Tilmann Kleinjung über Joseph Ratzinger und die FIFA

Der Fußball und die verlorene Unschuld

Veröffentlicht am 17.07.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Tilmann Kleinjung über Joseph Ratzinger und die FIFA

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Im Archiv des Bayerischen Rundfunks schlummert ein kleiner Schatz, ein "Wort zum Sonntag", aufgenommen im Sommer 1978 vom damaligen Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger. Der spätere Papst Benedikt spricht über die Fußball-Weltmeisterschaft, die damals in Argentinien stattfand. Ein Spektakel, das dem feinsinnigen Theologen vermutlich eher fremd war und dem er sich auf seine Weise annäherte - hochintellektuell: Das Faszinierende am Fußballspiel sei doch, dass es "ganz frei ist, ohne Zweck und ohne Nötigung". Das Spiel sei "eine Art von versuchter Heimkehr ins Paradies". Das entsprach schon 1978 mehr dem Ideal als der Wirklichkeit. Die WM in Argentinien gilt als Sündenfall. Der Gastgeber ließ Regimegegner foltern und töten, und die Gäste ignorierten geflissentlich die politischen Begleitumstände des Turniers.

Im Jahr 2018 hat der Fußball schon lange seine Unschuld verloren. Die WM in Russland ist gerade zu Ende gegangen. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack. Russlands Präsident Vladimir Putin versteht es, bei sportlichen Großereignissen sein Land bestens in Szene zu setzen, kritische Nachfragen zu Demokratie und Menschenrechten wurden nicht gestellt, schon gar nicht vom Veranstalter des Turniers.

Die FIFA pflegt unbeirrt den Mythos vom unpolitischen Sport: "Hier geht es um den Fußball". So ein Quatsch. Zwei deutsche Nationalspieler mit türkischen Wurzeln präsentierten sich vor dem Turnier Arm in Arm mit Staatspräsident Erdogan. Einer der beiden, Mesut Özil, hält das nicht einmal für erklärungsbedürftig, woraufhin ihn DFB-Funktionäre prompt als Buhmann für das Scheitern der deutschen Mannschaft ausgemacht haben. Was mir endgültig die Fußball-Laune vermiest, ist die nächste Weltmeisterschaft, die 2022 im Wüstenstaat Katar stattfindet. Im Advent! Um die Stadien zu bauen, werden und wurden tausende Wanderarbeiter ausgebeutet.

Schon 1978 hatte Joseph Ratzinger vor genau dieser Entwicklung gewarnt: Natürlich könne alles verdorben werden "durch einen Geschäftsgeist, der das Spiel in eine Industrie verkehrt".

Von Tilmann Kleinjung

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