Die "Vorweihnachtszeit" im Zeichen der nationalsozialistischen Ideologie

Verzerrte Traditionen: Die Transformation des Advents in der NS-Zeit

Veröffentlicht am 14.12.2025 um 14:00 Uhr – Von Fabian Brand – Lesedauer: 

Bonn ‐ Warum sagen wir heute oftmals "Vorweihnachtszeit" statt Advent? Das hat etwas mit der Zeit des Nationalsozialismus zu tun, in der die Machthaber versuchten, die christlichen Feste Advent und Weihnachten im Sinne ihrer Ideologie umzudeuten. Davon zeugt auch ein bis heute gesungenes Weihnachtslied.

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In ihrer konkreten Ausgestaltung sind Advent und Weihnachten geschichtliche Größen und deswegen dem Lauf der Zeit unterworfen. Vieles, was heute relativ selbstverständlich zum Advent dazugehört, ist erst im Lauf der Zeit entstanden und mitunter sogar noch relativ jung. Der Adventskranz zum Beispiel, den Johann Hinrich Wichern zum ersten Mal 1839 im Rauhen Haus in Hamburg aufhängte. Und andere Bräuche, die zum Advent gehörten, sind wieder abgeschafft worden oder in Vergessenheit geraten.

Eine besondere Transformation haben Advent und Weihnachten während der NS-Zeit erfahren. Das Ziel war es ja, alles, was einen christlichen Inhalt besaß, zurückzudrängen und mit der eigenen NS-Ideologie aufzuladen. Gerade bei allem rund um Advent und Weihnachten war das besonders ausgeprägt: Das Fest der Geburt des Erlösers Jesus Christus und sein Festkreis waren nicht nur selbstverständlich religiös geprägt. Sondern ihre Feier war auch mit vielen Bräuchen tief im Volksleben verankert. Für die Nationalsozialisten wohl ein Anreiz, sich gerade am Weihnachtsfest abzuarbeiten und sämtliche christliche Wurzeln zu kappen. Obwohl vieles von dem, was den nationalsozialistischen Weihnachtskult auszeichnete, mit dem Ende der NS-Zeit wieder verschwand, ist manches bis heute erhalten geblieben. Manchmal ohne freilich genau zu wissen, aus welchem historischen Kontext es stammt.

Weihnachten als Fest der allgemeinen Mutterschaft

Christinnen und Christen bezeichnen die Wochen vor dem Weihnachtsfest seit alters her als "Adventszeit". Der Name "Advent" kommt vom lateinischen Wort adventus, was so viel wie Ankunft bedeutet. Und das entspricht auch dem christlichen Inhalt dieser Zeit: Gläubige Menschen warten auf die Ankunft Christi in dieser Welt – seine Ankunft damals in Betlehem und seine Ankunft in der Welt am Ende der Zeiten. Im Sinne der NS-Ideologie war es quasi selbstverständlich, dass man diesen Advent transformieren musste, um ihn von seinem christlichen Inhalt zu befreien. Und das begann schon bei der Namensgebung: Aus dem Advent wurde die Vorweihnachtszeit; ein Begriff, der in den Augen der Nationalsozialisten weniger verdächtig erschien. Natürlich war mit Weihnachten auch nicht ein Weihnachten im christlichen Sinne gemeint. Sondern ein Weihnachtsfest, das ganz entsprechend nationalsozialistischer Ideologie umgedeutet wurde: als Fest der allgemeinen Mutterschaft, als Fest der Jultanne, als Fest der Sonnwende.

"Vorweihnachten" hieß dementsprechend auch eine Art Adventskalender, der von der Reichspropagandaleitung der NSDAP herausgegeben wurde. Darin sollten die Kinder nicht nur mit den Inhalten der nationalsozialistischen Weihnachten vertraut gemachten werden, sondern auch an militärische Themen herangeführt werden. "Wir bauen Schneebunker und Schneemänner", lautete eine Aufforderung in diesem Kalender. Und andernorts waren brennende russische Panzer und zerstörte englische Kriegsschiffe abgebildet.

Bild: ©picture alliance/KEYSTONE/ALESSANDRO DELLA BELLA (Symbolbild)

Das Lied "Hohe Nacht der klaren Sterne" wurde 1936 geschrieben und fand bald Eingang in die Weihnachtsliederbücher der Nationalsozialisten.

Bis heute hat sich die Rede von der "Vorweihnachtszeit" erhalten. Und egal ob im Radio, im Fernsehen oder in der Presse: Sehr häufig wird dieser Begriff benutzt, um damit jene Zeit zu beschreiben, die eigentlich Advent heißt. Natürlich tauchte das Wort von der "Vorweihnachtszeit" bereits vor der NS-Zeit auf und wurde dort schlicht als Synonym für den Advent benutzt. Erst die Nationalsozialisten versuchten mit diesem neuen Begriff auch etwas Neues auszudrücken: Eine Distanzierung vom alten, christlichen Weihnachtsfest und das Bekenntnis zu einer neuen Ideologie.

