Wollte der zurückgetretene Kardinal den Missbrauchsprozess beeinflussen?

Komplott-Verdacht: Pell lässt Hinweise gegen Becciu untersuchen

Veröffentlicht am 05.10.2020 um 19:30 Uhr – Lesedauer: 

Sydney ‐ Italienische Medien berichten von Zahlungen im hohen sechsstelligen Bereich: Hat Kardinal Giovanni Angelo Becciu versucht, Zeugen im Missbrauchsverfahren gegen Kardinal George Pell zu finanzieren, um so seinen Rivalen kalt zu stellen? Die Vorwürfe sollen nun amtlich untersucht werden.

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Der Missbrauchsprozess gegen den australischen Kardinal und früheren vatikanischen Finanzchef George Pell bekommt ein unerwartetes Nachspiel. Laut der Zeitung "Australian Financial Review" (Montag) will Pells Anwalt Robert Richter amtlich untersuchen lassen, ob Kardinal Giovanni Angelo Becciu als damaliger Rivale Pells versucht hat, das Verfahren mit beträchtlichen Zahlungen an australische Empfänger zu beeinflussen. Italienische und australische Behörden müssten die Geldflüsse nachverfolgen, forderte Richter nach Angaben der Zeitung.

Italienische Medien hatten vergangene Woche von angeblichen Überweisungen in Gesamthöhe von 700.000 Euro aus dem Vatikan nach Australien berichtet. Das Geld habe dazu gedient, Zeugen zu finanzieren oder eine Medienkampagne gegen Pell zu befeuern. Das Magazin "L'Espresso" bezog sich auf Aussagen eines früheren Mitarbeiters Beccius in einem vatikanischen Korruptionsprozess.

Bild: ©picture alliance/Associated Press/Gregorio Borgia

Was steckt hinter den neuen Vorwürfen an den zurückgetretenen Kardinal Giovanni Angelo Becciu?

Pell, 2014 zum Leiter des Wirtschaftssekretariats ernannt, geriet in den ersten Jahren seiner Amtszeit in einen offenkundigen Kompetenzstreit mit Becciu, der als Substitut des Staatssekretariats von 2011 bis 2018 eine einflussreiche Position bekleidete. Im Juli 2017 wurde Pell wegen Missbrauchsvorwürfen in seiner australischen Heimat vor Gericht gestellt und verurteilt, vergangenen April aber in höchster Instanz freigesprochen. Vergangene Woche flog Pell trotz eines allgemeinen Ausreiseverbots aus Australien wegen der Corona-Pandemie von Sydney nach Rom.

Becciu war vor einer Woche von seinem Amt als Heiligsprechungspräfekt zurückgetreten. Zugleich verzichtete er auf seine Rechte als Kardinal. Als mögliche Hintergründe ist von Beccius Rolle bei spekulativen Finanzgeschäften oder dem Vorwurf der Begünstigung von Familienangehörigen die Rede. Der Kardinal bestreitet ein Fehlverhalten. Pell hatte zuletzt in einer kurzen Erklärung Beccius Rücktritt begrüßt. "Der Heilige Vater wurde gewählt, um die Finanzen des Vatikan aufzuräumen", so der australische Kardinal. (mal/KNA)