Der Papst will das Glaubenshandbuch ändern

Die Todesstrafe - Franziskus gegen Katechismus

Veröffentlicht am 12.10.2017 um 11:05 Uhr – Lesedauer: 
Vatikan

Vatikanstadt ‐ Schon Johannes Paul II. und Benedikt XVI. widersprachen dem Katechismus der katholischen Kirche mit Blick auf die Todesstrafe. Jetzt will der amtierende Papst noch einen Schritt weitergehen.

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Der Katechismus ist die verbindliche Richtschnur für jeden Katholiken. Dass ein amtierender Papst etwas anderes sagt als der Katechismus, ist deshalb eigentlich nicht vorgesehen. Doch im Fall der Todesstrafe war es in den vergangenen 25 Jahren genau so: Johannes Paul II. prangerte die Todesstrafe ebenso als unchristlich an wie sein Nachfolger Benedikt XVI. Beide setzten sich zudem mehrfach für Todeskandidaten ein. Der Katechismus schloss diese Sanktion dagegen zumindest als letztes Mittel nicht prinzipiell aus. Beide Päpste dürften sich dieser Diskrepanz sehr wohl bewusst gewesen sein: Schließlich hatte Johannes Paul II. den Katechismus in Auftrag gegeben und der damalige Kardinal Joseph Ratzinger das Redaktionsteam geleitet. Doch erst Franziskus zog jetzt die Konsequenz und forderte eine Änderung des Katechismus.

Die Todesstrafe sei "unzulässig" und stehe im "Gegensatz zum Evangelium", sagte der Papst am Mittwochabend im Vatikan. Selbst ein Mörder verliere nicht seine persönliche Würde. Dies müsse im Katechismus der katholischen Kirche "angemessener und konsequenter Raum finden", so Franziskus. Man könne das Problem nicht "auf eine bloße Erinnerung an die historische Lehre reduzieren, ohne weder den Fortschritt der Glaubenslehre durch die letzten Päpste noch das veränderte Bewusstsein des christlichen Volks hervorzuheben". Dieses verweigere "eine billigende Haltung zu einer Strafe, die die Menschenwürde erheblich verletzt". Wann es allerdings zu einer Änderung des Katechismus kommen könnte, ließ der Pontifex offen.

Todesstrafe noch immer nicht ausgeschlossen

Die Aussagen des Katechismus zur Todesstrafe waren bereits unmittelbar nach dessen Veröffentlichung 1992 auf Kritik gestoßen. In dieser ursprünglichen Fassung hieß es, der Schutz des Gemeinwohls erfordere es, dass ein Angreifer außerstande gesetzt werde zu schaden. "Aus diesem Grund hat die überlieferte Lehre der Kirche die Rechtmäßigkeit des Rechtes und der Pflicht der gesetzmäßigen öffentlichen Gewalt anerkannt, der Schwere des Verbrechens angemessene Strafen zu verhängen, ohne in schwerwiegendsten Fällen die Todesstrafe auszuschließen." Nach Aussage des damaligen Redaktionssekretärs, Kardinal Christoph Schönborn, wollte Johannes Paul II. zwar schon damals eine entschiedenere Verurteilung, setzte sich damit aber nicht durch.

Die bis heute maßgebliche überarbeitete Fassung des Katechismus von 1997 griff die Kritik auf und ergänzt einschränkend, die Todesstrafe werde nicht ausgeschlossen, "wenn dies der einzig gangbare Weg wäre, um das Leben von Menschen wirksam gegen einen ungerechten Angreifer zu verteidigen". Außerdem müsse sichergestellt sein, dass die Tat auch wirklich dem Verurteilten zugeschrieben werden könne. Damit gab es zwar praktisch so gut wie keinen Fall mehr, in dem die Todesstrafe aus kirchlicher Sicht zulässig wäre. Die nötigen Voraussetzungen trafen nur noch auf Notwehrsituationen zu. Absolut ausgeschlossen wurde die Todesstrafe jedoch nicht.

