ein Klostergarten, die Gebäude drumherum wurden bis 1911 als Sitz des Jesuitenhauses, des sogenannten "Canisiushauses" gebaut. Doch die Ordensleute wurden weniger und zogen Ende der 1990er aus. "In Via" übernahm die Gebäude – und stellte sich irgendwann die Frage, was mit dem Garten geschehen sollte. "Die erste Idee war ein Parkplatz", lacht Plhak, "das ist heute nicht mehr vorstellbar." Eine vom Verband beauftragte Landschaftsarchitektin warf die Frage auf, ob es nicht ein Thema für den neuen Garten geben sollte. Irgendwas mit Glaube und Spiritualität lag auf der Hand. "Aber wir sind hier in der Kölner Südstadt in einem multikulturellen Umfeld – da war klar, dass es nicht der Garten der Religion, sondern ein Garten der Religionen sein sollte." So entstanden die zehn Stationen, bewusst in schlichten Formen. Eine Stele, ein Zeichen im Boden, mehr ist es oft nicht. "Wir feiern hier auch unser Sommerfest, hier wird gepicknickt. Wir wollten kein Disneyland, wir wollten einen vielfältig nutzbaren Garten." Der ist für alle offen. Jeder, der mag, kann vorbeikommen, entweder um die Stationen abzulaufen oder einfach um in der Mittagspause etwas auszuruhen. Es gibt sogar ein kleines Café dort.

Manche Schulen kommen seit Jahren

Schon kurz nach Beginn des Projektes gab es Anfragen nach Führungen durch den Garten – und die Sozialpädagogin Plhak stieß zum Team. Seit 2011 führt sie nun Gruppen durch den Garten, von Multiplikatoren wie den Lehramtsstudierenden heute bis hin zu Pfarreigruppen oder Schulklassen. Manche Schulen kommen seit Jahren.

Bild: ©katholisch.de/cph

Anne Plhak führt Gruppen durch den Garten der Religionen.

Die Aufgabenstellungen sind äußerst unterschiedlich. Die Studierenden sitzen in einem Pavillon am Rande des Gartens und sollen die Begriffe den Religionen zuordnen. Schnell wird klar: Was zu wem gehört, ist eine Frage der Perspektive: Dass Gelassenheit und Vielfalt irgendwo bei den indisch-asiatischen Religionen Buddhismus und Hinduismus zu suchen sind, da ist sich die Gruppe schnell einig. Aber gehört jetzt eher die Treue zum Christentum oder die Ehrfurcht? Mit diesen Fragen stoßen die Besuchenden direkt ins Herz des Projekts. "Natürlich lassen sich alle Begriffe auf alle Religionen anwenden. Uns geht es darum, darüber zu sprechen", sagt Plhak. "Der Garten ist eine Folie, auf der die Gruppe miteinander in Dialog treten soll." Bei den künftigen Lehrerinnen und Lehrern stehen eher didaktische Zugänge zum Interreligiösen Dialog im Vordergrund. Bei vielen Schulklassen geht es aber auch an die Substanz. Plhak beobachtet, dass es oft ähnliche Fragen sind, die sich die Menschen stellen: Was sie glauben, was wichtig im Leben ist, was Anhänger verschiedener Religionen glauben.

"Nur, weil auch hier im Viertel viele unterschiedliche Menschen zusammenleben, heißt das nicht, dass es weniger Vorurteile gibt", sagt Plhak. "Religion ist ein Thema, dass etwa in Sportvereinen oder an anderen Freizeitorten oft umgangen wird." Gläubige Muslime etwa hätten oft den Eindruck, dass ihrer Religion mit Unwissen und Kritik begegnet werde. "Hier können sie erzählen, hier treffen sie auf ein Umfeld, in dem ihre Erfahrungen wertgeschätzt werden", sagt sie. Gleiches gelte auch für religiöse Christen. Religiosität wird im Garten direkt sichtbar: Der Halbmond ist deutlich sauberer als die anderen Symbole – weil ihn muslimische Schüler bei ihren Besuchen oft von Laub und Kieselsteinen befreien. "Auch, wenn sie eigentlich nicht religiös sind, als Minderheit ist die eigene Religion ein festes Identifikationsmerkmal für sie."

