Expertin: Religion dient rechten Bewegungen als politisches Werkzeug
Religion ist nach Überzeugung der Religionssoziologin Kristina Stoeckl für christlich-rechte Gruppen "Werkzeug" und "Triebfeder" zur Rückabwicklung der Nachkriegsordnung. In der Universität Salzburg sagte sie am Donnerstag, genau das sei Ziel von "Trumps MAGA-Amerika, Putins Russland, Viktor Orbáns Ungarn und politischen Kampagnen vieler rechter Parteien in Europa".
Vertreter der christlichen Rechten dürften aber nicht mit den Kirchen gleichgesetzt werden, betonte die in Rom lehrende Wissenschaftlerin. Sie seien eher Minderheiten innerhalb der Kirchen und stellten die Glaubensgemeinschaften als zu liberal infrage oder grenzten sich bewusst von kirchlichen Hierarchien ab. Die Wissenschaftlerin warnte, trotz ihrer Minderheitenrolle dürfe ihre politische Wirkung nicht unterschätzt werden: Der Anti-Liberalismus der christlichen Rechten führe in der politischen Praxis "sofort zu einem Abbau von Minderheitenrechten, von Pluralismus und zu einem Angriff auf die Mehrebenen-Architektur politischer Legitimierung, die die Nachkriegsordnung ausgezeichnet hat".
Ideologie, Institution und Strategie
Die christliche Rechte definiere sich aber nicht allein über Inhalte, sondern über das Zusammenspiel von Ideologie, institutioneller Form und politischer Strategie. Ideologisch verbinde die Strömung konservative, christliche Positionen mit Elementen rechtsextremer Weltanschauungen. Sie lehne Schwangerschaftsabbrüche und sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung ab, wende sich gegen die Rechte sexueller Minderheiten, bevorzuge patriarchale Familienmodelle, äußere sich islamfeindlich und strebe in Richtung einer christlich definierten Nation, so die Religionssoziologin.
Wesentlich sei also die institutionelle Ausprägung, nicht die Inhalte, da viele davon auch im christlichen Mainstream vorkämen, meinte Stoeckl. Christlich-rechte Akteure würden etwa als politische Parteien, als einzelne Politikerinnen und Politiker, als Netzwerke von Intellektuellen oder als zivilgesellschaftlich organisierte religiöse Gruppen auftreten.
Lobbying und Engführung
Religion diene christlichen Rechten nicht nur als Identitätsmarker, sondern als politisches Instrument zur Verschiebung demokratischer Spielregeln, sagte Stoeckl. Dabei würden christlich-rechte Akteure auch Mobilisierungsformen nutzen, die ursprünglich von progressiven Bewegungen entwickelt worden seien, etwa transnationale Vernetzung, professionelles Lobbying, Öffentlichkeitskampagnen oder strategische Klagen vor nationalen und internationalen Gerichten.
Die öffentliche Debatte würde dabei häufig auf globale Wertkonflikte bei Themen wie Abtreibung oder LGBTIQ+-Rechten reduziert. Die englische Abkürzung LGBTIQ+ steht vor allem für nicht-heterosexuelle Menschen, die sich etwa als lesbisch, schwul oder queer identifizieren. Der Rest der christlichen Soziallehre - wie Armutsbekämpfung oder Gastfreundschaft - und gesellschaftlichen Wirklichkeit werde ausgeblendet, so Stoeckl. Für die christlichen Kirchen bedeute das Engagement der christlichen Rechten folglich auch "eine gefährliche Engführung der Themen", mahnte die Soziologin. (KNA)
