Glockenschläge für den Frieden

Rovereto - das ist für viele nur eine Stadt neben der Brenner-Autobahn, auf dem Weg zum Garda-See, für andere der Ausgangspunkt zu Bergtouren hinauf auf den Monte Pasubio. Dort oben sind noch immer die Spuren jener Zeit zu sehen, auf die diese Friedensglocke zurückgeht: die verheerenden Alpenschlachten des Ersten Weltkrieges.
Wer auf der aus militärischen Gründen angelegten Schotterpiste - die "Strada degli Eroi" (Straße der Helden) - den Weg hinauf in die Berglandschaft nimmt, erreicht schließlich auf 1.934 Metern Höhe die Berghütte "Refugio Generale Papa", benannt nach einem italienischen General. Dahinter öffnet sich auf einer Hochebene die von Granaten, Verteidigungsstellen und Kassematten zerfurchte Landschaft, die auch heute noch deutliche Spuren des Krieges trägt. Hier verlief ab 1916 die Front zwischen den Österreichern und den Italienern. Der Alpenkrieg war wohl eines der härtesten, erbittertsten und sinnlosesten Gemetzel dieser Zeit.
Deutlich wird dies zum Beispiel an den beiden Gipfeln "Dente Austriaco" und "Dente Italiano". Kaum mehr als 100 Meter voneinander entfernt lagen sich hier auf den beiden Berggipfeln die feindlichen Armeen gegenüber und beschossen sich unentwegt. Ein Berg, durchlöchert von Festungsstollen und vollgepackt mit schwerer Artillerie, bis der eine Hügel schließlich vollkommen in die Luft gesprengt wurde.
Stacheldrahtreste zwischen Almblumen
Ein Gefallenenfriedhof für Österreicher auf dem Monte Pasubio bei Rovereto in Italien. Hier in den Alpen fanden im Ersten Weltkrieg ab 1916 erbitterte Gemetzel statt.
Heute ist es hier oben - jedenfalls unter der Woche - ruhig und einsam. Nur fern am Horizont tauchen die Silhouetten entfernter Wanderer am Grat auf. Der Monte Pasubio ist auch Teil des "Friedenspfades", des "Sentiero della Pace", eines mehrere hundert Kilometer langen Wanderwegs entlang des ehemaligen Frontverlaufes in den Alpen. Es herrscht Frieden hier oben, über das ehemalige Schlachtfeld ziehen Nebelschwaden. Zwischendurch blinzelt die Sonne durch und scheint auf wunderbar blaue Vergissmeinnicht, auf buttergelbe Gemswurzen, auf das leuchtend lila Leimkraut. Dazwischen immer wieder Stacheldrahtreste.
Die Wege führen durch zerklüftetes Gebiet. Vorbei an Grabkreuzen, die zum Gedenken an Tausende Gefallener mahnen - ihre ausgegrabenen Gebeine sind am Fuße dieser Holzkreuze angeordnet. Vorbei an den Schützengräben, die teilweise mit Zement befestigt wurden und nun wie Mäander des Krieges sich durch die zerschundene Landschaft schlängeln. Vorbei an kargen Hügeln, bei deren Erstürmung so mancher Soldat starb.
Interessierte suchen nach Überresten
Im Refugio Papa erinnern einige Schwarz-Weiß-Fotos an die Männer, die hier im Ersten Weltkrieg kämpften. Wo heute eine seltsame Bergeinsamkeit fasziniert, herrschte damals ein dichtes Gedränge an kleinen Hütten hinter den Linien. Was hier an Pulver und Blei, an Granaten und sonstiger Munition verschossen wurde, ist längst aus dem Gelände geräumt. Doch es gibt Spezialisten, die hier oben in den ehemaligen Schützengräben und Unterständen noch nach militärischen Überresten suchen - nach Patronen, Koppeln, Gasmasken.
Derartige Souvenir-Jäger gibt es auf allen Schlachtfeldern, und auch am Monte Pasubio werden sie immer wieder fündig. Einige versuchen ihr Glück, indem sie sogar abgesoffene Verteidigungsstollen entwässern. Die Stollen gehen teilweise weit in den Berg hinein; man braucht eine Höhlenausrüstung, um sich tiefer in das unheimliche Dunkel zu wagen. In den leichter zugänglichen Höhlen findet man heute nur noch morsche Bretter und leere Plastikwasserflaschen - die Hinterlassenschaft wenig umweltbewusster Wanderer.
Tägliches Läuten der Friedensglocke
Die Glocke von Rovereto ist auf Friedensmission: Jeden Abend wird mit 100 Glockenschlägen an die Gefallenen aller Kriege gedacht.
Drunten im Tal widmet sich in Rovereto ein Kriegsmuseum den Schlachten, die oben am Berg geschlagen wurden. Hier ist allerlei Kriegsgerät zu sehen: Kanonen, Mörser, Gewehre, Maschinengewehre, Uniformen. Von den Soldaten sind nur einige Fotografien geblieben.
Aber ihnen gilt das tägliche Läuten der großen Glocke von Rovereto: um die Gefallenen aller Kriege zu ehren und um Frieden und Brüderlichkeit unter den Völkern der ganzen Welt heraufzubeschwören. Das waren seinerzeit die Motive des roveretanischen Geistlichen Don Antonio Rossaro, eine Friedensglocke in Auftrag zu geben.
Die Glocke selbst wurde am 30. Oktober 1924 in Trient aus der Bronze der von den am Ersten Weltkrieg beteiligten Nationen gestifteten Kanonen gegossen. Am 24. Mai 1925 erfolgte die Namensgebung, man taufte sie auf den Namen "Maria Dolens". Der Klang freilich ließ zu wünschen übrig, und 14 Jahre später wurde sie in Verona neu geshossen. Im Mai 1940 kehrte sie wieder nach Rovereto zurück, um ihre Weltfriedensmission wieder aufzunehmen - doch hatte ein neuer Weltkrieg längst begonnen. Anfang der 1960er Jahre wurde die Glocke erneut eingeschmolzen und gegossen, da ein Riss nicht mehr zu reparieren war.
Ablass für Betende
Papst Paul Vl. segnete sie am 31. Oktober 1965 auf dem Petersplatz in Rom, und am 4. November ging die Glocke im Triumphzug weder nach Rovereto zurück, wo sie auf dem Colle di Miravalle installiert wurde. Für diejenigen, die vor diesem Denkmal den Kriegsgefallenen ein Gebet sprechen, haben die Päpste Pius XI. und Pius XII. einen besonderen Ablass vorgesehen. Die Glocke schlägt jeden Abend hundert feierliche Schläge, um an die Gefallenen der Kriege in aller Welt zu erinnern.
Heute ist die Friedensglocke von Rovereto ein internationaler Treffpunkt verschiedener Religionen geworden - ein Ort des Gesprächs über Themen des Friedens, der Toleranz und über die Menschenrechte.
Von Rudolf Stumberger (KNA)