Jüdisches Museum Berlin widmet sich religiöser Verhüllung der Frau

Auch Christinnen tragen Kopftuch

Veröffentlicht am 09.08.2017 um 13:30 Uhr – Lesedauer: 
Ausstellung

Berlin ‐ Die muslimischen Schleier stehen seit Langem im Mittelpunkt zahlreicher Kontroversen. Das Jüdische Museum Berlin zeigt nun: Weibliche Verhüllung gibt es nicht nur im Islam.

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Es war im Sommer 2016: Am Strand von Nizza marschieren bewaffnete Polizisten auf, sie umringen eine in der Sonne sitzende Muslimin und fordern sie auf, ihr Oberteil auszuziehen. Die Bilder von der Durchsetzung des kurz zuvor beschlossenen Burkini-Verbots gingen um die Welt und lösten heftige Kontroversen aus.

Spätestens seit damals weiß vermutlich auch jeder Deutsche, was ein Burkini ist. Und in den aufgeregten Debatten unserer Zeit rund um Muslime und Zuwanderung reicht häufig dieses eine Stichwort, um ganz bestimmte Bilder und Vorurteile zu erzeugen. Der Burkini – für viele ist er neben dem Kopftuch das Symbol für eine gescheiterte Integration.

Ganzkörper-Badeanzug für die evangelikale Frau

Was dagegen kaum jemand weiß: Für Christinnen und Jüdinnen gibt es bereits seit vielen Jahren ganz ähnliche Ganzkörper-Badeanzüge, ohne dass dies bisher für Aufregung gesorgt hätte. Der "Culotte Swimmer" etwa ist das christlich-evangelikale Pendant zum Burkini. Der Schwimmanzug einer Firma im US-Bundestaat Oregon bedeckt Schultern und Oberschenkel und sitzt zudem locker am Körper. Laut den Designern soll das Gesicht beim "Culotte Swimmer" im Vordergrund stehen und nicht die Figur.

Burkini, "Culotte Swimmer" sowie ein für religiöse Jüdinnen geeigneter Ganzkörper-Badeanzug sind noch bis zum 27. August im Jüdischen Museum Berlin zu sehen. Dort sind die Schwimm-Textilien Teil der Ausstellung "Cherchez la femme. Perücke, Burka, Ordenstracht", die sich der Geschichte und Gegenwart der weiblichen Verhüllung widmet. Und es sind gerade anschauliche Beispiele wie die religiöse Badebekleidung, die dem Ausstellungsbesucher zeigen, dass die Verhüllung – im Gegensatz zu den Diskussionen unserer Zeit – kein rein muslimisches Phänomen ist. Vielmehr teilen die drei großen monotheistischen Religionen durchaus ähnliche Vorstellungen von weiblicher Sittsamkeit.

Von den Ursprüngen vor rund 3.000 Jahren bis zur Gegenwart zeigt die Ausstellung den Umgang mit der religiös motivierten Verhüllung in Christentum, Islam und Judentum. Zu Beginn projizieren Beamer entsprechende Passagen aus Bibel, Talmud und Koran an die Wand des Museums. "Wenn ein Mann betet oder prophetisch redet und dabei sein Haupt bedeckt hat, entehrt er sein Haupt. Eine Frau aber entehrt ihr Haupt, wenn sie betet oder prophetisch redet und dabei ihr Haupt nicht verhüllt" (1 Kor 11,4-5), heißt es da unter anderem.

Ein paar Schritte weiter wird die ganz Vielfalt weiblicher Kopfbedeckungen in den Religionen präsentiert. Dabei lernt der Besucher zum Beispiel, dass eine Jüdin mit ihrer Kopfbedeckung öffentlich zu erkennen gibt, dass sie verheiratet ist und ein Leben führt, das den Gesetzen der Tora folgt. Im Christentum wiederum, so erklärt eine Schautafel, galt die weibliche Kopfbedeckung beim Gebet als Zeichen der Ehrfurcht vor Gott – eine Tradition, die heute vor allem in den Kirchen des Ostens weiterlebt. Daneben werden schließlich die verschiedenen islamischen Verhüllungen gezeigt und erklärt. Am Stil der Kopfbedeckung lassen sich ethische Herkunft und religiöse Orientierung der Trägerin ablesen, erklärt die Ausstellung.

Bild: ©Yves Sucksdorff/Jüdisches Museum Berlin

Blick in die Ausstellung "Cherchez la Femme. Perücke, Burka, Ordenstracht" im Jüdischen Museum Berlin.

Wichtiges Element der Schau im Jüdischen Museum sind zudem einige bemerkenswerte Kunstwerke. Vor allem das Video "Undressing" der türkischstämmigen Künstlerin Nilbar Güres zieht die Blicke der Ausstellungsbesucher auf sich. Darin sieht man Güres, zunächst komplett unkenntlich, unter einer üppigen Schicht aus bunten Schleiern, bevor sie langsam Tuch für Tuch ablegt. Ein Akt der Befreiung? Gegenüber werden die Besucher von mehreren Männeraugen angestarrt. Die Video-Installation verweist auf den vermeintlich zudringlichen Blick des Mannes, vor dem die Kopfbedeckung die Frau schützen soll.

Wohltuend unaufgeregter Blick auf die Verhüllung der Frau

Die Schau spart auch die kulturellen Konflikte der vergangenen Jahre nicht aus. In Zeitungsschlagzeilen und Karikaturen rufen die Macher die Kontroversen rund um die muslimische Verschleierung in Europa in Erinnerung. Besonders prägnant: Die Karikatur "The Lottery of Indecency". Sie zeigt einen zweigeteilten Frauenkörper. Auf der einen Seite ist er beinahe unbekleidet, auf der anderen Seite streng muslimisch verhüllt. Sprechblasen auf beiden Seiten formulieren, was es jeweils auszusetzen gibt: Entweder ist die Frau zu freizügig oder nicht freizügig genug gekleidet, entweder soll sie bitteschön mehr oder bitteschön weniger zeigen.

Die Ausstellung des Jüdischen Museums ermöglicht den Besuchern einen wohltuend unaufgeregten Blick auf Geschichte und Gegenwart der religiösen Verhüllung der Frau. Sie setzt einen Kontrapunkt zu den alarmistischen Debatten rund um Kopftuch und Burkini und ruft in Erinnerung: Auch Christinnen tragen Kopftuch.

Von Steffen Zimmermann