Ein Berg von Fragen zu "Gender-Mainstreaming"

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Manchmal hilft beim Reizthema "Gender-Mainstreaming" der Kontakt mit der Wirklichkeit gegen die Versuchungen des verschreckten Alarmismus auf der einen sowie des sprachkorrekten Übereifers auf der anderen Seite. So geschah es mir vor einigen Jahren: Ein junger Mensch (körperliches Geschlecht weiblich, gefühltes Geschlecht männlich) meldete sich für die Oberstufe als Quereinsteiger an. Der Wunsch: Er wollte mit dem Jungen-Namen "Edi" vorgestellt werden. Ich fragte die Mutter, wie es ihr denn mit diesem Wunsch ginge. Sie brächte es noch nicht über die Lippen, "mein Sohn" statt "meine Tochter" zu sagen, lautete ihre Antwort. Deswegen sage sie: "Mein Schatz", oder "mein Kind". Aber sie respektiere den Wunsch ihres Kindes gegenüber der Schule. Ich solle selbst entscheiden, wie ich auf den Wunsch eingehe.
Ich entschied mich, auf den Wunsch von Edi einzugehen. Sofort kam die nächste Frage: "Darf ich auf die Jungentoilette?" Ein ganzer Berg von Fragen tat sich plötzlich vor mir auf: Was bedeutet das für die anderen männlichen Schüler? Was ist eigentlich Transsexualität? Ab welchem Alter beginnen Kinder oder Jugendliche, sich Fragen nach ihrer geschlechtlichen Identität zu stellen – bin ich ein Mädchen, bin ich ein Junge, bin ich beides? Wie geht es ihnen damit? Was sagen die Fachleute zu dem Thema? Auch ganz praktisch: Was bedeutet das für den Sportunterricht einschließlich der Umkleideräume? Und wie gehe ich auf Fragen im Religionsunterricht ein, wenn die beiden Schöpfungsberichte gelesen und bedacht werden?
Ich bat Edi um Zeit, um die einzelnen Fragen Schritt für Schritt bedenken zu können. Er stimmte zu. Heute blicke ich auf zwei ereignisreiche Jahre zurück, in denen ich gemeinsam mit dem Leitungsteam viel entdecken durfte, viele Entscheidungen treffen musste und schließlich auch neue Freunde gewann.
Wenn ich das Christentum richtig verstanden habe, so steht und fällt es mit dem Bekenntnis zur Menschwerdung des Wortes Gottes (Joh 1,1f). Gott wird Mensch. Das bedeutet in der Konsequenz, dass ich Gott, seinem Willen, seinem Ruf an mich in der Wirklichkeit begegne, in der Gegenwart, ganz konkret: In dem Menschen, der jetzt vor mir sitzt. Manchmal komme ich da mit den "richtig" und "falsch"-Kategorien aus überlieferten Lehrtraditionen nicht weiter, und auch nicht mit den Kategorien "politisch korrekt" und "politisch unkorrekt". Beide haben die konkrete Person zu wenig im Blick, wenn es ihnen primär um die Stimmigkeit ihrer Lehren geht. Genau dies widerspricht aber dem Herzstück der Lehre des Christentums: Dass der Weg Gottes zum Menschen über den Menschen verläuft – und zwar nicht über "den Menschen" als Begriff, sondern als die vor mir sitzende, mir begegnende Person, hier und jetzt.