Kolumne: Mein Religionsunterricht

Welchen Zugang Schüler heute zur Bibel haben

Veröffentlicht am 27.09.2019 um 16:11 Uhr – Lesedauer: 

Kusel/Bonn ‐ Wie reagieren Schüler, wenn die Bibel im Religionsunterricht thematisiert wird? Das Buch lässt sie zumindest nicht kalt, ist Maximilian Golumbeck überzeugt. Ihn fasziniert es besonders, wenn junge Leute darin Antworten auf ihre existenziellen Fragen finden.

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"Wie reagieren Schüler heute, wenn der Religionslehrer mit der Bibel in der Hand zum Unterricht kommt?", frage ich mich auf dem Weg zu meinem neuen Oberstufenkurs. Teilen sie meine Einschätzung, dass die Bibel zum essenziellen Arbeitsmaterial im Religionsunterricht dazugehört, oder befürchten sie beim Anblick der Bibel womöglich einen zu sehr katechetisch ausgerichteten Unterricht? Ich habe die Schüler bereits in der ersten Schulwoche kennengelernt und weiß, dass sie sehr unterschiedliche Überzeugungen im Hinblick auf Religion und Glauben mitbringen. Vereinzelte Schüler brachten ihre Freude über die Arbeit mit der Bibel zum Ausdruck. Sie kennen viele Texte der Heiligen Schrift bereits aufgrund ihrer Verwurzelung und ihres Engagements in der Heimatpfarrei und schauten daher vertraut auf den ihnen vorliegenden Schöpfungsbericht des Alten Testaments. Am Gesichtsausdruck anderer Schüler konnte ich dagegen erkennen, dass ihnen der Auszug aus dem Buch Genesis völlig fremd ist und sie selbst nicht so recht wussten, ob sie sich innerlich auf den Text einlassen wollen oder nicht.

"Die Bibel wird immer schöner, je mehr man sie versteht", schreibt man Johann Wolfgang von Goethe zu. Sicherlich liegt er hier richtig, jedoch muss heute in Zeiten vieler verschiedener Sinnangebote auch gefragt werden, wie die jungen Menschen überhaupt neugierig werden auf das, was sie in der Bibel finden. Ein größeres Thema im Lehrplan des Oberstufenkurses, das ich gerade behandele, ist Gottes Schöpfung und damit verbunden die Frage "Was ist der Mensch?". Neben naturwissenschaftlichen und philosophischen Erklärmodellen interessierte den Kurs insbesondere, welche Antwort die Bibel zur Entstehung des Menschen und zum Sinn des Lebens gibt. Ein Schüler fragte: "Wie kann ich mir die alttestamentliche Schöpfungserzählung von der Erschaffung des Menschen denn vorstellen, nach allem was die Naturwissenschaften herausgefunden haben? Geht sowas überhaupt?" Um den Lernenden zu ermöglichen, ihren persönlichen Zugang zur Schöpfungserzählung zu finden, nutzte ich eine beliebte Methode in der Religionspädagogik, nämlich die bildliche Darstellung der eigenen Interpretation. Ganz nach dem Motto "Ein Bild sagt mehr als tausend Worte!" erhielten die Schülerinnen und Schüler eine Schwarz-Weiß-Abbildung von Michelangelos "Die Erschaffung Adams". Die Klasse erhielt damit verbunden den Auftrag, ihre persönliche Meinung zum Schöpfungsbericht frei darzustellen. Dazu durften sie die Abbildung bemalen, Kommentare dazuschreiben oder auch damit basteln.

Unerwartete Beobachtungen

In einer Vernissage begutachteten die Lernenden die jeweils anderen Darstellungen und tauschten sich über ihre Beobachtungen aus. An dieser Stelle ist es immer schön zu sehen, wenn die Jugendlichen unerwartete Beobachtungen machen oder Fragen an den Bibeltext stellen, an die ich als Lehrer vorher selbst nicht gedacht habe. In der Oberstufe schließt an diesen persönlichen Ansatz noch ein analytischer Teil an. Dazu arbeitet die Klasse eng am Text und recherchiert beispielsweise, welche Zugänge zum Schöpfungsbericht es darüber hinaus gibt, wie zum Beispiel kreationistische oder atheistische Überzeugen, und begegnet diesen Ansätzen in kritischer Auseinandersetzung.

Wie reagieren Schüler heute, wenn der Lehrer mit der Bibel zum Religionsunterricht kommt? Meine Schüler zeigen mir zumindest deutlich, dass dieses Buch sie nicht kalt lässt. Dazu gehört allerdings, dass Neugier nicht durch Fremdheit ausgeschlossen wird und dass die Arbeit mit der Bibel nicht zur Glaubensunterweisung wird. Die jungen Lernenden arbeiten dann neugierig und motiviert an der Schöpfungserzählung, wenn sie Bezüge zu ihren Fragen, die sie persönlich beschäftigen, wiederfinden: Wie steht die Bibel zu Genderfragen? Macht Charles Darwins Evolutionstheorie die biblische Überlieferung überflüssig? Sieht bereits der Schöpfungsbericht eine Art Klimaschutz beziehungsweise Schutz der Erde vor?

Es ist sicherlich zu viel verlangt, wenn der Religionslehrer erwartet, dass sämtliche Schülerinnen und Schüler die Bibel plötzlich nach dem Unterricht als sie ständig begleitende Quelle des Wissens und der Erkenntnis erfahren. Mit kreativen und auch analytischen Arbeitsweisen kann der Religionslehrer jedoch Neugier wecken. Und findet ein Schüler in dieser Religionsstunde eine Antwort auf eine für ihn existenziell wichtige Frage, so bleibt die Arbeit mit der Bibel für diesen Schüler sicher lange im Gedächtnis.

Von Maximilian Golumbeck

Der Autor

Maximilian Golumbeck ist Religionslehrer am Kaufmännischen Berufsbildungszentrum (KBBZ) Neunkirchen/Saar.

Linktipp: Kolumne "Mein Religionsunterricht"

Wie funktioniert Religionsunterricht heute? Genau dieser Frage geht die neue katholisch.de-Kolumne nach. Lehrer verschiedener Schulformen berichten darin ganz persönlich, wie sie ihren Unterricht gestalten, damit sie die Jugend von heute noch erreichen.