Wenn heute anstelle vom Advent von der Vorweihnachtszeit gesprochen wird, bleibt diese Distanzierung vom christlichen Inhalt zumindest teilweise erhalten. Der Advent besitzt ja einen doppelten Charakter: In der Ausrichtung auf das Kommen Christi vor 2.000 Jahren (also das, was wir an Weihnachten feiern) und in der Ausrichtung auf das Kommen Christi am Ende der Zeiten. Advent bedeutet im christlichen Sinne eben nicht nur Vorbereitung auf Weihnachten, sondern auch Vorbereitung auf die Wiederkunft Christi in unsere Welt. Diese Dimension geht freilich vollends verloren, wo man die Dezemberwochen nur mehr als "Vorweihnachtszeit" bezeichnet. Dort verliert sich der eigentliche Inhalt der Adventszeit und der Dezember wird nur noch als Vorbereitungszeit auf Weihnachten gesehen.

"Hohe Nacht der klaren Sterne"

Ein zweites Beispiel dafür, wie sich Teile der NS-Ideologie bis heute erhalten haben, ist das Lied "Hohe Nacht der klaren Sterne". Natürlich machte die Transformation des christlichen Weihnachtsfestes hin zu einem Fest der NS-Ideologie auch vor den Weihnachtsliedern nicht Halt. Sie wurden kurzerhand umgedichtet und sollten den "Führer" verherrlichen oder den Baum oder die Mutterschaft. Nicht viele von diesen Umdichtungen konnten sich im Volk halten. Am ehesten bekannt ist noch die Strophe des Liedes "Es ist für uns eine Zeit angekommen", in der es heißt: "Es ist für uns eine Zeit angekommen, / sie bringt uns eine große Freud. / Übers schneebedeckte Feld, / wandern wir, wandern wir, / durch die weite, weiße Welt." In der ursprünglichen Fassung von 1902 war noch von einer großen Gnad die Rede, die durch die Menschwerdung Christi den Menschen zuteilgeworden ist.

Als eines der wenigen neuen Lieder konnte sich "Hohe Nacht der klaren Sterne" auch über die NS-Zeit hinaus erhalten. Geschrieben wurde es 1936 von Hans Baumann und fand schon bald Eingang in die Weihnachtsliederbücher der Nationalsozialisten. Der Inhalt des Liedes war selbstverständlich kein Lobpreis auf die Menschwerdung Gottes, sondern ein Gesang, der die Pracht der klaren Sterne thematisierte oder von Feuern sprach, die überall in dieser Nacht brennen. Auch die Mutterschaft wurde verherrlicht. Die typischen Motive der NS-Weihnachtsideologie eben, die man eben auch über den Gesang im Volk verbreiten wollte.

Das Nürnberger Christkind
Bild: ©KNA/Katharina Gebauer (Archivbild)

Die Eröffnung des Nürnberger Christkindlesmarkt mit einem als Christkind verkleideten Mädchen geht ebenfalls auf die Nationalsozialisten zurück.

Interessant ist, dass "Hohe Nacht der klaren Sterne" auch nach 1945 noch in Weihnachtsliederbücher der Bundesrepublik aufgenommen wurde. Auch zahlreiche Vertonungen des Liedes gibt es: Zuletzt wurde es noch im Jahr 2013 von Heino aufgenommen. Oftmals wurde das Lied sicher aus der Unkenntnis seiner Herkunft weitergegeben und gesungen. Doch mitunter wird es auch ganz bewusst in rechtskonservativen Kreisen weiterverbreitet und gerade aufgrund seiner Herkunft aus der NS-Ideologie rezipiert.

Ein drittes Beispiel: Alljährlich wird am Freitagabend vor dem ersten Adventssonntag der Nürnberger Christkindlesmarkt eröffnet. Dabei tritt ein als Christkind verkleidetes Mädchen auf den Balkon der Frauenkirche und trägt den feierlichen Prolog vor: "Ihr Herrn und Frau'n, die ihr einst Kinder wart ...". Interessant ist dabei, dass eben diese Inszenierung, wie sie bis heute vollzogen wird, eine Erfindung der Nationalsozialisten ist.

Bräuche nicht nur pflegen, sondern auch kritisch hinterfragen

Sie wollten Nürnberg, die "deutscheste aller deutschen Städte", wie es in der NS-Propaganda hieß, wieder aufwerten. Dazu nutzten sie die Wiederbelebung des Christkindlesmarktes, der am Ende des 19. Jahrhunderts etwas an Bedeutung verloren hatte. Der Christkindlesmarkt wurde von den Nationalsozialisten auf den Hauptmarkt verlegt und mit einer prächtigen Zeremonie, deren Mittelpunkt das Christkind bildete, eröffnet. Ein Mädchen mit langen, blonden Locken, flankiert von zwei Rauschgoldengeln: Das passte gut in die NS-Ideologie, die sich ja vom "Christuskind" – einem männlichen, jüdischen Kind aus der Levante – distanzieren wollte. Bis heute hat sich an der Eröffnungszeremonie wenig verändert. Nur der Text, den das Nürnberger Christkind vorträgt, ist ein anderer geworden: Der Nürnberger Bürger Friedrich Bröger hat ihn 1948 neu gedichtet und von jeglichen Anklängen an die NS-Ideologie befreit.

Es ist wichtig, sich immer wieder nach dem Ursprung bestimmter Rituale oder Begriffe zu erkundigen. Denn manchmal werden ganz unbewusst Dinge aus einer Epoche rezipiert, von der man sich klar distanzieren möchte. Und manchmal ist es auch nötig, neue Rituale zu schaffen, um zu zeigen, dass man bewusst Abstand nimmt. Denn gerade darin liegt die Aufgabe unserer Zeit: Bräuche nicht nur zu pflegen, sondern auch kritisch zu hinterfragen.

Von Fabian Brand