Weltjugendtag 2005: "Mein Gott, was war das für eine Stimmung!"

Mehr als eine Million junger Menschen war im August 2005 in Köln aus aller Welt zu Gast zum Weltjugendtag. Als Generalsekretär verantwortlich beteiligt war damals Heiner Koch, heute Erzbischof von Berlin. Im Interview wirkt seine Begeisterung bis heute nach. Und auch nochmal würde Koch gerne das katholische Großevent in Deutschland gestalten, wenn auch ganz anders als in Köln vor 20 Jahren.
Frage: Erzbischof Koch, was haben Sie als Erstes vor Augen, wenn Sie an den Kölner Weltjugendtag denken?
Koch: Zunächst denke ich an die drei intensiven Jahre der Vorbereitung zurück. Mit einer internationalen Gruppe von 200 jungen Erwachsenen haben wir den Weltjugendtag konzipiert. Immer wieder kamen wir zu gemeinsamen Gottesdiensten zusammen, getragen von der Vision, den Weltjugendtag als Wallfahrt zu prägen. Wir durften erste Erfahrungen von Gastfreundschaft machen, zogen mit einem eigenen Wagen im Rosenmontagszug mit – und wuchsen im Laufe der Zeit zu einer geistlichen Freundschaft zusammen. Natürlich begleiteten uns auch Sorgen: um den geeigneten Ort für den Abschlussgottesdienst, um ein Budget, das knapp kalkuliert war. Doch die Gemeinschaft erwies sich als tragende spirituelle Kraft. Und unsere Idee, den Weltjugendtag als Pilgerweg mit den Heiligen Drei Königen zu gestalten, ist aufgegangen.
Frage: Und beim Weltjugendtag im August selbst?
Koch: Da habe ich sehr viele Bilder im Kopf. Mein Gott, was war das für eine Stimmung, was für eine Begeisterung! Die Deutschen haben sich mitreißen lassen, da ist der Funke von unseren Gästen auf uns übergesprungen. Volle Straßen mit vielen jungen Menschen – und die jungen Menschen, die am und auch im Rhein standen, als Papst Benedikt den Fluss entlang fuhr. Wir wollten damit erinnern an den Pilgerweg der Heiligen Ursula, die ja angeblich mit dem Boot nach Köln gekommen ist. So ist auch der Heilige Vater nach Köln gekommen. Ein besonderer Moment war für mich auch der Besuch der Kölner Synagoge mit dem Papst. Es war eine reiche Begegnung, und bis heute hält die Freundschaft zu denen, die damals die jüdische Gemeinde in Köln geprägt haben. Und es ist mir die Nacht auf dem Marienfeld in Erinnerung. Die jungen Menschen haben dort gemeinsam gebetet, gewacht und übernachtet. In Rom hatte man sich vorher nicht vorstellen können, dass eine Nacht der Anbetung voller Stille und voller wertvoller künstlerisch inspirierender Momente mit 800.000 Menschen gelingen könnte.
Frage: Was ist 20 Jahre später geblieben vom Weltjugendtag?
Koch: Die Erinnerung derer, die dabei waren. Egal, wohin ich seitdem im Ausland kam, viele erzählten mir, dass sie damals in Köln dabei waren. Sie erzählten vor allem von der Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Menschen und von der tiefen Spiritualität dieser Tage. Die Erinnerungen an diese Zeit tragen bis heute. Auch für mich bleiben tiefe persönliche Begegnungen in meiner Erinnerung. Und ich kenne eine ganze Reihe von Menschen, die durch den Weltjugendtag zum Glauben gekommen sind.
Frage: Aber hat sich der Weltjugendtag gelohnt? Von einer nachhaltigen Hinwendung zur jungen Generation oder volleren Kirchen ist wenig zu bemerken.
