Kolumne: Römische Notizen

Donald Trump und die dicke Mauer des Vatikan

Veröffentlicht am 08.01.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Vor Kurzem hatte US-Präsident Donald Trump sein Lieblingsprojekt einer Mauer zu Mexiko mit dem Hinweis verteidigt, dass auch der Vatikan sich mit einer dicken Mauer schütze. Anlass genug für unsere Kolumnistin Gudrun Sailer, die Grenze des Kirchenstaats zu Fuß zu umrunden und nach Geschichte und Sinn der vatikanischen Mauer zu forschen.

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"Wenn man sagt, die Mauer sei unmoralisch, dann muss man was gegen den Vatikan unternehmen! Der Vatikan hat die größte Mauer von allen!" Wir danken Donald Trump, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, für seine Worte, beflügelnder Anlass zu dieser Römischen Notiz. Längst schon wollten wir mal den Vatikan entlang seiner Mauer umrunden und nebenbei aufschreiben, wer diese Mauer wann wozu passieren darf. Haben wir endlich getan.

Viel Aufwand war das nicht. Die Grenze des Vatikan zu Italien misst 3,2 Kilometer. Eine Stunde zehn Minuten gemütliches Gehen, und man hat den kleinsten Staat der Welt umrundet. Wir starten beim Haupteingang: dem Petersplatz. Die Staatsgrenze verläuft an der Außenrundung der Ellipse und wird von einem breiten Travertinstreifen im Pflaster markiert. Was steht auf der Staatsgrenze? Eine Mauer? Ein Mäuerchen zumindest? Nein, ein hüfthoher Metallzaun, der sich so unsichtbar wie möglich macht. Zwei Durchgänge gibt es, keine Passkontrolle, keinen Rucksack-Check. Dafür viel Gedränge, den Segnungen der Billigfliegerei sei Dank. Und schwupps, ist man drin im Vatikan.

Im Uhrzeigersinn um die Vatikan-Mauer

Wir gehen gegen den Uhrzeigersinn, streifen die prachtvollen Kolonnaden und biegen nach Norden ab. Da sehen wir linker Hand die Kaserne der Schweizergarde aus dem 19. Jahrhundert, ein blassrosa Riegel, dessen Tage gezählt sind, die Pläne für einen Neubau liegen schon auf dem Tisch. Nebenan öffnet sich, bewacht von Schweizergardisten und Vatikan-Gendarmen, das Sankt-Anna-Tor zum vatikanischen Geschäftsviertel mit Supermarkt, Bank, Post und Apotheke. Am Annentor endet an schlechten Tagen auch die Schlange für die Vatikanischen Museen, die sich etliche hundert Meter der Staatsgrenze entlang zum Eingang der päpstlichen Kunstsammlung hin wälzt.

Kolumne "Römische Notizen"

In der Kolumne "Römische Notizen" berichtet die "Vatikan News"-Redakteurin Gudrun Sailer aus ihrem Alltag in Rom und dem Vatikan.

Flott streichen wir vorbei, doch wer jemals hier anstand, kann es bezeugen: Massive Vatikanmauern gibt es wirklich. 14 Meter hoch schieben sie sich an manchen Stellen wie ein riesiger Schiffsbug aus Travertin und Backstein in italienisches Staatsgebiet. Es sind Festungsmauern aus der Renaissance mit Schießscharten und Aussichtstürmen, längst unbemannt, dafür gespickt mit Überwachungskameras, die uns permanent auf den Scheitel lugen. Gut zu wissen, falls mich an der wilden Westspitze des Vatikan jemand umfährt. Dort, an der höchsten und unübersichtlichsten Stelle der Mauer, fehlt der Gehsteig, damit die Autos geschmeidiger um die Bastion kurven können.

Den Vatikanstaat hintenherum zu umwandern, ist ansonsten geradezu meditativ. Aus der Mauer wachsen Kapern und anderes anspruchsloses Kraut, oben nisten Tauben, unten heben Hunde das Bein; das versaute Grün hier gehört unverkennbar zu Rom, nicht zum Papst. Sportlich wird die Streckenführung am vatikanischen Eisenbahntor. Hier gibt es keine Fußgängerschranke wie sonst an wenig frequentierten, ländlichen Bahnstrecken, vielmehr sind zwei stattliche Freitreppen zu überwinden, den Hügel hinunter und wieder hinauf. Nach diesem Workout führt eine stille Gasse zum Hintereingang des Staates, der Porta del Perugino. Hier werden Lieferanten und Diplomaten durchgelotst und auch der Papst, wenn er raus will aus seinem Staat. Er residiert gleich daneben in der Casa Santa Marta, und wer sieht, wie die romseitige Rückwand des Hotels von zwei italienischen Soldaten mit Sturmgewehr bewacht wird, hält das Kirchenoberhaupt nicht direkt für den bestgeschützten A-Promi der Welt.

