Vor 900 Jahren Kircheneinsturz in Cluny – Omen für den Niedergang

Das wird ein wirklicher Wumms gewesen sein auf der damals größten Baustelle der Welt. 1125 stürzte ein mächtiger Teil des fast fertiggestellten Kirchenschiffs von Cluny ein, der größten Kirche der Christenheit. Mangelhafte Statik des gewagten Bauwerks war geradezu ein Sinnbild dafür, dass im mächtigsten Klosterimperium Europas (und damit der damals bekannten Welt) etwas aus dem Lot geraten war. Denn zeitgleich ging vor genau 900 Jahren ein Riss durch die Mutterabtei der Cluniazenser. Ein Teil der Mönche hielt im "Klosterkampf" von Cluny zum eigentlich abgelösten und nun aus Jerusalem zurückkehrenden Abt Pontius, die anderen zu seinem Nachfolger Petrus Venerabilis.
Zu dieser Zeit war Cluny in Burgund ein geistliches Zentrum der gesamten Christenheit. Seine Architektur, seine Kunst, seine geistliche Impulse strahlten auf ganz Europa aus. Rund 10.000 Mönche lebten in 1.400 cluniazensischen Klöstern, von Italien bis nach Schottland und Siebenbürgen. Ihr Haupt, die Mutterabtei in Burgund, sollte eine entsprechend riesige Kirche erhalten. Die romanische "Cluny III", erbaut zwischen 1088 und 1230, war ein Statussymbol zur höheren Ehre Gottes.
Bautechnische Spitzenleistungen
Bautechnische Spitzenleistungen wurden vollbracht, die in vielem bereits die Romanik überwanden und die Gotik vorwegnahmen. Der alte Stil und seine Dimensionen wurden derart auf die Spitze getrieben, dass dafür neue Techniken her mussten. So leitete die Anwendung von Spitzbögen einen Teil der riesigen horizontalen Auflast in die Vertikale ab. Die Mauern konnten so wesentlich höher, weniger massiv, durchlässiger für Fenster und also lichter werden. Allerdings ging das 1125 beim ersten Versuch für das immense Mittelschiff mit 187 Metern Länge noch schief. Beim Wiederaufbau sollte man dann die Konstruktion mit mächtigen äußeren Strebebögen verstärken, um den Außenschub abzuleiten.
Holzmodell des Zustands der Abtei von Cluny vor ihrer Zerstörung.
Zeitgleich mit dem Kollaps an der Konstruktion begann es auch im Inneren der Gemeinschaft nicht mehr zu stimmen. Neben Tendenzen zur Verselbstständigung einzelner Klöster brachten die aufkommende Geld- statt Naturalwirtschaft und die drückenden Kosten für die riesige Klosterkirche den Tanker Cluny ins Schlingern, trotz des damals größten Geldvermögens in Europa. In den sechs Jahrzehnten unter Abt Hugo I., dem Großen (1049-1109) war der Klosterverband zu seiner höchsten Blüte gelangt. Zugleich überschritt er wohl in der Rückschau eine kritische Größe.
An der Amtsführung von Hugos Nachfolgers Pontius von Melgueil gab es in den ersten Jahren wenig auszusetzen, wie die Quellen übereinstimmend berichten. Doch bei seiner Romreise 1122 eskalierte offenbar eine Begegnung mit Papst Calixt II., selbst Burgunder und seit Jahrzehnten der erste Nicht-Ordensmann auf dem Stuhl Petri. Er konfrontierte den Abt von Cluny mit schweren Vorwürfen. Woher diese kamen, ist bis heute unklar: aus dem Klosterverband oder der Abtei selbst – oder von burgundischen Bischöfen, die sich zu dieser Zeit massiv an angeblichen territorialen Übergriffen Clunys stießen und sich damit an den Papst wandten, den traditionellen Schutzherren der Cluniazenser? Ein ähnlicher Konflikt lief jedenfalls parallel zwischen der Ur-Abtei der Benediktiner auf dem Montecassino und den dortigen Bischöfen.
Gab Pontius sein Amt zurück oder wurde er entlassen?
