Theologe: In Krisen müssen Teile des interreligiösen Dialogs ruhen

Felix Körner ist nicht nur Theologe und Priester, sondern auch Islamwissenschaftler. Als Professor am Lehrstuhl für Theologie der Religionen an der Humboldt-Universität in Berlin begleitet der Jesuit Studierende verschiedener Glaubensrichtungen täglich im interreligiösen Dialog. Im katholisch.de-Interview erklärt er, warum nicht jede Frage zu jeder Zeit erlaubt ist und was den interreligiösen Dialog in Deutschland verbessern würde.
Frage: Herr Körner, der Krieg im Nahen Osten sowie in der Ukraine wird auch von religiösen Gruppen unterstützt. Was bedeutet das für den interreligiösen Dialog?
Körner: Es gibt grundsätzlich zwei Formen des interreligiösen Dialogs: den theologischen und den diplomatischen. Wenn Krisen hochkochen, ist der theologische Dialog kaum möglich. Ein Beispiel: Eine Vertreterin einer deutschen Diözese, die für Islambeziehungen zuständig ist, veröffentlicht nach dem 7. Oktober ein Statement. Darin steht, dass das Bistum für alle Opfer bete. Eine Rabbinerin teilt als Reaktion daraufhin mit, dass sie jeden Dialog mit der katholischen Kirche abbreche. Man könne nach diesem Überfall nicht für alle Opfer beten. Nach solchen Einschnitten ist zwischen diesen Parteien erst einmal nur noch ein diplomatischer Dialog möglich.
Frage: Und wie sieht der Dialog in einer solchen Stimmung aus?
Körner: Nicht in jeder Frage kann man zu solchen Zeiten weiterkommen. Heikle Themen wie die Frage, ob Gott ein Volk auserwählt hat oder ob Jesus der Sohn Gottes ist, stellen wir dann zurück. Trotzdem kann man sich mit anderen Gläubigen oder Nicht-Gläubigen zusammensetzen und beispielsweise gemeinsam humanitäre Hilfe organisieren.
Frage: Der Krieg in Gaza mobilisiert in Deutschland gerade viele Menschen. Deutschlands historisches Verhältnis zu Israel stößt auf einen großen Teil der Bevölkerung, der sich an die Seite Palästinas stellt. Wie erleben Sie diese Polarisierung in Ihrer Arbeit?
Körner: Viele unserer Studierenden machen seit weit über einem Jahr darauf aufmerksam, dass man in Deutschland nicht ehrlich genug kritisiert, was israelische Soldaten und Siedler in Gaza und im Westjordanland tun. Langsam stößt dieser Vorwurf nun auf Verständnis bei den Regierenden hierzulande.
Der Jesuit und Islamwissenschaftler hat an der Berliner Humbold-Universität die Professur "Theologien der Religionen" inne.
Frage: Welche Faktoren sind aus Ihrer Sicht zentral für einen gelingenden interreligiösen Dialog?
Körner: Papst Franziskus hat das einmal treffend formuliert: Man braucht Mut zum Gegenüber. Das heißt dreierlei: sich ehrlich auf das Gegenüber einzulassen; die Bereitschaft, den anderen als wirklich "anders" anzuerkennen und sich auch vom anderen als anders wahrnehmen zu lassen. Dafür braucht es eine solide Kenntnis der eigenen religiösen Tradition und Gemeinschaft, um fundiert und verantwortungsvoll in den Dialog treten zu können. Und schließlich braucht es den Mut, mit dem anderen zusammen die Zukunft unseres Landes und Kontinentes zu gestalten. Aber gehen wir über das hinaus, was Franziskus gesagt hat: Es braucht ein Diversitätsrecht, also die staatlich abgesicherte Möglichkeit, anders zu glauben, den Glauben zu wechseln oder auch keiner Religion anzugehören. Ebenso wichtig ist ein Disparitätssinn. Das bedeutet, ein Gespür zu haben für die unterschiedlichen Kulturen und sprachlichen Voraussetzungen der Dialogpartner. Nur in einem fairen, geschützten und respektvollen Umfeld kann ein echter theologischer Austausch stattfinden.