Zwischenbilanz: ein Punkt für Trump, denn dicke Mauern umfassen tatsächlich den Großteil des päpstlichen Zwergstaates. Und wer darf durch, abgesehen von Einwohnern und Angestellten? Nun, den Petersplatz kann jeder Mensch der Welt zwischen 7 und 21 Uhr betreten. Die Taschenkontrolle kommt erst vor dem Petersdom, und wie am Flughafen ist man nicht dabei, wenn man Messer, Revolver oder Bombenbauteile mitführt. Den Pass zeigen muss niemand, dasselbe gilt für die Museen und die Audienzhalle. International eher ungewöhnlich ist, dass in den Staat darf, wer den Grenzern ein pharmazeutisches Rezept vorlegt: Die Apotheke ist nach Petersdom und Museen die meistfrequentierte Einrichtung im Papststaat. Auch Inhaber eines vatikanischen Bibliotheksausweises passieren die Staatsgrenze, ohne mit der Wimper zu zucken.

Bild: ©Charlotta Smeds

Gudrun Sailer ist Journalistin in Rom und Redakteurin bei "Vatican News".

Aber blicken wir tiefer. Donald Trump hat mutmaßlich gar nichts gegen die Vatikan-Mauern, im Gegenteil, er wünscht sich ja selber so ein schnittiges Bauteil, das da in aller Ruhe steht und wirkt und weder Streit noch Haushaltssperre verursacht. Wirkt? Genau. Es geht ja nicht um die Mauer, sondern um ihren Effekt. Mauern gelten Menschen. Was Trump sagen wollte, ist vermutlich: Jeder reiche Staat braucht eine Mauer, sogar der Papst hat eine, damit ihm keine ausländischen Hungerleider die Bude einrennen. Vatican first.

Der Papst schätzt die Hungerleider und bietet ihnen mehrere Anlaufstellen

Zum Thema Hungerleider sei festgehalten, dass der Papst sie sehr schätzt und ihnen in seinem Staat mehrere Anlaufstellen bietet. Für Obdachlose hat Franziskus gerade eine neue Ambulanz auf dem Petersplatz eingerichtet. Bedürftige erhalten Zuschüsse im Almosenamt, unweit der Apotheke. Arme Familien werden im Dispensario von Santa Marta rundumversorgt. Mutter-Teresa-Schwestern betreiben eine Suppenküche nebst Kleiderkammer. Die Hungerleider gehen in den Staat hinein und kommen etwas weniger hungrig wieder heraus. Zum Wohnen vermittelt der Vatikan Unterkünfte in Rom. Er vertreibt die Leute auch nicht von den Nischen des Petersplatzes, wo sich manch einer nachts sein Zelt aufschlägt. Und niemals, nie, schließt der Vatikan Menschen aufgrund ihrer Nation oder Religion von sozialen Dienstleistungen oder vom Zutritt auf sein Staatsgebiet aus.

Was soll denn nun der Papst mit seiner Mauer tun, Herr Trump, damit Sie die Ihre nicht zu bauen brauchen? Abreißen – wären wir dann wieder auf gleich? Nun ist der Vatikan-Wall zwar die jüngste Stadtmauer Roms, aber auch schon wieder 500 Jahre alt. Diese 3,2 Kilometer zu schleifen, wäre staubig und teuer und würde Denkmalschutz und empörte Kunsthistoriker auf den Plan rufen. Jenseits der Brachialvariante würde es auch nicht schaden, eine Vorstellung von den Eigenheiten des Vatikanstaates zu haben, wenn man sich wirklich über moralische Mauern äußern möchte. Der Vatikan ist Regierungssitz der katholischen Weltkirche und erweiterte Residenz des Souveräns (mit einer Kunstsammlung zum Ohrenschlackern und etwas Garten rundherum). Funktional entspricht der Vatikanstaat dem Weißen Haus mit Grünanlage und spielt auch von der Ausdehnung her in derselben Liga – 44 Hektar Vatikan gegen 33 Hektar Weißes Haus. Die Vatikanmauern mit Barrieren an anderen Staatsgrenzen zu vergleichen, geht also fehl. Unser Fazit: Moralischer Sieg für den Papst. Die dickste Mauer von allen – aber offen, soweit es geht.

Von Gudrun Sailer