Gab Pontius im Zorn sein Amt zurück – oder entließ ihn der Burgunder-Papst? Das Register jenes Papstes, das Aufschluss geben könnte, ist nicht überliefert. Jedenfalls ging Pontius direkt aus Rom auf Pilgerschaft ins Heilige Land, und Calixt wies die Abtei von Cluny zur Wahl eines neuen Abtes an. Es wurde, am 22. August 1122, der noch junge Pierre Maurice de Montboissier aus der Auvergne, später bekannt als Petrus Venerabilis, "der Verehrungswürdige".
Zwei Jahre später gibt es neue Nachrichten von Pontius, der in Italien und (dem heutigen) Frankreich alte Freunde besuchte und dabei durchaus auch zu politisieren begann. Die Quellen legen nahe, dass er sich selbst noch als Abt von Cluny – oder zumindest als zu Unrecht entfernt – ansah. Petrus Venerabilis seinerseits gibt in seinem Bericht der Zeitläufte – der wohl etwa 20 Jahre nach den Ereignissen entstand – ein verzerrendes Bild wieder; jedenfalls lässt er mehrere entscheidende Fakten weg.
Bernhard von Clairvaux (um 1090-1153) sparte nicht mit Polemik gegen Reichtum und Prunk der Klöster.
Als Pontius persönlich mit Gefolgsleuten in Cluny auftauchte – bewaffnet, wie es heißt –, schien die Abtei gespalten, inklusive Bediensteten, Lehnsleuten und Bauernschaft. Pontius fühlte sich jedenfalls so im Recht, dass er nach Rom eilte, um vom Papst sein Amt als Abt einzufordern. Doch Honorius II. sprach darauf den Bann gegen Pontius und "die Pontianer" aus. Darauf soll Pontius – zumindest laut Petrus Venerabilis – geantwortet haben, dass kein Lebender, sondern nur Petrus im Himmel ihn bannen könne. Pontius wurde jedenfalls verhaftet und eingekerkert. Ende 1126 starb er in römischer Gefangenschaft.
Nachdem der junge Petrus die Revolte des Pontius überstanden hatte, ging er die existenziellen Probleme seines Klosterkonzerns an. Inmitten zunehmender wirtschaftlicher Probleme, Verfall der Ordensdisziplin und inneren Streitigkeiten führte er den Verband in seiner über 30-jährigen Amtszeit noch einmal zu einer Blüte. Die Cluniazenser widmeten sich fast ausschließlich der Liturgie, dem "ora" der Benedikt-Regel. Von jeglicher Handarbeit – dem "labora" – waren sie befreit. Das und eine immer größere Prachtentfaltung bot Angriffsfläche für die Konkurrenz neuer, aufstrebender Orden, etwa der Zisterzienser.
Der Leuchtturm Cluny hatte zu flackern begonnen
Deren prägende Gestalt, der heilige Bernhard von Clairvaux (um 1090-1153), sparte nicht mit Polemik gegen Reichtum und Prunk der Klöster und das kommode und entbehrungsarme Leben der Cluniazenser. Mit einem erneuerten, radikalen Armutsideal eroberten die Zisterzienser den Kontinent. Denn im Zuge einer neuen Bußfertigkeit suchten viele Menschen zu Beginn des 12. Jahrhunderts im Kloster eher das "richtige" Mönchtum denn materielle Sicherheit.
Tatsächlich gab es bei den Cluniazensern nicht wenig Beschwerden über eine mangelnde spirituelle Güte der Kandidaten. Petrus Venerabilis setzte dagegen – modern gesprochen – eine Qualitätsoffensive. In zwei Generalkapiteln, 1132 und 1146, setzte er mit Billigung des Papstes neue, strengere Statuten für seinen Klosterverband durch. Die Liturgie wurde wieder bescheidener, das mönchische Leben wieder ernster genommen. Für eine Zeit gelang es dem effizienten Verwalter noch einmal, seinen verunsicherten Ordensverband zu stabilisieren. Dennoch: Die Klosterrevolte von 1125 und der gleichzeitige Einsturz der Mittelschiffgewölbe waren ernste Anzeichen des Niedergangs. Der Leuchtturm Cluny hatte zu flackern begonnen.