Takuro Johannes Shimizu arbeitet seit einem Jahr als Kaplan in Zülpich

Ein Jahr Neupriester: Optimismus zwischen Kindergarten und Beerdigung

Veröffentlicht am 01.12.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Zülpich ‐ Ein Jahr hindurch hat katholisch.de den Neupriester Takuro Johannes Shimizu begleitet. Was bleibt nach zwölf Monaten kirchlichem Leben auf dem Land? Blick auf den Alltag der Kirche, der sich wie überall im Umbruch befindet.

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Als Takuro Johannes Shimizu den Gang des Kindergartens betritt, sehen ihn zwei kleine Jungen direkt mit großen Augen an. Der Mann im schwarzen Talar mit weißem Rochett ist keine alltägliche Erscheinung. Aus einem der hinteren Gruppenräume schallt es: "Wer muss nochmal aufs Klo?" Zwischendurch grüßt eine Erzieherin. Man kennt sich – denn Shimizu ist seit einem Jahr Priester und als Kaplan in Zülpich schon nicht mehr wegzudenken.

Langsam füllt sich der Raum, an dessen Rückwand die Jacken und Rucksäcke der Kinder der Kindertagesstätte St. Peter in Zülpich hängen. Heute wird hier der Gottesdienst zu St. Martin gefeiert. Für Shimizu mittlerweile Routine, obwohl er eigentlich nur einspringt. "Wir hatten viele Jahre einen sehr engagierten Gemeindereferenten hier, der mit den Kindergärten viel aufgebaut hat. Seit er versetzt wurde, haben wir das im Seelsorgeteam aufgeteilt." Shimizu zeigt das Manuskript für den Gottesdienst: St. Martin 2022. "Die Vorarbeit hilft mir sehr."

Bild: ©katholisch.de/cph

Im Kindergarten feiert Takuro Johannes Shimizu Gottesdienst.

Bald kommt auch Kirchenmusiker Holger Weimbs. "Gestern hast du was verpasst", sagt er. "Sankt Martin hatte ein Pferd voller bunter LEDs!" Weimbs singt mit den Kindergartenkindern regelmäßig, sie kennen ihn also und sind kaum erstaunt, als er mit einem großen Koffer ankommt und sein Akkordeon auspackt. "Es sind aber nicht mehr so viele Kinder im Kinderchor wie früher, weil die schon so jung in den Kindergarten kommen und dann noch zu jung für den Chor sind", sagt er. Dem Gesangsvolumen tut das keinen Abbruch: Die Kinder aus den drei Gruppen schmettern "Sankt Martin, Sankt Martin", während Shimizu eine Kerze anzündet. Der Gottesdienst dauert etwa zwanzig Minuten, inklusive einer Aufführung der Martinsgeschichte durch eine Gruppe Kinder. Der kleine Martins-Darsteller hat sichtlich Freude daran, mit seinem Schwert den lediglich von Klettbändern zusammengehaltenen Mantel an der entsprechenden Stelle zu zerteilen. Zum Abschluss singen die Kinder alle zusammen "Ich geh' mit meiner Laterne", wobei natürlich auf das "Rabimmel, rabammel, rabumm" besonderer Wert gelegt wird, inklusive Klatschen und Stampfen mit den Füßen.

Immer an die Zielgruppe denken

"Bei Kindern lote ich immer noch aus, wie ich am besten mit ihnen umgehe", überlegt Shimizu auf dem Weg zurück ins Pfarrhaus. "Ich muss meine Botschaften für sie so verpacken, dass sie sie verstehen." Mit den älteren Kindern ist er da schon weiter: Er hat die Messdienergruppen der einzelnen Gemeinden im Seelsorgebereich vernetzt, Tipps für Gruppenstunden gegeben und sich mit den Leitenden kurzgeschlossen. "Da sind wir jetzt in der Phase, dass ich auch ein Stück loslasse und sie auf eigene Beine stelle. Denn ich kann nicht alles machen." Das fällt ihm nicht schwer: "Wenn man Jugendlichen Raum gibt, sind sie offen, sich darin zu bewegen und selbst die Führung zu übernehmen."

