Vor 25 Jahren schlug das kommunistische Regime die chinesische Demokratiebewegung nieder

Der zerstörte Traum

Veröffentlicht am 04.06.2014 um 00:00 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 
Der "Tank Man" steht am 5. Juni 1989 im Zentrum von Peking einigen Panzern gegenüber.
Bild: © YouTube
China

Bonn ‐ Es ist eines der bekanntesten Bilder des 20. Jahrhunderts: Ein Mann in weißem Hemd und schwarzer Hose, in beiden Händen hält er Plastiktüten. Er steht auf einer Straße, direkt vor ihm mehrere Panzer mit bedrohlich aufgerichteten Kanonen.

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Entstanden ist das Bild, das an die alttestamentarische Geschichte von Davids Kampf gegen Goliath erinnert, am 5. Juni 1989 am Platz des himmlischen Friedens im Zentrum von Peking. Auf Video-Aufnahmen der Szene ist zu sehen, wie sich der Mann den Panzern in den Weg stellt und wild gestikulierend versucht, sie an der Weiterfahrt zu hindern. Das gelingt jedoch nur kurz: Nach nicht einmal drei Minuten wird der Unbekannte von mehreren Passanten weggezogen, die Panzer können weiterrollen.

Der "Tank Man" (Panzer-Mann), der nach seiner Aktion spurlos verschwand und dessen weiteres Schicksal unbekannt ist, wurde mit seiner Blockade zum Symbol für die gescheiterte chinesische Demokratiebewegung. Diese war einen Tag zuvor auf dem Tian'anmen-Platz - wie der Platz des himmlischen Friedens auch heißt - von den kommunistischen Machthabern brutal niedergeschlagen worden. Mit dem Blutbad vom 4. Juni zerplatzte heute vor 25 Jahren für Hunderttausende Chinesen der Traum von Freiheit und Demokratie.

Unerfüllte Reformhoffnungen und Kritik am Regime

Das Tian'anmen-Massaker war der dramatische Schlusspunkt einer Bewegung, die in den Wochen zuvor immer mehr an Dynamik gewonnen hatte. Inspiriert von den Reformbewegungen in Osteuropa hatte eine wachsende Zahl von Chinesen - darunter vor allem Studenten - umfassende politische Reformen und einen demokratischen Wandel gefordert.

Äußerer Anlass für die Proteste war der Tod des Reformpolitikers Hu Yaobang am 15. April 1989. Hu war nach Studentenunruhen im Winter 1986 vom Regime gestürzt worden und galt als Symbolfigur unerfüllter Reformhoffnungen. Die Trauerbekundungen für ihn schlugen mehr und mehr in offenen Protest gegen das kommunistische Regime um. Bis Mai wuchsen allein die täglichen Sit-ins auf dem Platz des himmlischen Friedens - dem zentralen Ort der Proteste - zu Massenversammlungen von mehr als 100.000 Menschen an.

Polizisten in Peking.
Bild: ©Eléonore H/Fotolia.com

Polizisten in Peking beobachten auf dem Tian'anmen-Platz eine Gruppe von Menschen.

In der Führung der kommunistischen Partei herrschte zunächst Uneinigkeit darüber, wie mit den Protesten umzugehen sei. Schließlich setzten sich jedoch die Hardliner um Deng Xiaoping, den starken Mann der chinesischen Politik, und Ministerpräsident Li Peng durch. Sie zogen aus dem ganzen Land Soldaten zusammen und ließen den Tian'anmen-Platz in der Nacht zum 4. Juni stürmen. Nach diesem Massaker gelang es dem Regime durch starke Militärpräsenz und umfangreiche Propagandamaßnahmen, jeden weiteren Protest im Keim zu ersticken; darüber hinaus wurden zahlreiche Anführer der von den Machthabern als "Konterrevolution" bezeichneten Proteste verhaftet und hingerichtet.

Bis heute ist das Massaker auf dem Tian'anmen-Platz in China ein Tabu. Gedenkveranstaltungen sind verboten, Regimekritiker und Intellektuelle werden regelmäßig vor dem Jahrestag mundtot gemacht oder weggesperrt. Dies hat dazu geführt, dass die Ereignisse vom 4. Juni 1989 in der Volksrepublik bis heute nicht aufgearbeitet sind, betont China-Experte Martin Welling. "Noch immer ist unklar, was damals genau passiert ist und wie viele Menschen wirklich getötet worden sind", so der Ordensmann und Direktor des China-Zentrums der Steyler Missionare in Sankt Augustin. Solange von staatlicher Seite versucht werde, das Gedenken an die dramatischen Ereignisse zu verhindern, könne es keine Aufarbeitung und damit auch keine Versöhnung geben.

Keine Aufarbeitung, keine Versöhnung

Von Aufarbeitung und Versöhnung ist China mit Blick auf das Tian'anmen-Massaker in der Tat noch weit entfernt. Stattdessen tut das Regime alles dafür, die Erinnerung an die Ereignisse auszulöschen - wohl auch deshalb, weil die kommunistischen Machthaber neue Unruhen fürchten, wie Welling vermutet. "Wir haben zuletzt beim Arabischen Frühling gesehen, wie nervös die chinesische Staatsführung auf solche Ereignisse reagiert. Das zeigt, dass die Regierung selbst offenbar mit der Möglichkeit öffentlicher Unruhen rechnet", erklärt der China-Experte.

Einen möglichen Auslöser für neue Unruhen sieht Welling in den dramatisch wachsenden sozialen Problemen Chinas. Zwar habe das Land in den vergangenen Jahren beeindruckende wirtschaftliche Fortschritte erzielt; gleichzeitig sei in der Gesellschaft jedoch enormer sozialer Sprengstoff entstanden. Beispielhaft nennt der Direktor des China-Zentrums die Situation der Wanderarbeiter, die jedes Jahr zu Hunderttausenden vom Land in die Städte ziehen. "Diese oftmals extrem armen Menschen sehen den Wohlstand, der in den Städten herrscht, und sie spüren diese soziale Ungerechtigkeit", mahnt Welling, der zudem auch wachsende Spannungen zwischen den Generationen wahrnimmt. Er ist sich sicher: Wenn das Regime die sozialen Probleme nicht in den Griff bekommt, wird es über kurz oder lang wieder zu Aufständen kommen.

Linktipp: "Ermahnt, verhört, bedroht"

Am 24. Mai beten Katholiken in aller Welt für ihre Glaubensbrüder in China. Im Interview spricht Pater Martin Welling, Direktor des China-Zentrums der Steyler Missionare, über die Probleme und Perspektiven der katholischen Kirche in China.
Von Steffen Zimmermann