Alexander Görlach über die Wirkung von Musik

Requiem als Gesang für die Lebenden

Veröffentlicht am 03.11.2015 um 00:01 Uhr – Von Alexander Görlach – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn  ‐ Alexander Görlach über die Wirkung von Musik

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Am Allerheiligentag gab es ein Konzert: Chor und Orchester der Memorial Church führten das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart auf. Die Kirche im Zentrum des Harvard University Campus war gefüllt bis auf den letzten Platz. Die Universität ist ein säkularer Ort, ein liberaler Hort freien Denkens in einer ansonsten doch für das religiöse Argument sehr zugänglichen US-amerikanischen Gesellschaft. Ein wohltuender Abstand.

Der Tempel war gefüllt bis zum letzten Platz: Woher die Faszination für dieses opus magnum der Musikgeschichte, von dem beiläufig und bildungsbürgerlich schnell erzählt ist, dass es ein Zeugnis der Auseinandersetzung Mozarts mit seinem herrschsüchtigen und ehrgeizigen Vater ist? Das Stück zeichnet die Ambivalenz unseres Lebens, die großen Gefühle, hier in einen theologischen Zusammenhang gestellt: Zweifel und Gewissheit. Hoffnung und Abgrund. 

Das Requiem ist, wie alle gute Pastoral im Kontext des Todes, eine Musik für die Lebenden. In die Klarheit der architektonischen Form einer protestantischen Kirche tritt die Opulenz des Katholischen, die beide in legitimer Weise verschiedene Seiten der christlichen Botschaft repräsentieren. Ich habe beide selten so nahe beieinander erlebt. Der lebensbejahende Katholik vom Rhein, der ich bin, sieht nicht die Höllenqualen und die Aussicht auf ein strafendes Gericht im Zentrum, sondern die Freude an der Fülle des Lebens, in dem wir, noch, stehen. Ein Leben, dessen Extreme uns herausfordert. Mozart hat wie kein anderer diese Amplitude in Musik übersetzt.

Die Musizierenden und wir Hörenden bildeten eine Gemeinschaft, für die die Erfahrung des gemeinsamen Lebens im Mittelpunkt steht. Das Mozart-Requiem ist ein Gesang für das Diesseits. Furioser Applaus. Die Zugabe des Chors und des Orchesters: Mozarts "Ave verum corpus". Angemessener hätte die diesseitige Weggemeinschaft des Requiem nicht sekundiert werden können.

Zur Person

Alexander Görlach ist Herausgeber und Chefredakteur des Debatten-Magazins "The European". Zurzeit befindet er sich als Gastwissenschaftler an der Divinity School der Harvard University.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.
Von Alexander Görlach