Nach scharfer Kritik an "Mission Manifest"

Initiator Hartl wehrt sich gegen Sekten-Vorwurf

Veröffentlicht am 15.10.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Mit deutlichen Worten hatte die Sozialethikerin Ursula Nothelle-Wildfeuer in der vergangenen Woche auf katholisch.de Kritik an dem Buch "Mission Manifest" geäußert. Jetzt wehrt sich mit Johannes Hartl einer der Autoren des Manifests im Interview gegen die Vorwürfe.

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Anfang des Jahres hatte Johannes Hartl gemeinsam mit zwei Mitstreitern das Buch "Mission Manifest" veröffentlicht und darin zehn teilweise provokante Thesen für eine lebendige Kirche formuliert. Das Buch wurde kontrovers diskutiert; zuletzt veröffentlichte die Sozialethikerin Ursula Nothelle-Wildfeuer gemeinsam mit dem Fundamentaltheologen Magnus Striet sogar ein eigenes Buch gegen das Manifest. Doch damit nicht genug: Im katholisch.de-Interview warf Nothelle-Wildfeuer den Autoren von "Mission Manifest" sogar eine Versektung und Evangelikalisierung der katholischen Kirche vor. In einem weiteren Interview antwortet Hartl nun auf die Kritik.

Frage: Herr Hartl, die Freiburger Sozialethikerin Ursula Nothelle-Wildfeuer hat Ihr Buch "Mission Manifest" vor wenigen Tagen in einem Interview auf katholisch.de scharf kritisiert. Sind Sie ihr schon einmal persönlich begegnet?

Hartl: Nein, noch nie.

Frage: Meinen Sie, dass muss nun nachgeholt werden?

Hartl: Da muss ich schmunzeln. Über ein Gespräch würde ich mich freuen, doch Frau Nothelle-Wildfeuer hat ihre Kritik mit einem sehr brachialen Wortschatz geäußert. Außerdem gab es noch etliche sachliche Fehler, es besteht keine persönliche Bekanntschaft und sie war auch noch nie bei einer unserer Veranstaltungen. Deshalb weiß ich nicht, ob ihre Kritik wirklich der ideale Einstieg in eine offenherzige Debatte ist. Wir finden es gut, dass das Buch von Frau Nothelle-Wildfeuer erscheint, und wir sehen dem Diskurs positiv entgegen. Ich hätte mir aber gewünscht, dass er weniger polemisch begonnen hätte. Aber ich will betonen: Wir sind sehr offen für einen weiteren konstruktiven Dialog.

Frage: Mit Blick auf die im Interview geäußerte Kritik haben Sie gesagt: "Wir brauchen keine weitere Lagerbildung in der Kirche". Aber schaffen Sie mit dem Gebetshaus Augsburg denn nicht selbst alternative Strukturen?

Hartl: Es gab immer Bewegungen und Orte des gemeinschaftlichen Glaubens außerhalb der hierarchisch verfassten Struktur der Kirche. Das ist nichts Spezifisches für das Gebetshaus. Ich will nur Taizé, Wallfahrtsorte und geistliche Gemeinschaften nennen. Wir sind da in einer guten Tradition, dass der Heilige Geist inner- und außerhalb der Strukturen der Kirche wirkt.

Frage: Taizé besuchen die meisten Jugendlichen nur ein paar Tage. Die Brüder dort rufen dazu auf, sich nach der Rückkehr in den heimatlichen Kirchengemeinden zu engagieren...

Hartl: In unserem Buch "Mission Manifest" geht es genau darum: Wie setzt man einen geistlichen Impuls zu Hause vor Ort um? Wir wollen Möglichkeiten aufzeigen, wie man das Engagement für den Glauben daheim realisieren kann und wir erleben auch tatsächlich, dass das passiert.

Linktipp: "Das 'Mission Manifest' bedeutet eine Versektung der Kirche"

"Versektet" und "evangelikal" – so wäre die Kirche, wenn es nach den Autoren des "Mission Manifests" geht: Das findet jedenfalls die Sozialethikerin Ursula Nothelle-Wildfeuer. Für sie ist das kein Comeback der Kirche, sondern sogar eine Rolle rückwärts.

Frage: Erhalten Sie auch Rückmeldungen?

Hartl: Natürlich, auf der Homepage vom "Mission Manifest" kann man sogenannte Best-Practice-Beispiele finden. Unser Anliegen war es nicht, ein theologisches Memorandum zu veröffentlichen, sondern aufzuzeigen, was an tatsächlich gelingendem missionarischen Handeln heute möglich ist. Der Aufruf, sich vor Ort in den Gemeinden zu engagieren, ist bei ganz vielen Gelegenheiten schon im Gebetshaus und bei Konferenzen erschollen.

Frage: Das "Mission Manifest" fordert, dass "Mission zur Priorität Nummer Eins" werden soll. Sind damit die anderen Grundvollzüge der Kirche, Liturgie und Diakonie, gegenüber der Verkündigung weniger wichtig?

