Der Katholikentag kommt hinter Gitter

Im Gefängnis zum Ministranten geworden

Veröffentlicht am 12.05.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Katholikentag

Münster ‐ Gut 1.000 Veranstaltungen umfasst der Katholikentag und viele davon gehören zum Standardprogramm solcher Events. Doch bei einem Termin kann man Menschen treffen, die sonst verborgen bleiben: Strafgefangene.

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Um kurz nach drei Uhr nachmittags fangen die Hände von Bernd* an zu schwitzen. Der 32-Jährige sitzt in seiner Zelle in der JVA Münster und wird langsam nervös. Bernd hat eine schwarze Jogginghose und ein bordeauxfarbenes Sweatshirt an, die dunkelbraunen Haare sind modern gestylt. Er fragt sich, worauf er sich da eingelassen hat. Im Gefängnis sind Kontakte nach außen normalerweise streng reglementiert – gleich soll er mehr als 20 Menschen auf einmal treffen und mit ihnen sprechen. Es sind Besucher des 101. Deutschen Katholikentags in Münster. Immerhin wird Bernd dafür seine 12,5 Quadratmeter kleine Zelle verlassen können und in die große Kapelle mit der hohen Decke, den kirchenartigen Fenstern und dem Rest an Weihrauchgeruch gehen.

Draußen vor dem Gefängnis ist auch die kleine Menschengruppe gespannt auf das, was sie erwarten wird unter dem Programmpunkt "Friedensgebet in der JVA". Gefängnisseelsorger Hans Gerd Paus erklärt zunächst, was gleich alles nicht erlaubt sein wird: Alle Handys müssen ausgemacht und mit den anderen Gepäckstücken und dem Personalausweis abgegeben werden, Fotografieren darf man ebenfalls nicht, und: "Beim Gefangenenkontakt dürfen sie nichts übergeben und nichts annehmen sowie Ihre Adresse nicht austauschen". Danach beschwichtigt Paus wieder: "Wahrscheinlich wird keines der Dinge geschehen, aber ich muss Sie darauf aufmerksam machen."

Erst werden alle Türen geschlossen, bevor eine neue aufgeht

Dann geht es hinein, was im Gefängnis bedeutet: Erst wenn alle anderen Türen zu sind, wird eine Tür geöffnet. Nach zwei Türen stehen die 20 Katholikentagsteilnehmer und drei Seelsorger in einem efeuumrankten Innenhof des zweitältesten Gefängnisses Deutschlands, das 1848 erbaut wurde. Dann geht es in einem weiteren Gebäude die Treppe hoch – es riecht frisch renoviert, der Bodenbelag ist neu. Durch das Zimmer, in dem die Seelsorgegespräche stattfinden – an der alten weißen Tür klebt der Spruch "Übermorgen ist auch noch ein Tag" – geht es an der Stirnseite hinein in die Gefängniskapelle. Von hinten kommen vier Insassen, darunter auch Bernd, der sich mit den anderen in die letzte der vier Stuhlreihen setzt.

Bevor es zu einem Gespräch oder auch nur der Möglichkeit eines illegalen Kontakts kommen kann, beginnt schon der Wortgottesdienst. Josefine May, Pastoralreferentin und Gefängnisseelsorgerin in der Frauen-Justizvollzugsanstalt Vechta erklärt, dass Jesus auch nach seiner Himmelfahrt mitten unter den Menschen sei. Er habe ihne seinen Frieden hinterlassen, den die Menschen wegen ihrer menschlichen Unzulänglichkeiten und Ängste nicht leben könnten. May spricht ein Friedensgebet und trägt das Evangelium vor. Danach ist es so still in der Kapelle, dass man die Katholikentags-Gesänge und einen vorbeifahrenden Rettungswagen von draußen hört.

Josefine May
Bild: ©katholisch.de

Josefine May, Pastoralreferentin und Gefängnisseelsorgerin in der Frauen-Justizvollzugsanstalt Vechta, vor der JVA Münster, in der sie während des Katholikentags Friedensgebete feiert.

Ziemlich still bleibt es auch, als May dazu auffordert, frei Fürbitten zu formulieren. Nur Katholikentagsteilnehmer – nur Frauen – äußern ihre Bitten laut vor den anderen. Worum die Gefangenen beten, bleibt den anderen Teilnehmern verborgen. Nach einem Vaterunser, dem Segen und einem kurzen Taizé-Lied ist der Gottesdienst schnell zu Ende. Das bedeutet aber auch, dass für das Gespräche mit den Gefangenen und das "Lebenswirklichkeiten in einer JVA kennenlernen", wie es im Programmheft heißt, eine ganze Stunde Zeit bleibt. Die Stunde wird intensiv.

