Befreiungstheologe sieht Reformwillen Roms skeptisch

Boff: Basisgemeinden können Kirche retten

Veröffentlicht am 26.09.2016 um 14:25 Uhr – Lesedauer: 
Theologie

Wien ‐ Nur an der Peripherie sei das Christentum noch lebendig, sagt Befreiungstheologe Leonardo Boff. Unter der Führung Roms könne die Kirche dagegen nicht reformiert werden.

  • Teilen:

Der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff misst den Basisgemeinden eine entscheidende Rolle für die Zukunft der katholischen Kirche zu. In einem Interview der österreichischen Tageszeitung "Kurier" vom Montag äußert sich der 77-Jährige skeptisch über die Kraft der Kirche unter der Führung Roms, sich selbst zu reformieren.

In Europa leben nur 24 Prozent der Katholiken

"Was die Kirche retten kann, sind die Basisgemeinden. Denn die Lebendigkeit des Christentums ist heute an der Peripherie zu finden, wo man ein anderes Bild der Kirche ausgeprägt hat." Boff wies darauf hin, dass in Europa nur noch 24 Prozent aller Katholiken weltweit lebten. Der argentinische Papst Franziskus sage nicht umsonst immer wieder von sich selbst: "Ich komme vom Ende der Welt."

Boff äußerte die Hoffnung, dass Franziskus die Basiskirche anerkennt. "Für mich ist sie das Zentrum; das, was Kirche eigentlich ausmacht." Es gebe rund 100.000 Basisgemeinden, die nach wie vor Träger der Theologie der Befreiung seien - auch wenn diese "vielleicht nicht mehr so sichtbar wie früher" sei. Am lebendigsten seien die Basisgemeinden im Nordosten Brasiliens und in Amazonien. Dort würden keine Priester gebraucht - "aber Rom akzeptiert das nicht". Der Fokus auf das Institutionelle führe die Kirche in eine "totale Niederlage", warnte der Theologe.

Leonardo Boff ist einer der bekanntesten Vertreter der sogenannten Theologie der Befreiung. Sie entstand in den 1960er und 70er Jahren angesichts der politischen und sozialen Lage in Lateinamerika. In ihrem Mittelpunkt steht die vorrangige kirchliche "Option für die Armen". Die vatikanische Glaubenskongregation unter Kardinal Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI. (2005-2013), stellte 1984 und 1986 die Unvereinbarkeit zwischen der kirchlichen Lehre und einer marxistisch verstandenen Befreiungstheologie fest.

Rede- und Lehrverbot aus dem Vatikan

Das 1981 erschienene Buch "Kirche: Charisma und Macht" des Franziskaners Boff mit theologischer Kritik am katholischen Kirchenverständnis führte 1985 zu einem Rede- und Lehrverbot durch den Vatikan. Als er 1992 erneut gemaßregelt wurde, trat Boff aus dem Franziskanerorden aus und legte später auch sein Priesteramt nieder. Er ist Autor von mehr als 60 Büchern, die zum Teil in viele Sprachen übersetzt wurden. Boff erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderen den Alternativen Nobelpreis. (KNA)