Interview mit dem neuen Chefredakteur von "Christ & Welt"

Georg Löwisch: Es ist nicht unsere Aufgabe, Bischofsringe zu küssen

Veröffentlicht am 23.07.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Heute erscheint die erste Ausgabe von "Christ & Welt" unter der Leitung des neuen Chefredakteurs Georg Löwisch. Im Interview mit katholisch.de spricht Löwisch über seine publizistischen Ziele mit der "Zeit"-Beilage, sein persönliches Christsein und den aus seiner Sicht richtigen journalistischen Umgang mit Bischöfen.

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Für "Christ & Welt" ist 2020 ein besonderes Jahr: Im Dezember kann die "Zeit"-Beilage", die einst aus dem "Rheinischen Merkur" hervorging, ihr zehnjähriges Bestehen feiern. Schon jetzt hat die "Wochenzeitung für Glaube, Geist, Gesellschaft" (Selbstbeschreibung) zudem einen neuen Chefredakteur bekommen: Georg Löwisch, der zuvor fast fünf Jahre an der Spitze der linken Tageszeitung "taz" gestanden hatte. Im Interview mit katholisch.de spricht Löwisch zum Erscheinungtag der ersten von ihm verantworteten "Christ & Welt"-Ausgabe über seinen eigenen evangelischen Glauben, die Relevanz des Christentums in der Gesellschaft und seine publizistischen Ziele mit dem Blatt.

Frage: Herr Löwisch, nach zweieinhalb Monaten Auszeit sind Sie in der vergangenen Woche als neuer Chefredakteur von "Christ & Welt" in den Redaktionsalltag zurückgekehrt. Wie hat sich die Rückkehr an den Schreibtisch angefühlt?

Löwisch: Vor meinem ersten Tag bei "Christ & Welt" war ich mir zunächst gar nicht sicher, ob ich so einen normalen Arbeitsrhythmus noch kann. Aber ich habe dann sehr schnell gemerkt: Es geht noch. Die journalistische Leidenschaft ist gleich da, vielleicht auch ein bisschen Adrenalin. Und es ist beflügelnd, wie meine neuen Kolleginnen und Kollegen an ihre Arbeit rangehen; da habe ich sofort große Lust bekommen, mitzumachen. Insofern bin ich nach den wenigen Tagen schon wieder voll drin.

Frage: Wie haben Sie die Auszeit nach dem Ende Ihrer Tätigkeit bei der "taz" erlebt? Was haben Sie in dieser Schaffenspause vielleicht auch über sich selbst gelernt?

Löwisch: Ich habe vor allem gemerkt, dass mir diese Pause sehr gutgetan hat. Es gibt das schöne christliche Wort der "Einkehr", und so habe ich die vergangenen Wochen tatsächlich erlebt. Es war für mich nach fast fünf Jahren als "taz"-Chefredakteur mit entsprechender Verantwortung und dicht getakteten Wochen gut, viel Zeit für mich und meine Familie zu haben und ein bisschen in mich reinhorchen zu können. Als es wieder möglich war, bin ich auch weggefahren: in den Schwarzwald und nach Frankreich. Das alles war wunderbar. Aber irgendwann hat es dann gereicht, und jetzt bin ich wieder da.

Frage: Wie sehr haben Sie zuletzt die Debatte um Ihre alte Zeitung und den viel kritisierten Polizei-Text von Hengameh Yaghoobifarah verfolgt? Waren Sie angesichts der heftigen Auseinandersetzung froh, keine Verantwortung mehr bei der "taz" zu tragen?

