Wie Christen im Orient verfolgt werden

Ein Jahr der Vertreibung

Veröffentlicht am 26.12.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bild: © Vogt/Missio
Christenverfolgung

Kairo/Istanbul ‐ Als die Dschihadisten kamen, wurde das Schicksal der irakischen Christen mit dem arabischen Schriftzeichen "N" besiegelt. Groß und in scharlachroter Farbe malten es Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) an Wohnhäuser in der nordirakischen Stadt Mossul. Der Buchstabe weist hin auf "Nasara" - Nazarener. So nennen die IS-Dschihadisten Christen.

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Das Stigma auf den Häusern war eine Warnung: Verlasst Mossul, konvertiert zum Islam oder zahlt uns Schutzsteuern. Wer sich nicht beugt, muss mit dem Tod rechnen. Die sunnitischen Extremisten hatten Mossul Anfang Juni eingenommen. Noch bevor sie jedes Haus mit einem "N" beschmiert hatten, setzte ein Massenexodus ein. Mindestens 300.000 Christen flohen nach UN-Angaben binnen eines Monats aus Mossul und der umliegenden Provinz Ninive in die kurdischen Gebiete des Nordiraks.

Für orientalische Christen steht das Jahr 2014 im Zeichen von Vertreibung und Verfolgung. Auf dem Weltverfolgungsindex 2014 des christliche Hilfswerks Open Doors nehmen Syrien und der Irak - wo es seit jeher große und alte Gemeinden gab - den dritten und vierten Platz ein. Schlimmer wird dem Index zufolge nur in Nordkorea und Somalia gegen Christen vorgegangen.

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Der arabische Buchstabe "nun", wie er als Zeichen der Solidarität mit verfolgten Christen in sozialen Netzen verwendet wird.

Von 1,2 Millionen auf 500.000

Die meisten irakischen Christen sind Angehörige der chaldäischen Kirche, einer urchristlichen Glaubensgemeinschaft. Der Irak gilt bis heute als ihr Zentrum. Die chaldäische Kirche geht auf die ersten christlichen Gemeinden zurück, die vor fast 2.000 Jahren in Mesopotamien - dem heutigen Irak - entstanden. Nach Jahren der Isolierung unterstellten sie sich im 17. Jahrhundert dem Papst und wurden Teil der römisch-katholischen Kirche.

Vor 2003 lebten noch rund 1,2 Millionen Christen im Irak - viele von ihnen im Norden des Landes. Zuletzt wurde ihre Zahl auf 500.000 geschätzt, sie dürfte aber noch deutlich weiter gesunken sein. Der Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche, Louis Raphael I. Sako, sprach von einer menschlichen, kulturellen und historischen Katastrophe.

Zielscheibe islamistischer Rebellen

Auch in Syrien steht es schlecht um die Christen. Vor dem Bürgerkrieg waren knapp 10 Prozent der mehr als 20 Millionen Einwohner des Landes Christen. Sie konnten damals ihre Religion weitgehend ungehindert praktizieren. Weil sich die christlichen Gemeinden aber nicht am Aufstand gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad beteiligten, wurde auch die religiöse Minderheit zur Zielscheibe islamistischer Rebellen.

Zeitweise war die berühmte Christen-Enklave Maalula nahe Damaskus mit ihren historischen Klöstern und Kirchen heftig umkämpft und belagert. Inzwischen ist ein großer Teil der Bevölkerung auf der Flucht, nur noch wenige Christen sind im Land. Regelmäßig gibt es Meldungen über Entführungen oder die Ermordung von Christen.

Ägyptische Verfassung sichert Rechte der Christen

Sicherer schien es zunächst für die Kopten in Ägypten, nachdem der damalige Militärchef und heutige Präsident Abdel Fattah al-Sisi den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi im Sommer 2013 abgesetzt hatte. Seit dem Arabischen Frühling 2011 gab es regelmäßig religiös motivierte Übergriffe auf koptische Christen, oft mit tödlichem Ausgang. In der aktuellen Verfassung Ägyptens sind die Rechte der Christen wieder stärker verankert.

Die koptische Kirche ist heute die größte christliche Gemeinschaft im Nahen Osten: Unter den 80 Millionen Ägyptern leben 7 bis 12 Millionen Kopten. Doch auch sie sind unter Al-Sisi keineswegs sicher. Mitte Juni verurteilte ein oberägyptisches Gericht eine 23-jährige koptische Lehrerin zu sechs Monaten Haft. Eltern hatten sich beschwert, sie habe im Unterricht den Islam beleidigt. Längst kritisieren Menschenrechtler, der neue Präsident gebe sich - um bei konservativen Ägyptern zu punkten - «islamischer als die Islamisten».

Von Shabtai Gold und Marc Röhlig (dpa)