Wegen Hitlers Plänen verschwanden die Kirche und das ganze Dorf

Ein Altar kehrt heim: Lathen-Wahn holt ein Stück Geschichte zurück

Veröffentlicht am 13.08.2025 um 00:01 Uhr – Von Beate Kampen – Lesedauer: 
Ein Altar kehrt heim: Lathen-Wahn holt ein Stück Geschichte zurück
Bild: © privat

Lathen-Wahn ‐ Ein barocker Altar, ein verschwundenes Dorf und die Sehnsucht nach Heimat: 200 Jahre stand ein Hochaltar in einer niedersächsischen Dorfkirche – bis der Ort im Zweiten Weltkrieg abgerissen wurde. Jetzt holen sich die Nachfahren der Umgesiedelten ihren Altar zurück.

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Vor zwei Jahren bekommt Norbert Holtermann einen entscheidenden Hinweis von seiner Mutter. Im "Kirchenboten", der Zeitung im Bistum Osnabrück, hat sie gelesen, dass in Emden die Kirche St. Walburga geschlossen wird. Auch wenn die Kirche rund 70 Kilometer von ihrem Heimatort Lathen-Wahn entfernt ist, besteht zwischen dem Ort und der Kirche eine besondere Verbindung. Denn dort steht ein Altar, vor dem schon Generationen von Lathen-Wahnern gekniet haben, wie Holtermann, erster Vorsitzender des Heimatvereins und Bürgermeister, erzählt. "Der Altar muss wieder hierher", sagt also Holtermans Mutter zu ihrem Sohn.  Nach all den Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit wollen die Lathen-Wahner den Altar nun "nach Hause" holen.  

Lathen-Wahn im niedersächsischen Emsland ist während des zweiten Weltkrieges auf dem Reißbrett entstanden. Die 35 Familien, die zuerst dorthin ziehen, stammen alle aus dem wenige Kilometer entfernten Wahn. Über 1.000 Jahre lang befindet sich das Dorf in der Region Hümmling, bis es im Zuge des Zweiten Weltkrieges den Plänen der Nationalsozialisten weichen muss. Wo bis dahin über 170 Familien wohnten und der sogenannte "Dom des Hümmlings" stand, testet nun die Firma Krupp Waffen für die Kriegsführung des NS-Regimes. Ein Großteil der Wahner siedelt in umliegende Dörfer oder in einen der neugeschaffenen Orte wie Lathen-Wahn um.

Der Grund, warum so viele Lathen-Wahner immer noch an diesem Altar hängen, liegt in der Geschichte des über 275 Jahre alten Hochaltars, der 1749 vom westfälischen Barockarchitekten Johann Conrad Schlaun gebaut wurde.

„Es ist ein Stück Kulturgeschichte, das tief mit Lathen-Wahn verbunden ist.“

—  Zitat: Norbert Holtermann

Das prunkvolle Einrichtungsstück mit seinem rot-braunen Grundstein, den hellen Säulen, den Goldverzierungen und den freistehenden Petrus- und Paulus-Statuen stand nicht ohne Grund im kleinen Örtchen Wahn. Weniger als zehn Kilometer weiter lässt Clemens August I., Erzbischof von Köln, zugleich Fürstbischof von Münster, 1737 das Jagdschloss Clemenswert errichten. Für den großen Bau benötigt er jede Menge Arbeitskräfte und auch Menschen aus Wahn packen mit an. Als Lohn für ihre Arbeit beauftragt Clemens den Architekten seines Schlosses, den Wahnern einen Altar für ihren "Dom des Hümmlings" zu bauen.

Nach dem Abriss der Kirche 1941 sorgt ein ehemaliger Wahner dafür, dass der Altar weiter genutzt wird. Pfarrer Johannes Thomes, ein Sohn des Ortes, arbeitet zu der Zeit im Wallfahrtsort Rulle bei Osnabrück und stellt ihn dort auf. Als 1956 die St.-Walburga-Kirche in Emden gebaut wird, wandert der Altar dann dorthin. Über 80 Jahre steht er in der Kirche, circa 70 Kilometer von seiner Heimat entfernt.

In Lathen-Wahn bleibt der Altar – wie so viele Erinnerungen an die alte Heimat – aber unvergessen. Die Kirche im neuen Dorf wird wie der "Dom des Hümmlings" nach dem Heiligen Antonius benannt. Und auch ein Teil des barocken Altars landet in der Kirche: Das Gemälde in der Mitte des Hochaltars wird vor dessen Umzug nach Emden ausgetauscht. Die Darstellung des heiligen Antonius passt nicht in die neue Kirche. Die Lathen-Wahner aber hängen das Bild auf. "Das hat uns in jedem Gottesdienst an den Altar erinnert", erzählt Holtermann.