Hartl: Sie sind genauso wichtig, aber die Frage ist, ob sie im jetzigen Zustand der Volkskirche im deutschsprachigen Raum genauso etabliert sind. Für uns ist der eklatante Notstand nicht, dass die katholische Kirche nicht auf die Idee kommt, sich in der Caritas zu engagieren. Das ist sehr gut etabliert. Wir sind sehr dankbar für das Viele, das es schon gibt. Aber es gibt nur ganz wenige Orte, an denen Menschen, die dem Glauben fernstehen, aktiv erreicht werden. Es bedarf daher einer strategischen Neupriorisierung. Doch das bedeutet nicht, dass es qualitativ zwischen den Grundvollzügen der Kirche eine kategorische Wertung gibt.

Frage: Was meinen Sie damit konkret?

Hartl: Ein Bild beschreibt es ganz gut: Wenn ein Schiff zu lange in eine Richtung gefahren ist und auf einen Eisberg zusteuert, muss das Ruder herumgerissen werden. Das wollen wir mit dem "Mission Manifest" tun.

Frage: Wollen Sie damit sagen, Diakonie ist die eine Richtung, Mission die andere?

Hartl: Nein, ich würde sagen: Volkskirche ist die eine Richtung und missionarische Entscheidungskirche die andere.

Bild: ©Universität Freiburg

Sorgt mit ihrer Kritik an "Mission Manifest" für Widerspruch von Mitinitiator Hartl: Ursula Nothelle-Wildfeuer.

Frage: Doch auch in der Entscheidungskirche muss es dazugehören, sich für sozial Benachteiligte zu engagieren, oder?

Hartl: Natürlich. Und umso mehr verwundert es mich, dass Frau Nothelle-Wildfeuer alle Bezüge im "Mission Manifest" überliest, wo wir genau das vertreten. Es verwundert mich, wie eine Theologin von dem Niveau einer Professorin für Sozialethik einfach mal die Einleitung und die Seiten 23, 33, 34 und 203 im Buch überlesen kann, wo explizit von der diakonischen Dimension gesprochen wird. Doch gleichzeitig wollen wir mit missionarischem Handeln die Menschen dort abholen, wo sie stehen, auch mit ihren inhaltlichen Fragen. Denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein.

Frage: Sie meinen also, Frau Nothelle-Wildfeuer hat da etwas übersehen?

Hartl: Ihre Kritik scheint mir tatsächlich eine Fehlinterpretation zu sein. Das ist auch mein eigentliches Problem mit dem Interview, das vor einigen Tagen bei katholisch.de veröffentlicht wurde. Es ist in Ordnung, dass das "Mission Manifest" kritisiert wird. Aber es ist offensichtlich einer ganz oberflächlichen oder bewusst missgünstigen Lesart geschuldet, was da gesagt wird. Wirklich abenteuerlich wird es, wenn Frau Nothelle-Wildfeuer das Wort von Papst Franziskus von der Kirche als Lazarett als Gegenmodell zu der angeblich von uns propagierten "Elitekirche" einführt. Hat sie tatsächlich überlesen, dass im Buch "Mission Manifest" eben genau jenes Zitat auf Seite 117 steht und wir exakt auf das gleiche hinweisen? Wenn man ein Buch kritisiert, sollte man sich doch ganz sicher sein, dass man den Inhalt des Buches kennt. 

Frage: Muss sich ein Christ denn entscheiden: Entweder Volkskirche oder missionarische Entscheidungskirche? Schließt sich das beides aus?

Hartl: Kirche war schon immer pluriform. Die Frage ist, welche Akzente brauchen wir in welcher Zeit zusätzlich? Ich kenne niemanden, der die Volkskirche abschaffen, bekämpfen oder an den Rand drängen will. Das ist alles Unsinn! Aber die Frage ist: Welche neuen Formen brauchen wir? Denn das volkskirchliche Modell, wie wir es jetzt haben, wird in den nächsten Jahrzehnten noch dramatischer einbrechen, als es schon passiert ist. Das weiß jeder, der Statistiken lesen kann.

Frage: Aber es gibt ja durchaus Gemeinden und Verbände, die innerhalb der Volkskirche Erfolg haben. Etwa die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands, die in den letzten Jahren ihre Mitgliederzahl steigern konnte.

Hartl: Es ist wunderbar, wenn so etwas funktioniert. Aber ich bin erstaunt über die Emotionalität und wie sich die Leute angegriffen fühlen, wenn wir sagen: Wir brauchen missionarische Angebote. Damit meinen wir nicht, dass bestehende Angebote schlecht oder überflüssig seien. Wie kommt man auf die Idee, dass wer für Apfelkuchen wirbt, auch gegen Rumtorte ist? Wir glauben, dass es zusätzlich zu volkskirchlichen Angeboten neue Initiativen braucht, denn die Volkskirche ist dabei, auf dramatische Weise wegzubrechen. Ein Trend, der wahrscheinlich unumkehrbar ist. Es genügt also nicht zu sagen, schön, dass es beides gibt. Sondern es ist ein Gebot der Stunde, nach anderen, nicht volkskirchlichen Formen zu suchen. Für eine Kirche, die es gewohnt ist, durch biologischen Nachwuchs und Sakramentenkatechese Gläubige zu gewinnen, ist es ein ungewohnter Weg, auf entkirchlichte, suchende Menschen zuzugehen. Wir glauben aber, dass genau das die große Chance der Zukunft ist.