Löwisch: In der Kirchengemeinde in Freiburg, zu der ich früher gehört habe, hatten wir einen sehr beliebten Pfarrer. Als der eines Tages die Gemeinde verließ, um eine andere Pfarrstelle anzutreten, waren alle traurig. Ich habe damals gefragt, ob er nicht zumindest noch gelegentlich zu uns kommen könne, um zu predigen. Doch da wurde mir erklärt: Ein Pfarrer predigt ein Jahr lang nicht in seiner alten Gemeinde und nicht über seine alte Gemeinde. Das ist ein guter Vorsatz, den ich mit Blick auf die "taz" zu beherzigen versuche. (schmunzelt)

„Ein gelassener Christ muss das Christentum nicht vor sich hertragen, auch wenn es ein relevanter Teil seines Lebens ist.“

—  Zitat: Georg Löwisch

Frage: Versuchen musste ich es zumindest ... Aber blicken wir auf Ihre Aufgabe bei "Christ & Welt". An diesem Donnerstag erscheint die erste Ausgabe unter Ihrer Verantwortung. Sie selbst wenden sich darin mit einem sehr persönlichen Text an die Leserinnen und Leser, in dem sie auch über Ihren Werdegang und Ihre christliche Prägung schreiben. Warum haben Sie Ihre Zeit bei "Christ & Welt" gerade mit einem solchen Text begonnen?

Löwisch: Nachdem mein Wechsel zu "Christ & Welt" Ende Januar bekannt geworden war, kam immer wieder die Frage nach meinem Christsein auf. Auch Kolleginnen und Kollegen haben mich erstaunt gefragt: "Du bist Christ?" Manche waren darüber richtig entrüstet, andere hoch erfreut – ich habe fast die gesamte Palette an Reaktionen erlebt. Und das wollte ich in meinem Antrittstext gerne aufgreifen, weil ich es spannend finde, dass der Glaube eines Menschen in unserer Gesellschaft offenbar doch noch eine große Rolle spielt. Hinzu kommt der für mich interessante Eindruck, dass sich viele Christen in Deutschland offenbar gar nicht mehr unter ihresgleichen wähnen. Daraus erwächst eine gewisse Schüchternheit, über den eigenen Glauben zu sprechen. Ich nenne das in meinem Text das Paradox einer Nische von mehr als 40 Millionen Menschen. Und ich finde schon: Christen brauchen sich nicht so zu verstecken, wie sie es heute oft tun.

Frage: Sie selbst, das zeigen die von Ihnen geschilderten Reaktionen auf ihren Wechsel zu "Christ & Welt", sind in der Vergangenheit auch nicht öffentlich als Christ in Erscheinung getreten. Haben Sie Ihr Christsein all die Jahre nur gut versteckt oder haben Sie es erst mit den Jahren entdeckt?

Löwisch: Ich bin's einfach. Mein Glaube war aber meine Privatangelegenheit, es gab keinen Anlass, ihn in die Öffentlichkeit zu tragen. Sie finden das in dem einen oder anderen meiner Texte im Archiv, wenn Sie genau lesen, etwa, wenn es um die CDU ging. Aber erst jetzt bei "Christ & Welt" kommt der Glaube beruflich richtig ins Spiel, und das ist durchaus ein Abenteuer, auf das ich mich freue.

Frage: In Ihrem Antrittstext beschreiben Sie sich selbst als "gelassenen Christen". Was meinen Sie damit konkret?

Löwisch: Ein gelassener Christ muss das Christentum nicht vor sich hertragen, auch wenn es ein relevanter Teil seines Lebens ist. Er kann in den Gottesdienst gehen, ohne sich am Montagmorgen damit zu brüsten. Und genauso wenig droht er permanent mit dem Kirchenaustritt, nur weil ihm in der Institution irgendwas nicht passt.

Bild: ©KNA/Harald Oppitz

"Christ & Welt" ging 2010 aus dem "Rheinischen Merkur" hervor. Nachdem das Blatt zunächst im Katholischen Medienhaus in Bonn (wo auch katholisch.de seinen Sitz hat) produziert wurde, wird es seit 2016 unter alleiniger Regie des "Zeit"-Verlags in Berlin erstellt.

Frage: Und das alles trifft auf Sie zu?

Löwisch: Ich denke schon, dass das mein Christsein einigermaßen beschreibt, ja. Ich muss aber auch sagen, dass ich beim Schreiben des Textes durchaus mit mir gerungen habe, wie viel von mir persönlich ich preisgeben soll. Ich wollte jedenfalls nicht den Eindruck vermitteln, als müsse ich den Nachweis erbringen, dass ich für die Aufgabe bei "Christ & Welt" fromm genug bin.

