Warum zeitgemäße Sprechformen wichtig sind – und wo die Kirche ansetzen kann

Dogmatikerin Eckholt: Kirchenstruktur hängt mit Gottesbild zusammen

Veröffentlicht am 13.11.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/Osnabrück ‐ Die wirkmächtig gewordenen Gottesbilder hatten Einfluss auf Struktur und Amt in der Kirche, betont die Dogmatikerin Margit Eckholt im katholisch.de-Interview. Doch manche davon enthielten ungerechtfertigte Engführungen. Um neue Sprechformen von Gott zu entdecken, könne auch die Tradition helfen.

  • Teilen:

Als die Katholische Studierende Jugend (KSJ) im September bekannt gab, "Gott*" künftig mit Genderstern zu schreiben, kritisierte Margit Eckholt die Kampagne. Im katholisch.de-Interview erneuert die Osnabrücker Dogmatik-Professorin, deren Spezialgebiet die Theologische Frauenforschung ist, ihre Einwände – sagt aber gleichzeitig, dass sie das Grundanliegen der Initiative teile. Denn dadurch sei eine Tiefendimension des Gottesbildes durchgebrochen, um die es auch bei der Frage nach amtlichen Strukturen und Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche gehe.

Frage: Frau Eckholt, wie stellen Sie sich Gott vor?

Eckholt: Mein Gottesbild ist durch die Vielfalt der biblischen Bilder und vor allem durch das Gottesbild geprägt, das die Reich-Gottes-Botschaft Jesu eröffnet. Außerdem ist es auch ganz stark von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem gekennzeichnet, was Karl Rahner das "namenlose Geheimnis" nennt. Insofern werden für mich alle konkreten Bilder immer wieder durch diese Dimension des "Geheimnisses" aufgebrochen. Dabei ist diese Annäherung an Gott als "Geheimnis" immer wieder ein ganz persönlicher, existenzieller, geistiger und geistlicher Prozess, der möglich ist, weil sich dieser transzendente Gott bestimmt und offenbart hat in Jesus von Nazareth. Gott würde ich als eine umfassende, übergreifende und doch ganze nahe, höchst lebendige Wirklichkeit beschreiben. Ich denke dabei besonders an mystische Traditionen, zum Beispiel Hildegard von Bingen, deren Theologie mich seit vielen Jahren begleitet. Sie spricht immer wieder von diesem überbordenden Leben, das Gott ist.

Frage: Nun spricht Jesus Christus, in dem sich dieses "namenlose Geheimnis" manifestiert hat, von Gott als Vater. Ist das nicht eine entscheidende Hilfe, wie wir von Gott sprechen können?

Eckholt: Ja, sicher, das ist eine entscheidende Hilfe. Wenn Jesus von Gott als Vater spricht, ist diese Anrede in die Tradition Israels eingebettet. Dabei entfaltet er diese Zuschreibung von Gott als Vater besonders, indem er ihn "Abba" nennt, "lieber Vater", eine besonders innige Anrede Gottes. In die Hände dieses liebevollen Gottes kann er sich fallen lassen, auch in tiefster Not. Selbst sein Gebetsschrei am Kreuz steht für dieses Letztvertrauen. Insofern ist die Anrede "Vater", "Abba", sicher ein bleibend wichtiges Bild, um von Gott zu sprechen. Aber nicht jeder Mensch macht in seinem Leben Erfahrungen mit einem begleitenden, liebenden Vater. Deshalb müssen wir auch mit solchen Bildern vorsichtig umgehen und auch hier die von Rahner genannte Dimension des "Geheimnisses" nicht vergessen. Das Wort "Gott" ist wie ein Platzhalter für all die Namen, die wir auf dem Hintergrund unserer Erfahrung formulieren. Aber der, von dem wir sprechen, ist immer größer als unsere Wirklichkeit.

Frage: Warum sind vor allem männliche Sprachformen von Gott immer noch dominant?

Eckholt: Wenn wir von Gott sprechen, hat dies mit unserer ganzen Erfahrungswirklichkeit zu tun, auch mit der geschlechtlichen Ausprägung unseres Menschseins. In den biblischen, gerade alttestamentlichen Texten ist von Gott als Vater und Mutter die Rede, Bilder aus weiblich und männlich geprägten Zusammenhängen werden mit dem Gottesbild verbunden. Wenn männliche Sprachformen immer noch dominant sind, hängt das auch damit zusammen, welche Denkfiguren in der Geschichte wirkmächtig geworden sind und wie diese auch die Bilder des Männlichen und Weiblichen geprägt haben. Die erste Schöpfungserzählung (Gen 1,27-28) spricht im Blick auf die Erschaffung des Menschen von der gleichen Würde von Mann und Frau, und auch die zweite Schöpfungserzählung (Gen 2-3) wird heute im Sinne der Partnerschaft von Mann und Frau interpretiert. Das war in der Geschichte nicht so der Fall, es hat sich ein ganz spezifisches Bild der "Eva" und damit des Weiblichen ausgeprägt.

Margit Eckholt
Bild: ©Privat

Margit Eckholt ist Professorin für Dogmatik mit Fundamentaltheologie am Institut für Katholische Theologie der Universität Osnabrück und Beraterin des Forums "Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche" beim Synodalen Weg.

Frage: Wie kam es dazu?

Eckholt: Durch die Rezeption der antiken Philosophie und ihres Leib-Seele-Dualismus kommt es in der Patristik und später in der Scholastik zu einer frauendiskriminierenden Interpretation der Gott-Bildlichkeit des Menschen, von der das Buch Genesis spricht. Augustinus und Thomas von Aquin konnotieren diese Gott-Bildlichkeit geschlechtlich und sprechen von einer reduzierten Gottesebenbildlichkeit im Blick auf die Frau. Dadurch wurde auch das Sprechen von Gott stark männlich geprägt, besonders in der westlichen Tradition. Dieses männlich geprägte Gottesbild hat schließlich Eingang gefunden in dogmatisch-theologische Denkfiguren sowie in ekklesiologische Strukturen.