Die richtigen Prioritäten setzen, das richtige Maß für die vielen Aufgaben finden, das ist für Shimizu seit seinem Amtsantritt eine der größten Aufgaben. Dazu gehört auch, die eigene Spiritualität noch unterzubekommen und Zeit für sich selbst zu haben. "Das erfordert alles ein enormes Maß an Disziplin", sagt er. Er weiß aber auch: "Das Gebet, eine Zeit der Stille, die gibt mir viel, dann bin ich viel fokussierter." Er hat eine Sanduhr geschenkt bekommen, die genau eine halbe Stunde Zeit abmisst. "Das ist meine Richtschnur, zusätzlich zum Gebet."

Natürlich könne er alles machen, "aber dann bin ich in ein paar Jahren Burn-out-Patient und falle monatelang aus, das hilft auch niemandem". Er versucht, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die wesentlich für seine Arbeit sind: Was bindet die Menschen an die Kirche? "Dazu gehört auf jeden Fall eine ordentlich gefeierte Liturgie", sagt er. "Die Struktur der Liturgie muss in der Feier spürbar werden. Das gibt Orientierung." Alles danach versucht er so aufzusetzen, dass es auch ohne ihn funktioniert.

Bild: ©katholisch.de/cph

Einen Ausgleich findet Shimizu beim Kochen.

Dabei lässt sich nicht alles, was die Jugendlichen erfahren, in den Gemeindealltag übernehmen. Zuletzt hat er eine kleine Gruppe von acht Messdienern zur Ministrantenwallfahrt nach Rom begleitet. "Solche Gottesdienste wie dort, dieses Gefühl von Weltkirche, das kriegen wir hier in Zülpich einfach nicht hin", weiß der Kaplan. Auch hier wieder: Disziplin, tun, was geht, und nicht Dingen hinterherjagen, die unerreichbar sind. Doch auch für ihn ist Disziplin oft eine Herausforderung: "Ich bin immer wieder zu lange am Handy."

Langsam wird es Mittag und Shimizu steht in der Küche. Es gibt Spaghetti Bolognese – alles vor Tagen selbstgemacht und eingefroren. "Ich habe dieses Mal mit dem Soffritto angefangen", also der italienischen Saucengrundlage aus Zwiebeln, Sellerie und Möhren, sagt Shimizu. Das Kochen ist eines der Mittel, mit dem er den Kopf frei bekommt – das schmeckt man. Dazu kommen lange Spaziergänge. "Wenn ich an einem Sonntag in einem der Dörfer bin, für die ich Ansprechpartner bin, dann gehe ich direkt dort eine große Runde." Präsent zu sein sei essenziell, sagt er: "Ich muss bei einer Sessionseröffnung oder einer Prinzenproklamation keine große Rede halten, ich muss da sein und ansprechbar sein. Die Leute sollen im Kopf haben: Der Herr Kaplan war da." Er weiß aber auch: Bei Festivitäten kann er nicht bis Spätabends bleiben – er braucht die Energie.

Denn die Aufgaben werden nicht weniger: Kommendes Jahr wird ein Kaplan versetzt und ein Pfarrvikar geht in den Ruhestand, das bedeutet mehr Arbeit für den Rest des Seelsorgeteams. "Ob da etwas nachbesetzt wird, wissen wir nicht. Wir planen erstmal so, als würde die Stelle nicht nachbesetzt." Der Mangel an Personal wie Gläubigen zeigt sich auch hier auf dem Land: Es wird dann weniger Gottesdienste geben. Es fehlt an Organisten, Küsterinnen – und an Geld. "Wenn die Kirche nicht beheizt ist, kommen die Leute nicht so gern." Auch in Zülpich zeigen sich allgemeine Entwicklungen: Beim letzten Zählsonntag kam heraus, dass zwar manche der 20 Kirchorte gut besucht sind, andere jedoch nicht. Das macht es schwer, manche Aktionen, an die Shimizu anfangs gedacht hat, auf die Beine zu stellen. Da ist etwa die Idee eines Kirchenkaffees nach der Sonntagsmesse. "In einer Gemeinde habe ich da zwei Ehrenamtliche gefunden, die sich darum kümmern und das ist auch schön. Aber so etwas zu etablieren, kostet viel Kraft", weiß er.