Bild: ©privat

Norbert Holtermann und Helmut Fischer haben sich dafür eingesetzt, dass der Altar zurück zu den Wahnern kommt.

So passiert erstmal lange nichts – bis zum Jahre 2023, als die Emdener Kirche geschlossen werden soll. Der Plan des Bistums ist es, den Altar im Archiv einzulagern - damit wollen sich einige Lathen-Wahner jedoch nicht abfinden. Die Idee, den Altar in die eigene Kirche zu holen, verbreitet sich schnell und stößt auf Begeisterung.  

Bevor die Aktion umgesetzt werden kann, müssen die Lathen-Wahner drei zentrale Fragen beantworten: Macht das Bistum mit? Können wir genügend Geld für Transport und Restauration auftreiben? Und vor allem: Passt der riesige Altar überhaupt in die kleine Kirche? Die letzte Frage kann Holtermann, ausgestattet mit einem Zollstock, nach einem kurzen Ausflug nach Emden schnell mit "Ja" beantworten. "Das Bistum musste man etwas überzeugen", sagt Helmut Fischer, Vorsitzender des Kirchenvorstands. Die Domschatzmeisterin des Bistums meinte, dass es für eine solche Aktion kein Budget gebe – lediglich die 5.000 Euro, die auch der Transport von Emden ins Archiv gekostet hätte. Doch die Lathen-Wahner ließen sich davon nicht aufhalten.

Dabei kamen hohe Kosten auf sie zu: 50.000 Euro  für Transport, Montage und Restauration. Dazu noch knapp 20.000 Euro für zusätzliche Umbaumaßnahmen wie eine neue Lichtanlage, die den Altar ausleuchten soll. Das Ziel von Heimatverein und Kirchenvorstand: die 65.000 Euro als Spenden zu sammeln.

Bild: ©privat

Für die Umbaumaßnahmen musste die Kirche für einige Wochen geschlossen bleiben.

Doch warum sollte man für einen jahrhundertealten Altar spenden, wenn in die Kirche meist nur 20 Gläubige zum Gottesdienst kommen? Für Holtermann liegt die Antwort auf der Hand: "Es ist ein Stück Kulturgeschichte, das tief mit Lathen-Wahn verbunden ist". Fischer ergänzt: "Wir sprechen immer davon, wie wichtig Tradition sei. Mit diesem Projekt können wir unseren Vorfahren wirklich etwas zurückgeben."

Mit einer Projektion des Altars wollen Heimatverein und Kirchenvertreter dem Dorf zeigen, wo der Hochaltar stehen würde. "Ich hatte wirklich große Bedenken, ob der Altar optisch in unsere Kirche passt", gibt Fischer zu. Doch die Projektion überzeugt ihn und andere Kritiker. Mehrere Tausend Euro kommen durch Privatspenden zusammen. Den Rest sammeln sie mit Spenden der Gemeinde Lathen, dem Landkreis Emsland, der Wisniewsky-Stiftung, der Sparkasse und der Volksbank.

Bald wird der Bischof den Altar weihen

Nachdem die Kirche St. Walburga profaniert wurde, konnten im Mai die Umbaumaßnahmen beginnen. In Emden zerlegten Handwerker den Altar in viele kleine Einzelteile und brachten ihn sicher verpackt zurück zu den Wahnern. Auf einem neu gemauerten Fundament bauten sie den Altar wieder auf. Das Bild des heiligen Antonius kam an seinen alten Platz in der Altarmitte. Auch den Ambo und den Zelebrationsaltar übernahmen die Lathen-Wahner aus der Emdener Gemeinde. "Wir brauchten was schlichteres, damit der Altar genügend Raum bekommt", erklärt Holtermann.

Jetzt fehlt nur noch der Feinschliff: "Der Altar muss auch richtig ausgeleuchtet werden, damit die Farben richtig zur Geltung kommen", so Holtermann. Am 15. August soll alles bereit sein für die Einweihung durch Bischof Dominicus Meier. In Lathen-Wahn träumt man schon von Besuchern, die sich für den Altar auf den Weg ins kleine Dorf machen. An der Gedenkstätte der ehemaligen Dorfstelle Wahn soll ein Schild angebracht werden, das Besucher auf den neuen Standort des Altars aufmerksam macht. All die Mühen haben sich laut Fischer gelohnt. Der Altar sei mit seinem barocken Stil zwar nicht der modernste. "Aber das ist der Kölner Dom auch nicht", entgegnet er. Für ihn und Holtermann war es jetzt an der Zeit, das Stück Geschichte zurück zu den Wahnern zu bringen.

Von Beate Kampen

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