Safed im Norden Israels ist gesprägt durch jüdische Kunst und Mystik

Wenn eine Stadt blau macht

Veröffentlicht am 26.10.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Safed ‐ Wer durch Safed im Norden Israels spaziert, der spürt sofort eine besondere Atmosphäre. Der Ort ist geprägt durch seine Tradition der jüdischen Mystik und der Kunst – und durch die Liebe zu einer besonderen Farbe.

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"Blau ist die Farbe des Meeres, weil der Himmel blau ist. Und der Himmel ist der Thron Gottes," so antworten die Einwohner Safeds, wenn man sie fragt, warum viele Türen, Fenster und selbst Gräber in ihrer Stadt mit dieser Farbe gestrichen oder lackiert sind. Im Norden Israels, auf einem Hügel, der einen schönen Blick auf das galiläische Umland freigibt, liegt diese unscheinbare Stadt, deren enge Kopfsteinpflastergassen mit jüdischer Kunst und Mystik gefüllt sind. Für ihre Bewohner verbinden sich hier Himmel und Erde.

Eine göttliche Strafe

Safed wird in der Bibel nicht erwähnt und doch entwickelte es sich im 16. Jahrhundert zum Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit und gilt bis heute als eine heilige Stadt. Als 1759 mehrere Erdbeben die Stadt beinahe völlig zerstörten, wurde dies als eine göttliche Strafe gedeutet, da viele der größten Gelehrten des Judentums der damaligen Zeit sich in Safed und nicht in Jerusalem niedergelassen hatten. So kam zum Beispiel Josef Caro als vierjähriger Junge, nachdem seine Familie durch die christliche Wiedereroberung Spaniens das Land verlassen musste, nach Safed, wo er später den "Schulchan Aruch" schrieb. Dieses Buch, das eine Zusammenfassung der religiösen Vorschriften des Judentums gibt, ist bis heute für die Orthodoxie maßgebend. Gemäß der jüdischen Tradition hat der Prophet Elija ihm das Buch in einem Wohnraum unter der Synagoge, in der er lehrte, diktiert. Bis heute ist an diesem Ort eine Synagoge, deren Innenraum im himmlischen Blau erstrahlt und Josef Caros Namen trägt.

Alte Häuse mit blauem Anstrich
Bild: ©Fotolia/svarshik

Jüdisches Viertel in der nordisraelischen Stadt Safed.

Wenn man ein Stück aus der Stadt hinausgeht, gelangt man zum Friedhof, auf dem sich das Grab des Rabbiners befindet, der Safed zum Zentrum jüdischer Mystik gemacht hat. Isaak Luria wurde 1534 in Jerusalem geboren, aber lernte und lehrte in Safed und prägt die Stadt bis heute. Die Grundlagen der jüdischen Tradition der Mystik sind im Buch "Zohar" zusammengefasst, als deren Verfasser Shimon benJochai geglaubt wird, dem Gott die Lehren der Kabbalah geoffenbart haben soll. Sein Grab befindet sich nur wenige Kilometer entfernt von Safed am Berg Meron. Auf der Suche nach der Erfahrung einer unmittelbaren Beziehung zu Gott studierte Isaak Luria die kabbalistischen Schriften und entwickelte darauf aufbauend seine die jüdische Mystik bis heute stark beeinflussenden Lehren. Für ihn ist die Schöpfung durch einen göttlichen Akt der Selbstbeschränkung (tzimtzum) ermöglicht worden, in deren Folge die Erschaffung der Welt in einer Unordnung endete. Die Reparatur der Welt, bzw. die Wiederherstellung der göttlichen Ordnung (tiqqun), unter anderem durch das meditative Gebet, Askese und die Erfüllung der Gebote, ist die Aufgabe der Menschen. Um den blauen Grabstein Isaak Lurias findet man immer Gläubige im Gebet versunken. Am Grab ist eine Tafel angebracht mit einem seiner Lehrsätze, mit dem jeder das Gebet an seinem Grab beginnen soll: "Hiermit akzeptiere ich für mich das Gebot‚ Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst‘ und werde jeden der Kinder Israels mit meiner ganzen Seele lieben". Als er lebte, wohnten über 700 jüdische und über 1.000 muslimische Familien friedlich nebeneinander in Safed.

In den engen Gassen findet man heute viele Synagogen, in denen man Kabbalah lernen kann. Es gibt Zentren, die Einführungskurse bieten, und Rabbiner, die Fragen beantworten. In der Stadt gibt es auch ein Künstlerviertel, indem sich kleine und große Galerien sowie Künstlerwerkstätten aneinanderreihen. Man findet die verschiedensten Arten von Gemälden, Schmuck, Glasskulpturen, Webereien und vielem mehr. Viele der Künstler schöpfen ihre Inspiration aus der Kabbalah. So zum Beispiel Sheva Chaya, die sich als kabbalistische Glasbläserin versteht: "In den mystischen Lehren, in der Kabbalah steht geschrieben: Wir sind wie Glas. So wie Glas sind wir zerbrochen, wie kleine Stücke von Glas […], aber wenn man sie in Feuer hält, verschmelzen sie und werden zu einer Einheit." Im Künstlerviertel, dem ehemaligen Arabischen Viertel, sieht man jedoch auch die steinernen Zeugnisse einer zerbrochenen Vergangenheit. Als 1948 der erste arabisch-israelische Krieg ausbrach, lebten ca. 12.000 palästinensische Araber in Safed – unter ihnen auch der heutige Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas. Nach heftige Kämpfen zwischen arabischen Milizen, die versuchten das jüdische Viertel der Stadt zu erobern, musste die arabische Bevölkerung fliehen.

Unsere Bibel

Im Grunde ist schnell erklärt, was die Bibel ist: Die anerkannten Schriften von der Erschaffung der Welt bis zur Entstehung der ersten christlichen Gemeinden. Allerdings greift die Erklärung zu kurz.

Der Stadtname Safed kann entweder mit "Erwartung" oder "Ausblick" übersetzt werden. Auf Hebräisch wird er mit drei Buchstaben geschrieben: צפת. Manch einer der Bewohner deutet ihn als seine Abkürzung. So finde man darin die hebräischen Wörter für "Malerei" (ציור), "Dichtung" (פיוט) und "Torah" (תורה) angedeutet. Ohne Zweifel bestimmen die Kunst und das religiöse Leben diese Stadt. Man begegnet in den Synagogen, Kunstgalerien und auf den Straßen einer gelebten Spiritualität. Zum Beispiel lebte bis in die 1970er eine Frau in Safed, die bis heute liebevoll Safta (das heißt Großmutter) Yocheved genannt wird. Sie studierte ihr Leben lang Kaballah und glaubte daran, dass der Messias am Grab Shimon benJochais zur Welt kommen und dann auf seinem Weg nach Jerusalem durch Safed auf einem weißen Esel reiten würde. So war sie jeden Tag darauf vorbereitet ihn zu begrüßen und setze sich in die kleine Gasse, wo sie wohnte, mit einer Kanne Tee und Keksen, damit er sich auf seinem Weg stärken könne.

Zwischen Mystik und Realität

Die jüdische Mystik prägt viele Einwohner Safeds, deren Art und Weise des Lebens die Stadt zu einem spirituellen, besonderen Ort macht. Zugleich mischt sich in das himmlische Blau der Stadt, mit seinen erklingenden Gebeten und farbenfrohen Kunstwerken aber auch die israelisch-palästinensische Realität.

Von Till Magnus Steiner