An Gotteshäusern nisten viele Tiere

Kinderstube Kirchturm

Veröffentlicht am 23.07.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Natur

Bonn ‐ Jetzt im Sommer gedeiht es allerorten. Das gilt gerade auch in und an Kirchen - denn diese Gebäude sind vor allem für Vögel und Fledermäuse ein willkommener Nistplatz. Das hat gleich mehrere Gründe.

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Es ist eine Sensation, zumindest für Vogelfreunde: 1955 gelingt der erste Brutnachweis von Alpenseglern in Deutschland. Für die Premiere sichern sich die schwalbenähnlichen Tiere gewissermaßen göttlichen Beistand: Ihre Eier legen sie in einen Kirchturm, in den von Sankt Martin am Rathausplatz in Freiburg im Breisgau. Das emporragende Bauwerk hat die Alpensegler offenbar an ihren natürlichen Nistplatz erinnert, einen Felsen. Der Segler ist im Tierreich aber längst nicht allein mit seiner exponierten Kinderstube unterm Kreuz.

Uhuküken, Wanderfalke und Fledermäuse

So tummeln sich derzeit auf der Sankt-Vincentius-Kirche im emsländischen Haselünne drei Uhuküken. Auf dem Dom in Freising bei München ist mindestens ein Wanderfalke geschlüpft. Und unterm Dach der Kirche Löwitz in Vorpommern hängen aktuell rund 170 Junge von Breitflügel- und Mückenfledermäusen, hinzu kommen noch einmal so viele Muttertiere.

Ein Uhu.
Bild: ©andrix/Fotolia.com

Auch Uhus nisten bisweilen gern im Domtürmen.

Warum alle diese Fauna-Vertreter "gute Kirchgänger" sind? Das erklärt Magnus Wessel, Naturschutzpolitik-Chef der Umweltschutzorganisation BUND: "Kirchen wurden oft in opulenten Baustilen errichtet. Durch den Zierrat entstanden zahlreiche Lücken und Schlupflöcher, die sich für viele Tiere als Nist- und Ruhestätten eignen." Solche Nischen seien heute abseits von Kirchen rar, wegen Sanierungs- und Dämmmaßnahmen und der schnörkellosen modernen Architektur.

Außerdem ist das Umfeld von Gotteshäusern für die Tierwelt wichtig, wie Wessel erzählt. "Um Kirchen herum existiert häufig eine vielfältige Grünlandschaft mit Parks und Beeten, vor allem auch mit Friedhöfen." Gerade auf Letzteren fänden viele Arten Nahrung. "Denn Friedhöfe bieten Bäume, Blumen, Hecken, Wiesen, Steinflächen. Und wo derart viele Strukturen sind, ist auch viel Futter in Form von Samen und Kleinlebewesen wie Insekten." Darüber hinaus werde auf Friedhöfen für gewöhnlich nicht gejagt - was sie zum attraktiven Habitat für Wild wie Kaninchen oder Rehe mache.

Aus einem anderen Grund siedelt die seltene Efeu-Seidenbiene gerne rund um Kirchen und Gottesäcker. "Sie sammelt Pollen fast ausschließlich an Efeu", sagt Wessel. Diese Pflanze blühe allerdings erst nach acht bis zehn Jahren. "Umso wichtiger sind für diese Biene alte Bestände des Efeus - solche, wie es sie oft an Kirchen- und Klostergemäuern gibt."

Um Kirchen herum pulsiert also die Natur. "Sie zu erhalten, ist Schutz der Schöpfung", meint Malte Wessel. Dabei könne die Kirche durchaus noch mehr tun: "Die Kirche spielt mit ihrem großen Grundbesitz eine wichtige Rolle in der Agrarwirtschaft. Es wäre gut, wenn sie ihr Land nur noch an Ökobauern verpachtete."

Dieses Ideal vertritt auch die Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten der deutschen (Erz-)Diözesen (AGU). Doch laut AGU-Sprecher Mattias Kiefer gibt es dabei zwei Hindernisse: erstens die heterogene Eigentumsstruktur kirchlicher Rechtsträger wie Orden oder Bistumsstiftunge, zweitens die Bandbreite an Flächengrößen. "Eine sehr kleinteilige Parzellierung kann zur Folge haben, dass ein Pächter seine kleine Fläche Kirchenland nicht anders bewirtschaften wird als seine übrigen Flächen", erklärt Kiefer.

Linktipp: Junge Uhus am Hildesheimer Dom

Erneut Wilddtiere am Hildesheimer Dom: Drei junge Uhus sind in diesem Jahr im Brutkasten oberhalb des berühmten Kreuzgangs geschlüpft - und blieben zunächst einige Wochen unbemerkt.

Dennoch gelte: "Die kirchlichen Bemühungen um eine ökologisch zuträgliche Bewirtschaftung der eigenen Flächen sind ethisch geboten." Denn die Natur bilde des Menschen Existenzgrundlage. "Sie ernährt uns, liefert Wasser, Energie, Heilstoffe, Baumaterial und viele weitere Rohstoffe." Für Christen sei die Natur "eine Schöpfung Gottes, dem Menschen anvertraut, sie zu bebauen und zu behüten".

"Lebensraum Kirchturm"-Plakette

An rund 1.000 Kirchtürmen in der Republik funktioniert das schon bestens, zumindest nach Ansicht des Naturschutzbundes Deutschland (NABU). Alle diese Türme haben eine "Lebensraum Kirchturm"-Plakette erhalten, mit der der NABU seit 2007 vorbildliche Umwelt-Initiativen an Gotteshäusern auszeichnet. Dieses Schild hängt längst auch an der Freiburger Martinskirche, dem ersten deutschen Alpensegler-Brutplatz. Jedoch nicht mehr dem einzigen: Der Vogel hat in den vergangenen Jahren weitere Orte in Süddeutschland besiedelt - auch über Kirchtürme.

Von Christopher Beschnitt (KNA)