Wie ein Gefängnisseelsorger mit der Heiligen Schrift arbeitet

Die Bibel hinter Gittern

Veröffentlicht am 28.09.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Seelsorge

Fulda ‐ 40.000 Bibeln bekommen die Gefängnisse in Deutschland von der Kirche geschenkt. Einer der Nutznießer ist Gefängnisseelsorger Meins Coetsier. Mit katholisch.de hat er über seine Arbeit gesprochen.

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Kirche ist für den Menschen da. Auch im Gefängnis. Über 64.000 Menschen saßen zum Stichtag im März ihre Strafe in deutschen Strafvollzugsanstalten ab. Die Deutsche Bischofskonferenz schenkte nun gemeinsam mit der Katholischen Bibelanstalt und der Gefängnisseelsorge 40.000 Exemplare der neuen Einheitsübersetzung an Inhaftierte. Als Vorsitzender der Pastoralkommission betonte Bischof Franz-Josef Bode die Aufgabe der Kirche, besonders in Gefängnissen für die Menschen da zu sein. Im Interview berichtet Gefängnisseelsorger Meins Coetsier von seinen persönlichen Erfahrungen und der Wichtigkeit der Bibel für Menschen im Gefängnis.

Frage: Sie haben 200 Bibeln erhalten und bei sich in der JVA Fulda und der JVA Hünfeld bereits viele verteilt. Wie haben die Menschen darauf reagiert?

Coetsier: Ich fand es ganz interessant, wie unterschiedlich die Menschen reagiert haben, wenn sie einfach so umsonst eine Bibel geschenkt bekommen. Bei Gefangenen ist das besonders rührend. Einem Gefangenen habe ich eine Bibel nach einem Trauergespräch geschenkt, der war sehr dankbar. Die anderen haben sich unglaublich gefreut. Natürlich gab es auch welche, die keine wollten.

Bild: ©DBK/Harald Oppitz

Die symbolische Übergabe der Bibeln durch Weihbischof Reinhard Hauke, Daniela-Maria Schilling, Winfried Kuhn und Bischof Franz-Josef Bode an Gefängnisseelsorger Meins Coetsier.

Frage: Welche Bedeutung hat die Bibel denn im Gefängnis?

Coetsier: Die Bibel hat einen besonderen Stellenwert. Sowohl für die Gefängnisseelsorge, als auch für den individuellen Gefangenen. Die haben nämlich Zeit, manchmal zu viel Zeit, wenn sie auf der Zelle sitzen. Viele suchen dann Halt und Perspektiven im Leben. Und dann fangen sie an, die Bibel zu lesen – auch, wenn sie diese jahrelang nicht angerührt haben und vielleicht nur vage aus ihrer Jugend kennen. Manche Gefangene lesen die Bibel auch komplett durch.

Frage: Und das wirkt auch nach?

Coetsier: Ja, auch bei mir. Mich beeindruckt das. Vor allem die Tiefe an Einsichten, die manche Gefangene dann für sich rausholen und auf ihr eigenes Leben beziehen. Im beruflichen Kontext studieren viele Menschen ja tagtäglich die Bibel, aber im Gefängnis ist das noch einmal ein ganz differenzierter Punkt. Zweimal im Monat mache ich einen Bibelkreis, in dem auch diskutiert wird. Oft sage ich dann gar nichts und höre bei den Diskussionen einfach nur zu.

„Ich empfinde es immer als ein kleines Wunder, dass eine Bibel und diese Texte, Evangelien wie Psalmen, so viel in Bewegung bringt.“

—  Zitat: Gefängnisseelsorger Meins Coetsier

Frage: Das heißt, die Gefangenen reden dann auch darüber, was sie beschäftigt?

Coetsier: Sie reden auf eine andere Art und Weise, als Theologen das tun. Sie nehmen die Schrift sehr persönlich. Es kommt dann auch vor, dass manche so gerührt sind, dass bei solchen Gesprächen auch mal eine Träne fließt. Das ist beeindruckend. Die Männer kennen sich ja eigentlich nicht. Im Bibelkreis schaffe ich dann den Raum, in dem sie untereinander ins Gespräch kommen können. Ich empfinde es immer als ein kleines Wunder, dass eine Bibel und diese Texte, Evangelien wie Psalmen, so viel in Bewegung bringen.

Frage: Wo sehen Sie dabei ihre persönliche Aufgabe?

Coetsier: Die Gefängnisseelsorge ist keine Justiz. Ich sage mir immer: Das Gericht in mir muss sterben. Wo ich noch urteile, kann keine Liebe sein. Ich komme nicht, um die Leute noch einmal zu richten. Ich komme, um Leben und Barmherzigkeit zu bringen. Das ist nicht einfach, und die Situation ist ja auch keine einfache. Aber wir als Kirche versuchen eben etwas zu vermitteln. Die Bibel oder meine Musik – ich gehe immer mit Gitarre in die JVA, in einer Hand die Bibel, in der anderen die Gitarre – helfen mir dabei, durch den Glauben auf andere Gedanken zu kommen.

Frage: Welche Wünsche haben Sie?

Coetsier: Mein Wunsch ist vor allem Papst Franziskus sehr ernst zu nehmen. Er hat die Füße von Gefangenen gewaschen, hat sie eingeladen und hat Gottesdienst mit ihnen gefeiert. Damit hat er gezeigt, wie wichtig die Gefängnisseelsorge ist. Sie ist Betreuung von Leid. Das Leid der Menschen und auch das Leid, das Menschen einander angetan haben, oder das, was im Nachhinein entsteht. Dieses Leid geht uns alle an. Was hinter Gittern passiert, ist auch Teil der Gesellschaft. Wenn man das Leben und das Leiden der Menschen dort hört, kann man nicht anders, als Mitgefühl und Barmherzigkeit zu zeigen.

Von Julia Martin