Wilmer: Wir haben das Vertrauen der Menschen zutiefst enttäuscht

Nach der Veröffentlichung der neuen Rekordzahl an Kirchenaustritten in der Jahresstatistik 2019 der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) am Freitag haben sich viele Kirchenvertreter besorgt gezeigt und die Notwendigkeit von Veränderungen betont.
Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer sagte, die Zahlen signalisierten, "wie sehr sich getaufte Menschen von unserer Kirche entfremdet haben". Manche Menschen hätten vielleicht finanzielle Gründe für ihren Austritt, andere aber hätten ihre Bindung zum kirchlichen Leben verloren und haderten damit, dass innerkirchliche Reformen aus ihrer Sicht nicht schnell genug passierten. "Außerdem hat unsere Kirche durch die zahlreichen Fälle von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch das Vertrauen vieler Menschen zutiefst enttäuscht", so Wilmer.
Heße hofft auf Effekt duch Reformprozess
Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße betonte, das Erzbistum leide unter der Vertrauenskrise, in der die katholische Kirche in Deutschland stecke. "Ich setze große Hoffungen auf den Reformprozess auf Bundesebene und auf eine verstärkte Kommunikation im Erzbistum, um diesen Negativtrend zu stoppen."
Auch Vertreter der NRW-Bistümer reagierten betroffen auf die Entwicklung. Der Kölner Generalvikar Markus Hofmann konstatierte: "Immer schmerzlicher wird deutlich, dass unser Glaube viele Menschen offenbar nicht mehr erreicht." Münsters Bischof Felix Genn und der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer nannten als eine Ursache den Missbrauchsskandal. Auch stelle sich die Kirche in der Reformdebatte sehr zerrissen dar, so Genn. Notwendig sei es, Vertrauen zurückzugewinnen, erklärte Aachens Generalvikar Andreas Frick. Entscheidend sei, als Gemeinschaft der Kirche einladend zu sein, betonte Paderborns Generalvikar Alfons Hardt.
Linktipp: Kirchliche Statistik 2019: Der große Schock – und keine Hoffnung mehr?
Noch nie haben so viele Menschen der katholischen Kirche den Rücken gekehrt wie in 2019. Konnten in den Jahren zuvor immer neue Kirchenaustritts-Rekorde oft noch kaschiert werden, so setzt nun auch bei den kirchlichen Verantwortlichen Ernüchterung ein. Gibt es noch Hoffnung für die Kirche? Eine Analyse.Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf stellte fest: "Die gefühlte Selbstverständlichkeit, mit der wir uns als Christen in der Gesellschaft verankert wussten, verschwindet." Nach Einschätzung des Trierer Generalvikars Ulrich Graf von Plettenberg zeigen die Zahlen "schmerzlich, dass wir viele Menschen nicht mehr in ihren konkreten Lebenssituationen mit unseren Angeboten erreichen". Kirche müsse sich verändern und sich "stärker dem einzelnen Menschen und seinen Bedürfnissen und seinen Themen zuwenden". Der Speyerer Generalvikar Andreas Sturm sprach sich für inhaltliche und strukturelle Veränderungen aus. Er forderte "kreative Wege, um den Glauben auf eine zeitgemäße Weise den Menschen nahe zu bringen".
Der Fuldaer Generalvikar Christof Steinert sagte, die Statistik mache große seelsorgerische und gesellschaftliche Herausforderungen bewusst. Gerade in den aktuellen "Krisen-Zeiten" sei es für die Kirche wichtig, "trotz und gerade wegen des Vertrauensverlustes der vergangenen Jahre präsent und bei den Menschen zu sein und das Warum und die Sinnhaftigkeit unseres Glaubens" zu vermitteln und zu leben. "Jede einzelne Person schmerzt, die sich aus der Gemeinschaft der Kirche abmeldet", sagte Steinert.
Karrer: Erscheinungsbild der Kirche ist ausschlaggebend
Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger sprach von einer sinkenden Bindungskraft der Kirche. Zugleich zeigte er sich davon überzeugt, dass die Gesellschaft die Botschaft des Evangeliums mehr als je zuvor brauche. Laut dem Rottenburger Weihbischof Matthäus Karrer ist das Erscheinungsbild der Kirche ganz entscheidend für eine Entscheidung zum Austritt. Ausgetretene hätten keine Geduld mehr und sprächen der Kirche jede Reformkraft ab.
Der Augsburger Bischof Bertram Meier rief die Kirche in Deutschland angesichts der Zahlen zur Selbstkritik auf: "Wir müssen uns fragen: Was bieten wir den Leuten an? Womit speisen wir sie ab? Wie steht es um unsere Glaubwürdigkeit? Sind wir lebensrelevant?"

DBK-Vorsitzender Georg Bätzing fordert angesichts der alarmierenden Zahlen mutige Veränderungen.
Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick plädiert für Realismus. Der Rückgang entspreche der Prognose von Demografen, wonach die Zahl der Christen in Deutschland sich bis 2060 halbieren werde. Umso wichtiger seien eine authentische Verkündigung des Evangeliums, "lebensdienliche Gottesdienste" und eine Caritas, die sich der Hilfsbedürftigen annehme. Auch müsse die Kirche zeigen, "dass Fehlverhalten und Delikte schonungslos aufgearbeitet" würden, fügt Schick mit Blick auf den Missbrauchsskandal hinzu.
Der DBK-Vorsitzende und Limburger Bischof Georg Bätzing hatte in seinem Statement zur Veröffentlichung der der Statistik betont, dass es an den vorgelegten Zahlen "nichts schönzureden" gebe. Die Kirche müsse sich fragen, ob sie noch die richtige Sprache spreche, um heutige Menschen zu erreichen. Auch müsse sie nach einem erheblichen Verlust von Glaubwürdigkeit durch Transparenz und Ehrlichkeit Vertrauen zurückgewinnen. Bätzing sprach sich deshalb für mutige Veränderungen in der Kirche aus. Es brauche neue Formen der Glaubensweitergabe und des Miteinanders von Gläubigen und Priestern. Er verwies dabei auch auf den Synodalen Weg. (mal/KNA)