Papst Franziskus während der Generalaudienz auf dem Petersplatz im Vatikan am 22. März 2017.
Bild: ©Paul Haring/CNS Photo/KNA

Papst Franziskus sprach am Mittwoch vor der Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Neuevangelisierung, die sich in diesem Jahr mit dem Katechismus befasste.

Der Anlass für den päpstlichen Frontalangriff auf die Todesstrafe hätte passender nicht sein können: Am Dienstag wurde der internationale Tag gegen die Todesstrafe begangen und am Mittwoch jährte sich zum 25. Mal die Veröffentlichung des Katechismus. Franziskus äußerte sich vor der Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Neuevangelisierung, die sich in diesem Jahr mit dem Katechismus befasste. Die päpstlichen Appelle der vergangen Jahre sind nicht überall auf fruchtbaren Boden gefallen. Nach Angaben von Amnesty International haben zwar mittlerweile 105 Staaten die Todesstrafe vollständig abgeschafft, zuletzt in diesem Jahr die Mongolei. 57 Länder halten jedoch weiter an ihr fest, unter ihnen die USA und Japan, weitere sieben sehen die Todesstrafe demnach nur noch für außergewöhnliche Verbrechen vor, 29 Staaten wenden sie zumindest in der Praxis nicht mehr an.

Der Vatikan spielt allerdings keineswegs eine Vorreiterrolle bei der Abschaffung der Todesstrafe. Franziskus selbst erinnerte am Mittwoch daran, dass die Todesstrafe im kleinsten Staat der Welt erst 1969 durch Paul VI. abgeschafft wurde, 20 Jahre später als in Deutschland. Und Franziskus räumte auch selbstkritisch ein, dass der Kirchenstaat im 19. Jahrhundert keine Skrupel hatte, sich der Todesstrafe zu bedienen. Zahlen ersparte Franziskus seinem Publikum, aber sie sind durchaus bekannt.

Giovanni Battista Bugatti, der "Henker des Papstes"

Der als "Henker des Papstes" bekannte Scharfrichter Giovanni Battista Bugatti richtete zwischen 1797 und seiner Pensionierung 1864 insgesamt 516 Verbrecher hin. Das Fallbeil, das hierbei regelmäßig zum Einsatz kam, können Touristen in Rom noch heute im Museo Criminologico bestaunen. Bugatti war eine regelrechte Touristenattraktion. So setzte ihm etwa auch der britische Schriftsteller Charles Dickens ein literarisches Denkmal. Die letzte Hinrichtung im Kirchenstaat erfolgte 1868, zwei Jahre vor dessen Untergang. "Übernehmen wir die Verantwortung für die Geschichte, und erkennen wir an, dass diese Mittel mehr von einer legalistischen als einer christlichen Denkweise bestimmt waren", sagte Franziskus weiter. Heute in dieser Frage neutral zu bleiben, "würde uns noch schuldiger machen", so der Papst.

Offenbar auch an seine konservativen Kritiker gerichtet, die Franziskus als Dogmenstürmer sehen, betonte er, dass die absolute Verurteilung der Todesstrafe keinerlei Widerspruch zur früheren Lehre sei. Die Verteidigung der Würde des menschlichen Lebens "vom ersten Augenblick der Empfängnis bis zum natürlichen Tod" habe in der Lehre der Kirche immer eine entschlossene und maßgebliche Stimme gefunden. Die harmonische Entwicklung der Glaubenslehre verlange jedoch, "Positionen zur Verteidigung von Argumenten hinter uns lassen, die nun entschieden im Gegensatz zum neuen Verständnis der christlichen Wahrheit erscheinen".

Franziskus ist jedoch nicht nur wie seine Vorgänger für ein Verbot der Todesstrafe. Er fordert darüber hinaus auch eine Abschaffung lebenslanger Haftstrafen. Diese kritisierte er bereits 2014 als eine "heimliche Todesstrafe". Dazu äußert sich der Katechismus allerdings nicht.

Von Thomas Jansen