Flexibel sein

Da heißt es flexibel sein: Shimizu hatte zur vorösterlichen Fastenzeit eine Gruppe begründet, die sich regelmäßig traf, eine Folge der US-Serie "The Chosen" schaute und dann darüber sprach. Zwei Ausgaben hat es nach der Fastenzeit noch gegeben, dann hat sich die Formation aufgelöst. "Das eine geht, das nächste kommt", sagt Shimizu da nur. Denn zwei ehemalige Gruppenmitglieder gehen nun mit ihm regelmäßig joggen mit anschließendem Essen, der Kontakt bleibt bestehen. Zudem begleitet er zwei junge Paare im Rahmen eines Alpha-Kurses, bei dem es um die Grundlagen des christlichen Glaubens geht, wo auch wieder andere dazukommen.

Bild: ©katholisch.de/cph

Die Rettung: der Taschenaspergil.

Kurz nach der Mittagspause hat sich Shimizu schon wieder die Messgewänder über den Arm geworfen und ist auf dem Weg zum Auto. Es geht nach Füssenich, eine Beerdigung steht auf dem Plan. "Eigentlich mag ich Beerdigungen, auch wenn das komisch klingt", sagt er. "Da geht es um Biografien, Lebensgeschichten – und da stehen direkt ganz zentrale Fragen des Lebens im Mittelpunkt. Diese Mischung macht das sehr spannend. Außerdem kommen dann auch oft Leute mit der Kirche in Berührung, die sonst nicht in den Gottesdienst kommen." Doch auch hier geht es wieder um praktische Fragen: Wo ist Weihwasser vor Ort, wo muss er welches mitbringen? Aus diesem Grund hat er einen Taschenaspergil dabei, also einen Weihwassersprenger zum Mitnehmen. Den hat er zur Diakonweihe geschenkt bekommen. Hier ist er aber nur zur Sicherheit in der Tasche. "In Füssenich gibt es Weihwasser."

Vor der Kapelle wartet schon der Bestatter Norbert Sievernich. "Lange nicht gesehen", sagt er direkt. Blumen und Urne sind schon aufgebaut, jetzt ist noch der Lautsprecher dran. Bald erklingt zurückhaltende Klaviermusik. Von den Angehörigen ist noch niemand da. Shimizu geht in einen Nebenraum und zieht sich das Messgewand an. "Wo ist denn das Weihwasser?", fragt er beiläufig. "Weihwasser haben wir hier nicht", sagt Sievernich. Erleichtert holt Shimizu seinen Taschenaspergil hervor – und erzählt: "Als ich den mal vergessen hatte, musste ich improvisieren und habe mir Weihwasser aus dem Becken der Kirche geholt."

Bild: ©katholisch.de/cph

Zur Beerdigung sind viele Leute gekommen.

Die Angehörigen kommen. Shimizu blickt in seine Notizen zum Verstorbenen: Dreher in der örtlichen Papierfabrik, Mitglied in Chor und Karnevalsverein, ist immer mit dem Rad zum Fußballtraining gefahren, steht da. Doch im Gottesdienst erzählt Shimizu etwas anderes: Dass er ein zurückhaltender Mensch war, der nie auf die große Bühne wollte – und nach dem Tod seiner Frau fast jeden Tag an ihrem Grab war und mit ihr gesprochen hat, der seinen Nichten ein zweites Zuhause gegeben hat. Es sind viele Leute zur Beerdigung gekommen, der Mann war im Dorf bekannt. Der Gottesdienst ist dennoch kurz – der Wunsch nach einer Eucharistiefeier vor der Beisetzung wird deutlich seltener. Nach der Feier gehen die Trauernden in einer Prozession zum Grab. Die Zeremonie dauert nur wenig mehr als eine halbe Stunde. Für Shimizu Routine.

Dementsprechend gelassen steht er nach dem Gottesdienst dann vor der Kapelle, den Talar wieder über den Arm geworfen und noch auf einen Schwatz mit dem Bestatter. Kommende Woche steht schon die nächste Beerdigung an. Was bleibt nach einem Jahr Priestersein? Für Shimizu ist es trotz allem Optimismus: "Wir haben hier engagierte Leute, auch junge, bei denen ich viele Charismen sehe. Ich staune immer wieder selbst, wie tief doch viele Menschen noch im Glauben verwurzelt sind. Darauf kann man aufbauen!" Für Shimizu geht es wieder ins Auto, aber zu einem privaten Termin. Denn auch das ist wichtig für die Ausgeglichenheit – und Teil der Disziplin.

Von Christoph Paul Hartmann