Frage: Muss der Chefredakteur von "Christ & Welt" denn ein guter Christ sein? Bei der kritischen Auseinandersetzung mit Glaube und Kirche kann zu viel Nähe ja auch hinderlich sein ...

Löwisch: Zuallererst bin ich Journalist und als solcher nur einer Sache verpflichtet: dem Journalismus. Aber natürlich ist es wichtig, dass man sich für den Gegenstand seiner Berichterstattung interessiert und motiviert ist, Neues zu erfahren. Insofern ist es für meine Aufgabe bei "Christ & Welt" sicher hilfreich, dass ich auch selbst weiß, wovon hier die Rede ist.

Frage: Auf dem Papier haben Sie durch Ihren Wechsel von der "taz" zu "Christ & Welt" Gestaltungsmacht eingebüßt; statt für eine der bundesweit beachteten Tageszeitungen arbeiten Sie jetzt für ein publizistisches Nischenprodukt. Warum haben Sie sich trotzdem für diesen Schritt entschieden?

Löwisch: Jungs, die sich an ihren Stühlchen festklammern, gibt es ja schon zur Genüge auf Gottes schöner Erde. Klar, für sich genommen ist "Christ & Welt" kleiner, aber stolz und diskursfreudig. Und wir sind Mitglied der großen "Zeit"-Familie, ein Teil unserer Aufgabe ist es, unseren publizistischen Beitrag für diese Familie zu leisten. Aber zu Ihrer Frage: Für mich persönlich ist "Christ & Welt" die Chance, selbst journalistisch wieder etwas tiefer zu bohren – das war als "taz"-Chefredakteur aufgrund der höheren Taktung und der großen Personalverantwortung so nicht möglich. Und ich hatte das Gefühl, dass die "taz" jetzt auch gut ohne mich klarkommt. Zum anderen war ich ja vor zehn Jahren bereits einmal mit "Christ & Welt" befasst – als Mitglied der Entwicklungsredaktion, die das Blatt nach dem Ende des "Rheinischen Merkur" in Bonn auf den Weg gebracht hat. Das war damals eine tolle Zeit, und an diese Erfahrung will ich gerne anknüpfen.

„Wir wollen "Christ & Welt" auf den unterschiedlichen Kanälen noch sichtbarer machen. Die Frage, wie uns das gelingen kann, wird uns in den kommenden Monaten stark beschäftigen.“

—  Zitat: Georg Löwisch

Frage: Anders als Ihre beiden Vorgänger firmieren Sie bei "Christ & Welt" als Chefredakteur. Haben Sie einfach besser verhandelt oder hat das andere Gründe?

Löwisch: Dass "Christ & Welt" jetzt erstmals eine Chefredaktion hat, ist die logische Konsequenz aus zwei Entwicklungen: Zum einen haben viele Publikationen des "Zeit"-Verlags inzwischen eigene Chefredaktionen. Zum anderen ist es aber auch eine Anerkennung der geleisteten Arbeit der vergangenen zehn Jahre. "Christ & Welt" hat dank der engagierten Redaktion eine tolle Entwicklung hingelegt. Und dazu gehören eben tragfähige Strukturen: Patrik Schwarz, mein Partner als Geschäftsführer der Verlagstochter "Zeit Credo", in der "Christ & Welt" erscheint, meine Stellvertreterin Merle Schmalenbach und unser Team.

Frage: Als Ihr Wechsel zu "Christ & Welt" offiziell verkündet wurde, wurde "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo mit den Worten zitiert: "Gemeinsam mit Georg Löwisch möchten wir 'Christ & Welt' zur wichtigsten Plattform für alle Glaubens- und Wertefragen entwickeln". Wie wollen Sie das erreichen?