„Wie hält man es aus, nicht in Freiheit zu sein?“

—  Zitat: Fragen an die Häftlinge der JVA Münster

Je zwei Gefangene setzen sich in einen der beiden Stuhlkreise im hinteren Teil der Kapelle, die Besucher und Seelsorger setzen sich dazu. Dann soll eine Vorstellungsrunde kommen, sagt Frank Ottofrickenstein, der Seelsorger der JVA Münster. Bevor er aber dazu kommt, steht er auf und verlässt den Stuhlkreis; er muss einen Musiker, der den Gottesdienst mit der Gitarre begleitet hat, aus dem Gefängnis führen. In den Gesprächskreisen sagt keiner etwas, die meisten starren etwas verlegen auf den Boden. Da ist dieses "Zoo-Gefühl", von dem Beate Jörgens vor der JVA sprach. Die Erzieherin hatte sich gefragt, ob die Insassen sich nicht wie im Zoo vorkommen, wenn Katholikentagsteilnehmer wie sie kommen und mit ihnen reden wollen.

Fühlen sich die Gefangenen nicht wie im Zoo?

Es ist der Gefangene Bernd, der das Schweigen nicht mehr aushält. "Also, ich fange mal an" sagt er, lächelt etwas verlegen, nennt seinen Namen, Alter und sagt, dass er aus Deutschland kommt. In Untersuchungshaft sei er nun seit drei Monaten, weil er "zum zweiten Mal Scheiße gebaut" habe. Neben ihm stellt sich Timur* aus Kasachstan vor, der seit mehr als 25 Jahren in Deutschland lebt. Das Eis ist gebrochen, nun trauen sich auch die Katholikentagsteilnehmer: "Wie hält man es aus, nicht in Freiheit zu sein?", "Wieso seid ihr zu diesem Treffen gekommen, fühlt ihr euch mit uns nicht wie im Zoo?" Um sich in der hallenden Kapelle besser zu verstehen, rücken alle näher zusammen, nun sitzen die Teilnehmer praktisch Knie an Knie.

Bernd erzählt, er versuche "überwiegend runter von der Zelle" zu kommen. Vor dem Treffen mit den Katholikentagsteilnehmern sei er trotzdem erst einmal sehr nervös gewesen. Im Gefängnis arbeite er, gehe zum Fußball und Kraftsport sowie in die Kirche, wo er neuerdings auch Ministrant bei Priester und Seelsorger Ottofrickenstein sei. Dabei hatte er vor dem Gefängnis schon lange nichts mehr mit der Kirche am Hut: Kurz vor seiner Konfirmation sei er in ein Heim gekommen, damals sei der Kontakt zur Kirche abgebrochen. Dass er nun in Unfreiheit sei, habe er sich selbst zuzuschreiben, sagt er hart und ehrlich. Der junge Mann erzählt, wie es eigentlich gut lief in seinem Leben: Realschulabschluss, acht Jahre lang ein Job als Lackierer. Dann kamen die Drogen und damit die Probleme. Bernd landete im Knast und als er auf Bewährung raus kam "baute ich gleich wieder Scheiße".

JVA Münster
Bild: ©katholisch.de

Haupteingang der 1848 erbauten Justizvollzugsanstalt Münster.

Ottofrickenstein ist zwischenzeitlich wieder zurück in der Runde und wirft immer wieder Erklärungen ein. Er sagt etwa, dass in deutschen Gefängnissen mehr als 50 Prozent der Insassen Suchterkrankte seien und dass er als Gefängnisseelsorger für alle da sei, nicht nur für die Katholiken. Auch könnten die vier Gefangenen selber entscheiden, ob sie die Fragen der Besucher vom Katholikentag beantworten. Bernd allerdingst taut nun fast völlig auf: "Im Seelsorgegespräch mit Frank rede ich auch ununterbrochen." Nicht alle im Gefängnis seien einem wohlgesonnen und durch die Suchtproblematik ergebe es sich nicht oft, dass man "mit einem Menschen vernünftig reden kann". Besuch darf er zweimal im Monat empfangen, monatlich ein Telefonat ist erlaubt. Dabei gehe es ihm noch gut: Andere Insassen müssten unter strengeren Haftbeschränkungen leben.

