Jeden Sonntag 800.000 Mitfeiernde

Nur noch 2,4 Millionen deutsche Katholiken – jeder Zehnte – gehen laut Bischofskonferenz ihrer Sonntagspflicht nach und besuchen am Wochenende eine Messe. Experten schätzen, dass sich dieser Trend fortsetzt. Doch rund eine weitere Million Gläubige feiert jeden Sonntag die Messe mit – am Fernsehen, im Radio oder per Streaming im Internet. Seit dem 25. März 1953 gibt es katholische Sonntagsgottesdienste, mit überraschend stabilen Zuschauerzahlen.
Allein diese Ausstrahlungen erreichten rund 800.000 Zuschauer, erklärt Ulrich Fischer, Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) für das ZDF. Hinzu kämen Gottesdienstübertragungen der ARD in Hörfunk und Fernsehen sowie der kirchlichen Spartensender und die der Webportale. "Die Zahl der Mitfeiernden über Medien erreicht nahezu 50 Prozent der versammelten Gläubigen in den Kirchen", weiß der Theologe.
Einen Gottesdienst im Fernsehen übertragen – anfangs tat sich die Kirche schwer mit dieser Vorstellung. Schließlich war vor 65 Jahren das Fernsehen als Massenmedium noch relativ neu. In Kirchenkreisen gab es durchaus kritische Stimmen – aus Sorge, "dass in diesem lapidaren Programmumfeld die Menschen nicht die richtige Haltung beim Gottesdienst hätten und dass das einen Gottesdienst entwürdigen würde", erklärt Ute Stenert, Leiterin des Referats Rundfunkarbeit und Medienethik bei der DBK. Schnell hätten die Kirchen aber die "große Chance" von Fernsehgottesdiensten erkannt – Menschen zu erreichen, "die vielleicht einfach zufällig zuschalten und ein Wort mitnehmen".
Heute ist die Auswahl groß: Laut Ulrich Fischer bieten jeden Sonntag rund 50 Rundfunkprogramme oder Webseiten Gottesdienstübertragungen aller Konfessionen an, basierend auf rund 25 Livesendungen. Allen voran der ZDF-Sonntagsgottesdienst, der im Wechsel von katholischen und evangelischen Gemeinden gestaltet wird. Die Zuschauerzahlen sind mit rund 800.000 stabil. Livestreams von Gottesdiensten im Internet erreichen dagegen bei weitem nicht so viele Menschen wie die Übertragungen im Fernsehen. Auf dem Internetportal katholisch.de sind es bei einem normalen Gottesdienst ein paar hundert User.
Altbewährtes und neue Formate
Ein Zeichen dafür, dass das Format Fernsehgottesdienst immer noch zeitgemäß ist? Ja und nein. Es sei es richtig, immer wieder auch neue Formate auszuprobieren, "sonst verlieren wir eine ganze Generation", erläutert Ute Stenert die Strategie. Zugleich gelte es, Bewährtes fortzusetzen. Denn vor allem ältere Menschen, meist Frauen ab 65 Jahren, schalteten Fernsehgottesdienste ein. "Das ist noch nicht die Generation, die im Internet unterwegs ist."
Senioren als stärkste Zuschauergruppe wohnten den Gottesdienstübertragungen "mit erstaunlicher Lockerheit bei", erklärt Fischer. Einerseits stellten sie hier und da eine Kerze neben den Fernseher, "um eine würdige Atmosphäre zu erzeugen"; aber sie blieben "auch schon mal im Morgenmantel, und der Kaffee steht auf dem Beistelltisch des Fernsehsessels". Und kritisch seien die älteren Zuschauer auch: "Wenn beim Pfarrer – vor allem während der Predigt – kein Funke überspringt, greifen die alten Herrschaften schnell zur Fernbedienung."
"Wenn beim Pfarrer - vor allem während der Predigt - kein Funke überspringt, greifen die alten Herrschaften schnell zur Fernbedienung," erklärt Ulrich Fischer.
Was der Zuschauer sich wünscht, das ergründete 2010 die Akzeptanzanalyse "Gottesdienste im ZDF". Für die Programmverantwortlichen ist laut Fischer auch das Feedback der Mitfeiernden an der Hotline, die nach jeder 45-minütigen Sendung geschaltet sei, aufschlussreich. Erwartet würden "Worte des Trostes und der Hoffnung", "schöne Kirchen", "gute Predigten" und ansprechende Musik zum Mitsingen. Am wichtigsten aber sei der Wunsch nach einem authentischen Prediger, der frei spreche, die Zuschauer einbeziehe, theologische Phrasen meide und den Gläubigen Orientierung und Halt im Alltag gebe.
Gefragte Werktagsgottesdienste
Vielleicht sind es auch solch höheren Ansprüche des Kirchenvolks, die dafür sorgen, dass die Gotteshäuser immer leerer werden, auch an Werktagen. Spartenkanäle im Fernsehen und Streamingdienste im Internet verzeichneten dagegen Zuwächse bei ihren täglichen Gottesdienstübertragungen, erläutert Fischer. "Anscheinend feiern schon mehr Gläubige werktags Gottesdienste über Medien als vor Ort in den Kirchen", so der Theologe. Diese Gläubige, die sich eng mit der Kirche verbunden fühlten, ließen sich auch von mitunter suboptimaler Übertragungsqualität nicht abschrecken.
Dennoch plädiert auch Fischer für neue Formate, um jüngere Zielgruppen und "digital natives" mit innovativen Gottesdiensten online zu erreichen und ihnen einen neuen Zugang zur Liturgie zu vermitteln. Durch die Digitalisierung könnten neue Gottesdienstgemeinschaften – auch alternativ zur Eucharistiefeier – aufgebaut und "inaktives Gemeindeleben" vor Ort ausgeglichen werden, findet der Theologe. Vorbild könnten hier Australien und Skandinavien sein: Um weit verstreute Gemeinden und ihre Mitglieder zu erreichen, setzen diese Länder bereits verstärkt auf digitale Angebote.