Frage: Das versuchen Sie an der Humboldt-Universität. Was bringt denn dieser Austausch einer kleinen Gruppe Akademikerinnen und Akademiker?
Körner: Wir bilden Menschen mit Religionsexpertise aus: für Medien, Behörden, Gesellschaft. Das sind vor allem Religionslehrerinnen und -lehrer, die ihre Kenntnisse der eigenen Religion und der Neugierde auf andere an die nächste Generation weitergeben. Sie lernen von Anfang an, sich mit Andersglaubenden und auch Kritikern der eigenen Religion auszutauschen. Genauso sieht auch die Realität aus, auf die sie in ihrem Berliner Berufsalltag stoßen. Unsere Studierenden werden so zu Multiplikatoren des interreligiösen Dialogs.
Frage: Wie können diese Multiplikatoren denn in ihre Gemeinschaften hineinwirken?
Körner: Die meisten werden keine Leitungsämter in Gemeinden haben, da wir keine Imame oder Priester ausbilden. Dennoch erlebe ich persönlich ein Interesse von beispielsweise türkischsprachigen Muslimen hier in Berlin, vom Christentum zu erfahren. Sie laden mich als Theologen und Priester ein, um etwas von meiner Religion zu erzählen. Bei dieser Form des interreligiösen Dialogs ist aber natürlich zu beachten, dass in vielen Gemeinschaften das nötige Wissen über die eigene theologische Tradition, die islamische Theologie, fehlt, um sich theologisch auszutauschen. Es geht dann mehr um Religionskunde.
„Es braucht mehr Ausbildungsstätten, die interreligiöse Kompetenz vermitteln – insbesondere auch für pastorale Mitarbeitende.“
Frage: Auch unter Teilen deutscher Christen herrscht wie in der gesamten Gesellschaft neben Unwissen über andere Religionen auch antimuslimischer Rassismus. Kann der interreligiöse Dialog da ein Gegenmittel sein?
Körner: Antimuslimischer Rassismus entsteht vor allem dort, wo Menschen keinen persönlichen Kontakt zu Muslimen haben. Das wichtigste Gegenmittel ist dann kein Vortrag eines Theologen oder Soziologen, sondern echte Begegnung. Es braucht kein Setting, in dem man sich gegenübersitzt und über die verschiedenen Religionen spricht. Viel hilfreicher ist ein Miteinander, bei dem man etwas gemeinsam gestaltet und sich so annähert. Wir in Berlin veranstalten dafür beispielsweise Kiezfeste. Das ist nicht im theologischen Sinne interreligiöser Dialog, aber dieser Dialog des Tuns kann erst einmal viel wirksamer sein.
Frage: In Deutschland sind immer weniger Menschen Teil einer christlichen Kirche. Hat der interreligiöse Dialog überhaupt noch eine Relevanz in unserer Gesellschaft?
Körner: Je weniger sich Menschen einer Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen, desto lauter sind oft ihre Urteile über Religion – besonders über solche, die ihnen fremd erscheinen. Religiöses Unwissen führt zu Misstrauen. Gerade deshalb ist es eine zentrale Aufgabe der Theologie, religiöses Wissen zu vermitteln – nicht nur mit den spitzen Fingern der sogenannten Religionswissenschaft, sondern aus der theologischen Kompetenz heraus, das eigene heute neu zu verstehen.
Frage: Was wünschen Sie sich für die Zukunft des interreligiösen Dialogs – gerade in einer Zeit, in der immer mehr von einer gespaltenen Gesellschaft gesprochen wird?
Körner: Es braucht mehr Ausbildungsstätten, die interreligiöse Kompetenz vermitteln – insbesondere auch für pastorale Mitarbeitende. Eine zentrale Rolle hat außerdem der Religionsunterricht, der beispielsweise in Berlin gestärkt werden muss. Ich wünsche mir, dass weiterhin glaubende Lehrkräfte dieses Fach unterrichten. Es soll sowohl konfessionelle Phasen als auch gemeinsame, religionskundliche Elemente enthalten. Besonders religiös übergreifendes Unterrichten als Team kann das nötige Feingefühl für einen gelungenen Austausch liefern. Nur so können die Grundlagen für einen theologischen interreligiösen Dialog gelegt werden.