Koch: Erstmal ist mir wichtig: Wir haben den Weltjugendtag nicht als Mittel zum Zweck veranstaltet, um Jugendliche zu vereinnahmen oder von irgendetwas zu profitieren. Vielmehr haben wir unser Engagement als einen Dienst an der Jugend der Welt und an der Weltkirche verstanden. Abertausende haben geholfen, in Gemeinden, in Schulen, haben Urlaub dafür genommen, Geld gegeben, Gastfreundschaft geschenkt. Das hat für uns alle auch Freundschaft und Glaube gestärkt. Und wir haben uns anstecken lassen. Das war sicherlich auch für die Kirche und ihre Jugend in Deutschland notwendig. Damals hat viele eine Welle getragen, mit der Botschaft: "Wir stehen zu diesem Glauben und diesem Gott". Das hält aber nicht für alle Zeiten. Wir müssen heute genauso auf Jugendliche zugehen und sie in Gemeinschaft sammeln – viele kennen den christlichen Glauben überhaupt nicht und sind Kirche und Institutionen gegenüber skeptisch. Und als Kirche in Deutschland müssen wir uns fragen, wie wir diesen Weg zum Glauben unterstützen können und wo wir durch eigene Fehler ein Hindernis auf diesem Weg sind. Meinem Eindruck nach fällt es uns im Vergleich zu anderen Ländern besonders schwer, Jugendliche für den christlichen Glauben zu begeistern.
Berlins Erzbischof Heiner Koch war 2005 als Generalsekretär der Chef-Organisator des Weltjugendtags in Köln.
Frage: Was hätten Sie aus heutiger Sicht vor 20 Jahren anders geplant?
Koch: Köln ist damals an seine Grenzen gekommen: Der Bahnhof musste zum Beispiel immer wieder geschlossen werden, weil wir keinen dort mehr unterkriegten. Die Züge konnten nicht mehr fahren, weil die Bahnsteige zu voll waren. Und die Versorgung konnte nicht immer geleistet werden, weil die beauftragten Firmen schlichtweg nicht durch die Straßen kamen. Also – es gab organisatorische Herausforderungen. Aber ich bin immer noch dankbar für die Riesenbeteiligung und die große Unterstützung der Menschen. Was haben wir für eine Herzlichkeit damals erlebt! Und welches Glaubenszeugnis haben die jungen Menschen abgelegt für Christus und für die Kirche. Ich glaube, das ist das Große, was von damals in Erinnerung geblieben ist.
Frage: Bei Ihrer Begeisterung liegt die Frage auf der Hand: Gibt es bald einen Weltjugendtag in Berlin, ihrer neuen Wirkungsstätte?
Koch: Die Voraussetzung wäre, dass wir ganz neu überlegen dürften, wie ein Weltjugendtag in der heutigen Zeit aussehen soll. Gerade hier in Berlin sollte er sich an die ganze Gesellschaft richten. Es käme mir darauf an, dass wir davor und vor allem währenddessen mit Menschen in Berührung kommen, die schlicht und ergreifend noch nie etwas von Gott gehört haben und keine bewussten Erfahrungen mit ihm sammeln konnten. Wir sind hier in einer absoluten Minderheit, es bräuchte deshalb in unserem Auftreten eine große Bescheidenheit und eigentlich einen Weltjugendtag besonders auch für die Menschen, die bisher nicht an Gott glauben. Ein neuer Weltjugendtag in Deutschland könnte keine Kopie des Kölners sein. Mit anderen Prägungen und neuen Dialogen würde ich es versuchen, ja.
Frage: Haben Sie das an der entsprechenden Stelle im Vatikan denn schon mal erwähnt?
Koch: Der nächste Weltjugendtag 2027 ist an Seoul in Südkorea vergeben. Wir haben bisher nicht mit Verantwortlichen gesprochen. Ich habe den Eindruck, dass wir als Kirche in Deutschland gerade sehr mit uns selbst beschäftigt sind. Die Frage ist ja: Haben wir die geistige und geistliche Kraft, Vitalität und die Anstrengungsbereitschaft für einen Weltjugendtag? Ich bin überzeugt davon, dass er uns guttun würde.
Frage: Haben Sie schon ein Motto im Hinterkopf?
Koch: In unserer gesellschaftlichen wie auch kirchlichen Situation denke ich an das Thema des Heiligen Jahres 2025 "Pilger der Hoffnung". Hoffnung ist überall das Top-Thema. Ich erlebe, dass dazu auch gesellschaftlich etwas von uns als Kirche erwartet wird. Und mit Hoffnung kennen wir Christen uns ja wirklich aus. Aber noch einmal: Wir dürfen nicht diejenigen sein, die meinen, alles besser zu wissen oder zu können oder zu belehren. Sondern ich würde mir einen gemeinsamen Pilgerweg wünschen mit vielen Menschen und Gruppen auch außerhalb der Kirche, mit denen wir gemeinsam glauben lernen.