Raum für Sorgen

Ebenso Raum soll es aber auch für Bedenken und Sorgen geben: "Einige Menschen haben den Eindruck, dass man heute nicht mehr sagen dürfe, was man denke – hier darf das jede und jeder aber durchaus", betont Plhak. Ihr liegt daran, eine gemeinsame Grundlage zur Diskussion zu schaffen. "Mir geht es nicht um Friede, Freude, Eierkuchen. Natürlich haben die Religionen einiges gemeinsam – aber genauso gibt es handfeste Unterschiede. Die müssen wir benennen." Eine Grenze gibt es aber hei Hass oder Verschwörungserzählungen. "Wir gehen hier mit einer Haltung des Dialogs an die Religionen heran. Wer da nicht mitziehen will, braucht uns nicht." Sie hat Führungen deshalb auch schon abgebrochen. Doch auch, wenn die Besuchenden im Garten für den Dialog offen sind: Abgeschlossen ist hier nichts. Wenn nach eineinhalb Stunden eine Führung endet, ist oft noch Gesprächsbedarf. So manche Gruppe hat danach noch einen Termin gemacht. Eine katholische Frauengruppe habe sich nach ihrem Besuch etwa schon Kontakt zu einer islamischen Frauengruppe gesucht, erzählt Plhak.

Bild: ©katholisch.de/cph

Der Garten ist auch ein Ruheort in der Großstadt.

Nicht nur innerhalb der Gruppen bemerkt sie, dass sich das gesellschaftliche Klima seit der Eröffnung des Gartens 2011 verändert hat: Statt Pfarreigruppen, die seit der Corona-Pandemie deutlich seltener kommen, prägen nun Hauptberufliche das Bild, die sich weiterbilden möchten – zum Teil auch in Tagesseminaren. "Wir brauchen das in unserer Gesellschaft. Es geht nicht in erster Linie darum, ganz viel Wissen anzuhäufen, sondern mit einer Haltung des Dialogs und der Wertschätzung auf andere zuzugehen", sagt Plhak. Das gilt auch angesichts der Themen, die die Menschen heute bewegen: Islamistischer Terrorismus, Migration, der Nahostkonflikt – das alles kommt bei den Führungen auf. Plhak hat bei den vielen Führungen, die sie macht, gelernt: "Das größte Hemmnis ist die emotionalisierte Empörung. Da steigert man sich in etwas rein und bewertet einander nur." Wichtig sei dagegen: "Mal gegenseitig zu- und hinhören, Gemeinsamkeiten finden und Differenzen herausarbeiten. Viele Gruppen können mit der eigenen Vielfalt viel einfacher und erfolgreicher umgehen, als sie zunächst gedacht haben." Manchmal helfe es da, wenn sich Menschen im Garten ermutigt fühlten, einfach zu sprechen, wenn auch provokant. "Wir brauchen diese Auseinandersetzung. Frieden auf der Welt ist nur durch den Frieden zwischen den Religionen möglich." Da ist der ganze Garten ein Statement: Er atmet den Geist des Konzilsdokuments "Nostra aetate" (1965), mit dem sich die Kirche neu gegenüber den anderen Religionen positionierte.

Das ist auch der Grund, warum Gruppen aus anderen Religionen zwar eingeladen werden, aber nicht an der Konzeption des Gartens mitgewirkt haben. "Wir sind ein katholischer Verband. Wir drücken hier unser Bild des Interreligiösen Dialogs aus", sagt Plhak. Wem das nicht gefällt? Der soll vorbeikommen. "Kritik auch am Garten an sich ist willkommen. Gemeinsam können wir immer noch was lernen."

Von Christoph Paul Hartmann

Adresse des Gartens der Religionen

Stolzestraße 1a

50674 Köln