Löwisch: Zunächst einmal wollen wir jede Woche ein starkes sechsseitiges Blatt vorlegen – das ist das Referenzprodukt, in das wir alle in der Redaktion viel Liebe stecken. Aber natürlich müssen wir noch mehr bieten, gerade auch mit Blick auf die digitalen Kanäle. Jeder Artikel von "Christ & Welt" wird schon heute auch bei "Zeit Online" veröffentlicht – bislang aber immer erst nach Erscheinen der gedruckten Ausgabe. Ob das so bleiben muss, darüber müssen wir nachdenken. Nehmen Sie zum Beispiel den Brand in der Kathedrale von Nantes am vergangenen Samstag. Ergibt es wirklich Sinn, dass wir online mit unserem Artikel dazu bis zum Erscheinen der Printausgabe am Donnerstag warten? Vermutlich eher nicht. Wir wollen "Christ & Welt" auf den unterschiedlichen Kanälen noch sichtbarer machen. Die Frage, wie uns das gelingen kann, wird uns in den kommenden Monaten stark beschäftigen.

Frage: Werden Sie auch die Hürden zum Bezug der Printausgabe senken? Bislang muss man "Christ & Welt" ja extra abonnieren, die Beilage liegt der normalen "Zeit"-Ausgabe nicht automatisch bei ...

Löwisch: Das stimmt – aber ich denke, dass das erstmal so bleiben wird. Zumal ich auch finde, dass unsere derzeitige Printauflage von rund 15.000 anständig ist. Wenn wir in den kommenden Monaten über die weitere Stärkung der Marke "Christ & Welt" nachdenken, werden wir uns – wie gesagt – eher das Digitale anschauen.

Linktipp: "Ich brauche die Kirche nicht zu jedem Thema"

Die Stimme der Kirche sei leiser geworden, sagt "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo im Interview. Trotz verschiedener innerkirchlicher Strömungen müsse sie sich aber in einer Zeit polarisierter Diskussionen äußern. (Interview von Februar 2016)

Frage: Was ist aus Ihrer Sicht die größte Stärke von "Christ & Welt"?

Löwisch: "Christ & Welt" pflegt eine sehr ehrliche Sprache, das empfinde ich als großen Schatz. Wenn Sie die Interviews oder Porträts im Blatt lesen – das sind in der Regel sehr ernsthafte, ehrliche Texte ohne Blabla. Nehmen Sie etwa das Interview, das mein Kollege Raoul Löbbert vor ein paar Wochen mit Bodo Ramelow geführt hat: Ramelow konnte bei uns bekennen, dass er gegen seine eigenen Corona-Regeln verstoßen hat, indem er an einer Beerdigung teilnahm.

Frage: Und was finden Sie an Ihrem neuen Blatt nicht so gut?

Löwisch: Da muss ich jetzt natürlich vorsichtig sein, was ich sage. (lacht) Aber sicher werden wir uns nach und nach unsere Rubriken anschauen und gucken, wo wir etwas Neues wollen.

Frage: Wie würden Sie das Verhältnis von "Christ & Welt" zu den beiden großen Kirchen beschreiben? Mein Eindruck ist, dass Ihre Haltung hier sehr erwartbar ist: Im Zweifel immer gegen die Institution Kirche.

Löwisch: Den Eindruck teile ich nicht. Zumal sich ja viele Bischöfe und – in der evangelischen Kirche – Bischöfinnen sehr kluge Gedanken machen, die mich wirklich interessieren. Aber klar ist: Unsere Aufgabe ist es, gegenüber der Institution und den Mächtigen in der Kirche streng zu sein. Es wäre, glaube ich, niemandem geholfen, wenn wir den Exzellenzen nur ehrfürchtig ihre Bischofsringe küssen würden. Nein, wir wollen auf Missstände in den Kirchen hinweisen und sehen uns dabei an der Seite der Christen. Wichtig ist es mir aber, nicht aus der Ferne und von oben herab zu kritisieren.

Von Steffen Zimmermann

Zur Person

Georg Löwisch (*1974) ist seit 15. Juli Chefredakteur der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt". Zuvor war er – nur unterbrochen durch drei Jahre beim Magazin "Cicero" – über rund 20 Jahre bei der Tageszeitung "taz" tätig, zuletzt von 2015 bis 2020 ebenfalls als Chefredakteur. Löwisch wurde in Freiburg geboren und ist evangelisch. Er hat für seine journalistische Arbeit mehrere Auszeichnungen erhalten, unter anderem wurde er 2019 vom "Medium Magazin" als Preisträger in der Kategorie "Chefredaktion national" geehrt.