Armut darf nicht krank machen

"Gesundheitliche Ungleichheiten lassen sich in allen Lebenslagen zeigen, vom Beginn des Lebens bis ins hohe Alter", sagte der Hamburger Sozialmediziner Olaf von dem Knesebeck. Die Lebenserwartung unterscheide sich bei Männern zwischen höheren Einkommensschichten und in relativer Armut lebenden Personen um 10,8 Jahre zulasten der ärmeren Bevölkerung. Bei Frauen betrage der Unterschied 8,4 Jahre.
Forderungen an die Politik
Auch das Risiko von Herzinfarkten und Schlaganfällen sowie von Fettleibigkeit im Kindesalter und psychischen Auffälligkeiten sei bei ärmeren Bevölkerungsgruppen ungleich größer.
"Die Unterschiede sind vor allem in den materiellen Lebensbedingungen, der Verteilung von psychosozialen Belastungsfaktoren, unterschiedlichem Gesundheitsverhalten und Faktoren der gesundheitlichen Versorgung begründet", so der Mediziner.
Einstimmig beschlossen die Delegierten des Ärzteparlaments einen Antrag mit einem Bündel von Forderungen an die Politik. Dazu zählen mehr Unterstützung für bedürftige Schwangere, ein Ausbau der Schuluntersuchungen sowie eine bessere medizinische Versorgung von Wohnungslosen. Einig sind sich die Ärzte darüber, dass Gesundheit und Ernährung eine zentrale Rolle in der Kita und im Schulunterricht spielen sollten. Vorbildlich sei etwa das Projekt "Gesund macht Schule" im Rheinland und in Hamburg.
„Ich halte es für unser Land nach wie vor für eine Schande, dass ein Kind, das am unteren Rand der Gesellschaft geboren wird, eine um zehn Jahre geringere Lebenserwartung hat, als ein Kind, das am oberen Rand der Gesellschaft geboren wird“
In ihrem Antrag plädieren die Ärzte außerdem für eine Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes, um zum Beispiel psychisch Kranke und Drogensüchtige zu erreichen. Aufgrund knapper Kassen sparen manche Kommunen in den Gesundheitsämtern, die Versorgungslücken würden dann durch Ehrenamtliche geschlossen. Mediziner engagieren sich vor allem in Großstädten mit Arztmobilen oder Krankenstuben freiwillig für arme Patienten.
Auf dem Schirm der Caritas
Für den Deutschen Caritasverband steht das Thema schon länger auf der Agenda. Unter dem Motto „Armut macht krank“ machte der Wohlfahrtsverband im Jahr 2012 mit seiner Jahreskampagne auf die Problematik aufmerksam. „Die Gesundheit eines Menschen darf nicht von seinem Einkommen oder seiner Bildung, dem Aufenthaltsstatus oder seinem sozialen Netz abhängen“, hatte Caritas-Präsident Peter Neher beim Start der Kampagne betont.
In einem der reichsten Länder der Welt sei es ein „provozierender Zustand“, dass Armut krank mache, so Neher damals. „Wir brauchen keine Medizin-Tafeln in Deutschland. Was wir brauchen, ist ein Gesundheitssystem, das auch die Menschen nicht aus dem Blick verliert, die am Rande der Gesellschaft leben“, sagte der Caritas-Präsident. Gefordert seien dabei allerdings nicht nur Politiker, Krankenkassen und Ärzte. Die gesamte Gesellschaft müsse für die Problematik sensibilisiert werden. (meu/dpa/KNA)