Linktipp: Die Kirche der Zukunft muss nutzerfreundlich sein

Viel wird derzeit über das "Mission Manifest" und Gegenthesen diskutiert. Katholisch.de-Redakteur Kilian Martin findet die Debatte gut. Doch vor neuen Strukturen brauche es zunächst einen Kulturprozess. (Artikel von Januar 2018)

Frage: Aber würden Sie die Volkskirche unterstützen, wo sie noch funktioniert?

Hartl: Selbstverständlich. Ich selbst bin ein Kind der Volkskirche: Ich komme aus einer normalen Pfarrgemeinde und war als Jugendlicher Mitglied des BDKJ. Ich bin dankbar für alles, was es an Strukturen noch gibt. Aber man muss ja wirklich blind sein, um zu sagen, dass das ohne weiteres für die nächsten Jahrzehnte so ausreicht. Dem ist nicht so! Die Volkskirche erreicht zwar noch viele Leute: Jedes Jahr werden die 300.000 Sternsinger genannt. Das ist ganz großartig, aber es ist verwunderlich, dass nachher bei den Zahlen der Messbesucher und der Neupriester nichts mehr davon zu sehen ist. Einfach zu sagen, wir müssten uns keine Sorgen machen und dürften nicht polarisieren: Das ist doch wirklich ein bisschen zu zahm!

Frage: Das Gebetshaus Augsburg wird fast ausschließlich über Spenden finanziert. Auch Sie als Leiter des Hauses müssen das tägliche Brot Ihrer Familie darüber finanzieren. Wächst auf diese Weise eine Abhängigkeit, den Erwartungen der Besucher entsprechen zu müssen?

Hartl: Was wäre denn das Gegenmodell? Ich frage mich, ob eine, von einer staatlichen Steuer generierte Kirche nicht auch in einer ähnlichen Gefahr stünde. Von Spenden zu leben hat eine lange Tradition. Einige Orden haben das getan und tun es teilweise immer noch. Selbst Jesus hat sich während seiner öffentlichen Tätigkeit unterstützen lassen. Ich denke, man muss sein Herz prüfen. Dass man in eine Abhängigkeit kommt, halte ich für eine berechtigte Frage, aber egal wie man sich finanziert kann Geld Abhängigkeiten schaffen. Die Abhängigkeit von einem Kirchensteuermodell halte ich für genauso gefährlich.

Frage: Es wurde Ihnen und dem Gebetshaus zudem vorgeworfen, dass sie eine recht einfache Wahrheit verkünden und den Verstand außen vor ließen...

Hartl: Ich denke, Frau Nothelle-Wildfeuer hat sich offensichtlich nicht die Mühe gemacht, zu recherchieren, was bei uns alles angeboten wird. Mir scheint, dass die Begriffe freikirchlich, evangelikal, fundamentalistisch und Sekte für sie in etwa das Gleiche bedeuten. Gerade im Gebetshaus legen wir Wert auf theologische Bildung. Bei uns gibt es etwa eine 15-teilige Vortragsserie zur Christologie. Sicherlich kein Standardangebot in der kirchlichen Jugendarbeit, aber da kenne ich mich zu wenig aus. Aber einfach zu behaupten: Hier wird Gefühl über Verstand gesetzt, wird weder dem Gebetshaus noch den missionarischen Aufbrüchen gerecht – die in der Regel erstaunlich gut theologisch aufgestellt sind.

Frage: Frau Nothelle-Wildfeuer hat Ihnen "Versektung" vorgeworfen. Was unterscheidet denn das Gebetshaus von einer Sekte?

Hartl: Eine Stereotypisierung des argumentativen Gegners ohne eine wohlwollende intensive Beschäftigung mit seinen Thesen halte ich für ein Merkmal des Fundamentalismus – und leider auch der Aussagen von Frau Nothelle-Wildfeuer in besagtem Interview. Versektung entsteht dann, wenn man ein starkes Wir-Gefühl aufbaut und die eigene Unfehlbarkeit konstruiert, die sich vom Ganzen des Glaubens abschneidet. Ich wäre sehr dankbar, zu erfahren, wo das Gebetshaus da in Gefahr ist. Ich kann nichts erkennen. Ein Werk, das so ökumenisch zusammengesetzt und keine Kirche ist, wo man nicht einmal Mitglied werden kann, das Christen aus ganz unterschiedlichen spirituellen Provenienzen anspricht, dürfte relativ wenig in Verdacht sein, eine exklusive Einzelgruppe zu bilden.

Von Roland Müller