Kardinal Koch: Formel von Nizäa hat für alle Zeit Bestand

Seine erste Auslandsreise führt Papst Leo XIV. in die Türkei an den Ort des Konzils von Nizäa. Dort ging es 325 um Grundsätzliches: Die Natur Jesu. Was kann den Menschen dieses Jubiläum heute sagen? Im Gespräch erläutert der für Ökumene zuständige Kurienkardinal Kurt Koch die Bedeutung des Ereignisses.
Frage: Papst Leo XIV. reist bald nach Nizäa, das heute den türkischen Namen Iznik hat. Wie steht der türkische Staat zu dieser Reise und zu den ökumenischen Gedenkfeiern für das Konzil von Nizäa?
Koch: Eine wichtige Voraussetzung für die Reise des Heiligen Vaters ist die Einladung der betreffenden Regierung. Nach meinem Eindruck steht Präsident Erdogan den Veranstaltungen in der Türkei positiv gegenüber. Er war vor zwei Jahren sogar bei der Einweihung einer christlichen Kirche in Istanbul persönlich dabei, was durchaus bemerkenswert gewesen ist.
Frage: Warum ist das Konzil von Nizäa nach 1.700 Jahren noch wichtig?
Koch: Im Zentrum steht damals wie heute die Frage, wer Jesus Christus für die Christen ist. Das Judentum, aus dem das Christentum hervorgegangen ist, zeichnet sich durch einen strikten Monotheismus aus. Von daher war es lange schwierig, genau zu verstehen, was es konkret bedeutet, wenn Jesus als der Sohn Gottes bekannt wird. Es gab damals die Lehre des Arius, der am strikten Monotheismus festhielt, weshalb für ihn Jesus nicht der Sohn Gottes im eigentlichen Sinn sein konnte. Dieser Meinung trat das Konzil von Nizäa entgegen mit dem Bekenntnis, dass der Sohn mit dem Vater gleichwesentlich ist. Dasselbe wurde später auch für den Heiligen Geist bekannt. In Nizäa wurde damit die Grundlage für das richtige Verständnis dafür gelegt, dass die Dreifaltigkeit Gottes keine Abkehr vom Monotheismus bedeutet, sondern die christliche Interpretation des Glaubens an den Einen Gott ist.
Frage: Einige moderne Theologen haben behauptet, dass die Trinitätslehre noch nicht in der Bibel enthalten sei und dass der historische Jesus sich selbst keineswegs als "eines Wesens mit dem Vater" gesehen, sondern zum Vater gebetet habe ...
Koch: Bereits bei der biblischen Gestalt Jesus zeigen sich beide Seiten. Er betet als der Sohn zu seinem Vater und bringt damit zum Ausdruck, dass er von ihm verschieden ist. Die Evangelien zeigen aber auch deutlich die Einheit von Vater und Sohn. Je intensiver ich die verschiedenen Sichten in der Heiligen Schrift betrachte, desto mehr gewinne ich die Überzeugung, dass genau dieses Geheimnis des betenden Jesus mit dem Wort von der "Gleichwesentlichkeit" zum Ausdruck gebracht wird. In diesem Sinn weist die Trinitätslehre biblische Wurzeln auf, die freilich später in eine neue Zeit und Denkweise übersetzt worden sind.
„Der Primat des Papstes galt bisher als eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur Einheit der Christen; wenn wir ihn aber als ein Geschenk des Herrn an die Kirche und als Dienst an der Einheit verstehen, kann er zu einer wichtigen Hilfe bei der Wiedergewinnung der Einheit der Christen werden.“
Frage: Und warum ist dann die in Nizäa vor 1.700 Jahren geprägte, zeitbedingte Formel der "Wesensgleichheit" das, was bis heute Bestand hat und verbindlich ist?
Koch: Die Formel war durchaus zeitgemäß, jedoch nicht zeitbedingt. Mit ihr ist in der Denk- und Sprechweise der damaligen Zeit etwas ausgesagt worden, was für alle Zeit Bestand hat. Ihre Wahrheit gilt auch heute – auch wenn man den griechischen Ausdruck "homoousios" heute so interpretieren muss, dass er verstanden werden kann.
Frage: Und wie würden Sie diesen sperrigen Begriff für heutige Menschen übersetzen?
Koch: Am besten in der Weise, wie es dann das Konzil von Chalkedon im Jahre 451 mit der Formulierung zum Ausdruck gebracht hat, dass Jesus Christus "ganz Mensch und ganz Gott" ist. Dies ist zweifellos das größte Geheimnis, das der christliche Glaube kennt und bekennt.
Frage: Ein anderes Thema, das Ihnen sehr am Herzen liegt, ist das von Ihrem Dikasterium vorgeschlagene neue Verständnis vom päpstlichen Primat als einem Amt, das künftig allen Kirchen dienen soll. Wie steht es um die Rezeption dieses Vorschlags?
Koch: Die von uns im vergangenen Jahr vorgestellte und damals von Papst Franziskus ausdrücklich zur Veröffentlichung freigegebene Studie zu diesem Thema hat bereits ein breites Echo gefunden. Reaktionen aus verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sind bereits eingegangen. Der Vorschlag ist in den ökumenischen Diskussionen präsent und wir besprochen. Auch bei der Vollversammlung der Bischofssynode hat er eine wichtige Rolle gespielt und wird im Schlussdokument ausdrücklich zitiert. Wir erwarten noch weitere Reaktionen und werden dann sehen, welche weiteren Schritte eingeleitet werden können. Es mag paradox klingen, ist aber erfreulich: Der Primat des Papstes galt bisher als eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur Einheit der Christen; wenn wir ihn aber als ein Geschenk des Herrn an die Kirche und als Dienst an der Einheit verstehen, kann er zu einer wichtigen Hilfe bei der Wiedergewinnung der Einheit der Christen werden.
Frage: Könnte diese neue Art des Primats auch beim ökumenischen Nizäa-Jubiläum zum Tragen kommen?
Koch: Gewiss hat die Teilnahme von Papst Leo XIV. am Jubiläum des Konzils von Nizäa eine große ökumenische Bedeutung. Dabei ist zu bedenken, dass die Einladung vom ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. ausgesprochen worden ist und dass das Gedenken im Rahmen einer größeren ökumenischen Gemeinschaft begangen werden wird. In dieser gemeinsamen Feier kommt dem Papst gewiss eine bedeutende Rolle zu, und dies kann die weiteren Diskussionen über eine ökumenisch gemeinsame Praxis des petrinischen Dienstes weiter anregen.