Erntedank – oder: Woher kommen eigentlich unsere Lebensmittel?
Meine kleine Tochter ist gerade ziemlich traurig. Vor ein paar Tagen habe ich ihr erklärt, dass die Erdbeer-Saison nun endgültig vorbei ist. "Aber warum?", hat sie mich gefragt. "Wir können doch im Supermarkt neue kaufen!" Für sie ist es noch schwer zu verstehen, dass ihr Lieblingsobst nicht einfach das ganze Jahr über verfügbar ist. Ihre große Schwester weiß schon ein bisschen mehr, aber auch sie wächst in einer Großstadt auf, in der es Lebensmittel zu jeder Zeit und in jeder Menge gibt.
Genau deshalb mag ich das Erntedankfest, das die Kirche in diesen Tagen feiert. Es erinnert uns daran, dass Essen nicht einfach im Regal entsteht, sondern dass es ein Geschenk ist – von der Natur, von den Tieren, von den Menschen, die dafür arbeiten. In unserer Berliner Alltagswelt geht dieses Bewusstsein leicht verloren.
"Also kommt die Milch wirklich aus der Kuh?"
Dieses Jahr haben wir auf unserem Balkon zum ersten Mal Tomaten angepflanzt. Für meine beiden Töchter war das ein kleines Abenteuer: Samen aussäen, gießen, warten. Jeden Morgen stürmten sie hinaus, um nachzuschauen, ob sich schon Blüten zeigen. Und als die ersten Tomaten reif waren, war die Begeisterung groß. "Die schmecken ja viel besser als aus dem Laden", wunderte sich meine große Tochter. Da war spürbar: Lebensmittel sind nicht selbstverständlich, sie brauchen Zeit, Pflege und auch Geduld.
Auch außerhalb unseres Balkons suchen wir solche Erfahrungen. Einmal im Jahr machen wir Urlaub auf einem Bauernhof in Südtirol, wo meine beiden Töchter sehr direkt erleben können, wie die Hühner ihre Eier legen, Schweine geschlachtet und Kühe gemolken werden. Beim ersten Mal stand meine kleine Tochter staunend da: "Also kommt die Milch wirklich aus der Kuh?" – für sie ein Aha-Erlebnis, das man nicht im Supermarkt-Regal bekommt.
Dankbarkeit und Wertschätzung für Lebensmittel
Im Alltag versuchen meine Frau und ich, dieses Bewusstsein wachzuhalten und unseren Kindern Dankbarkeit und Wertschätzung für Lebensmittel zu vermitteln. Ein voller Kühlschrank und ein gedeckter Tisch sind schließlich für Milliarden Menschen auf dieser Erde keine Selbstverständlichkeit.
Natürlich weiß ich, dass unsere Töchter in einer Gesellschaft groß werden, in der Überfluss normal ist. Aber gerade deshalb möchten wir ihnen vermitteln: Man wirft Essen nicht achtlos weg, auch krumme Gurken oder schrumpelige Äpfel kann man noch essen. Und manchmal gehört eben auch dazu, traurig zu sein, dass es Erdbeeren nur im Sommer gibt – und sich dafür umso mehr zu freuen, wenn die neue Saison beginnt. Erntedank ist für mich deshalb nicht nur ein Sonntag im Oktober, sondern eine Haltung, die wir üben wollen. Wenn meine Töchter verstehen, dass hinter jedem Apfel, jeder Tomate, jedem Glas Milch ein kleines Wunder steckt, dann hat dieses Fest seinen Sinn erfüllt.