Die straffen Regeln im Gefängnis gelten nicht ohne Grund. Ottofrickenstein erklärt: "Wer im Knast an Drogen herankommen will, der schafft das auch." Bernd sagt, dass er das nicht will. Er lebe nun seit Monaten clean, treibe Sport, versuche Routine im Alltag zu gewinnen und würde – wenn er denn verurteilt wird – am liebsten "Therapie statt Strafe" machen, um von dem Zeug loszukommen.

Normale Kleidung und ein Mietfernseher

"In echt" ist das Gefängnisleben anders, als man es aus Filmen kennt, klären die Insassen auf – Bernd spricht, Timur nickt zustimmend. In U-Haft könne man seine eigene Kleidung tragen und auch im Strafvollzug sei die Gefangenenkleidung weder Schwarz-Weiß-Gestreift, noch Orange. Sie sehe eher wie blaue Arbeitskleidung aus. Geweckt würde man um sechs Uhr, Frühstück gebe es auf der Zelle – nicht auf einem Tablett, sondern es gebe einen Teller, eine Schüssel und eine Kanne mit heißem Wasser. Was man über Käsebrote und Joghurt hinaus essen wolle, könne man sich dazukaufen. Jeder Häftling darf im Monat für bis zu 210 Euro einkaufen. Auch der Fernseher auf dem Zimmer kostet Miete. Das Licht dürfe jeder Gefangene abends autonom ausschalten, freut Bernd sich. Das sei nicht überall der Fall, fügt Ottofrickenstein hinzu.

Allein Bücher zu lesen, sei derzeit in der JVA Münster schwierig. Die Information verwundert. Warum kommen die Gefangenen leichter an einen Spielfilm als an einen Roman? "Der Gebäudeteil, in dem die Bücherei liegt, ist einsturzgefährdet." Die Situation klingt absurd, es wird gelacht in der Runde. Tatsächlich musste das gesamte Gefängnis im Jahr 2016 wegen Einsturzgefahr geräumt werden, die Männer wurden auf andere Anstalten verlegt. Ein Flügel des sternförmigen Gebäudes wurde im vergangenen Jahr renoviert, sodass sich seit Januar wieder 220 Gefangene in Münster befinden.

Katholikentag in der JVA
Bild: ©katholisch.de

Einige Katholikentagsteilnehmer vor der JVA Münster, in der sie mit den Gefangenen gebet und gesprochen haben. In der Mitte stehen die Gefängnisseelsorger Hans Gerd Paus und Josefine May sowie Teilnehmerin Beate Jörgens.

Auch aus dem zweiten Gesprächskreis erklingt immer wieder Lachen. Dort stehen kurz vor sechs Uhr einige Katholikentagsteilnehmer auf, weil sie zum nächsten Programmpunkt wollen. Die vorgesehene Zeit für das Gespräch ist längst überschritten. Dennoch wird nicht gehetzt, alle können sich in Ruhe verabschieden. Die Katholikentagsteilnehmer wünschen den Häftlingen alles Gute, dann gehen sie zu derselben Tür raus, zu der sie reingekommen sind, die Gefangenen nutzen die andere Tür.

Nach dem Besuch in der JVA ist Beate Jörgens begeistert: "Wie dieser junge Mann die Runde eröffnet hat und als Türöffner zu uns wirkte. Ich hätte nicht gedacht, dass wir so einfach ins Gespräch kommen." Die Männer seien so ehrlich gewesen ihre Erzählungen so nachvollziehbar. "Ich würde mich wohl genauso fühlen und raus aus der Zelle wollen zu allen Aktivitäten, die möglich sind." Auch die 27-jährige Studentin Miriam freut sich, dass sie einen Einblick in die ansonsten nicht zugängliche Welt der JVA nehmen konnte. Es sei etwas anderes, von Gefängnisseelsorgern zu hören, wie ihre Arbeit sei, als mit Gefangenen direkt in Kontakt zu kommen. Bei den Besuchern wurden an diesem Nachmittag Ängste und Hemmungen abgebaut. Die katholischen Gefängnisseelsorger haben also erreicht, was sie wollten. Und noch mehr: Am Stand auf der Kirchentagsmeile herrscht großer Andrang. Alle Plätze für weitere Besuche in der JVA sind bereits am Freitag vergeben.

Von Agathe Lukassek

Themenseite: Katholikentag

Vom 9. bis zum 13. Mai 2018 findet der Katholikentag in Münster statt. Alle Artikel von katholisch.de zu diesem Ereignis finden Sie auf der Themenseite.