Frage: Inwieweit hängt die kirchliche Struktur mit dem männlich geprägten Gottesbild zusammen?

Eckholt: Wie bereits gesagt: Unser Sprechen von Gott ist immer eingebettet in unsere Erfahrungswelt. Zu dieser gehört auch die Geschlechtlichkeit. In der Tradition der Gotteslehre ist das präsent gewesen: Trinitätstheologisch ist etwa die Rede von der innergöttlichen Zeugung. Das bedeutet, in Gott gibt es eine Vielfalt der Beziehungen. Dafür werden unterschiedliche, auch geschlechtlich geprägte Bilder verwendet; es ist von einer dynamischen Bezogenheit der göttlichen Personen aufeinander die Rede – und nicht nur von geschlechtlich eindeutigen Modellen. Aber in der Tradition und auch heute wird sehr stark gemacht, dass Christus das männliche Moment repräsentiert, auch wenn trinitätstheologisch von männlichen und weiblichen Bildern die Rede ist, wenn etwa die – weiblich konnotierte – Sophia, die Weisheit, mit Christus verbunden wird. In aktuellen lehramtlichen Texten, auch denen von Papst Franziskus, wird Christus explizit mit dem männlichen Moment verbunden und Maria als dem Urbild der Kirche und dem weiblichen Moment gegenübergestellt. Genau diese Zuschreibungen finden wir in den lehramtlichen Texten im Hinblick auf den Ausschluss der Frauen vom Weiheamt. Da sind wir genau an dem Punkt, an dem das Sprechen von Gott mit der Frage der Repräsentanz Christi in Gestalt des kirchlichen Amtes in Verbindung steht.

Frage: Gibt es ein aktuelles Beispiel, bei dem derartige Zuschreibungen auftauchen?

Eckholt: Das nachsynodale Schreiben "Querida Amazonia" etwa ist gewiss ein zentraler und hoch bedeutsamer Text im Blick auf die ökologische Krise und unsere Sorge für das "gemeinsame Haus" der Schöpfung. Aber das letzte Kapitel zu den pastoralen Fragen wirkt wie ein Fremdkörper. Papst Franziskus schreibt, die Repräsentanz Christi im amtlichen Vollzug komme allein dem Mann zu: "Jesus Christus zeigt sich als der Bräutigam der Eucharistie feiernden Gemeinschaft in der Gestalt eines Mannes, der ihr vorsteht als Zeichen des einen Priesters", heißt es in Nummer 101 des Dokuments. Zudem weist er darauf hin, dass Christus Maria kein Priesteramt übertragen hat. Das sind Figuren, die in letzter Zeit immer mehr in den lehramtlichen Texten verwendet werden. Der emeritierte Tübinger Dogmatiker Peter Hünermann hat in seiner scharfen Analyse des Schlusses von "Querida Amazonia" darauf hingewiesen, dass es hier geradezu zu einer "Sexualisierung" der Amtstheologie kommt: Es wird vehement auf das Mannsein Christi rekurriert, um den Ausschluss von Frauen von einem sakramentalen Amt zu begründen. Aber im Grunde genommen wird hier die Analogielehre unterlaufen und damit die mit Rahner benannte bleibende Geheimnishaftigkeit und Transzendenz Gottes.

Ein Mensch blättert im Papst-Schreiben "Querida Amazonia"
Bild: ©KNA/Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani

In den jüngsten lehramtlichen Texten, auch im nachsynodalen Schreiben "Querida Amazonia" von Papst Franziskus, werde vehement auf das Mannsein Christi rekurriert, um den Ausschluss von Frauen von einem sakramentalen Amt zu begründen, so Margit Eckholt.

Frage: Was bedeutet das?

Eckholt: Die Denkfiguren der Repräsentanz Christi und damit auch der göttlichen Wirklichkeit in unserer Welt stehen unter dem Vorbehalt der Analogie, wie es in der Zeit der Scholastik auf dem 4. Laterankonzil (1215) formuliert worden ist: In all unserem Sprechen von Gott und allen zentralen Fragen des Glaubens ist die Unähnlichkeit immer größer als die Ähnlichkeit. Die Analogielehre richtet die Frage an uns, wie wir in der Theologie von Gott und damit verbunden von allen zentralen Fragen christlichen Glaubens sprechen können. Wir müssen uns fragen, wie wir der Tatsache gerecht werden, dass Gottes Wirklichkeit immer je größer ist als unsere. Die Amtsfrage gehört auch zu diesen Fragen des Glaubens. Darum ist die aktuelle Debatte, die auch mitten in das Herz der Fragen des Synodalen Wegs führt, so bedeutsam. Strukturfragen und Fragen des Glaubens gehören zusammen. Es ist zentral, dass wir uns mit den grundlegenden theologischen Fragen auseinandersetzen und damit auch mit den methodischen Fragen, wie wir theologisch arbeiten. Auch die Strukturfragen, die den Synodalen Weg initiiert haben, führen uns in das Grundgeheimnis christlichen Glaubens und der Offenbarung hinein.

Frage: Die Katholische Studierende Jugend (KSJ) wollte mit ihrer Forderung, das Wort "Gott" künftig mit Genderstern zu schreiben, genau dieses männliche Gottesbild mit all seinen Konnotationen aufbrechen. Sie haben die Initiative bereits kritisiert. Aber ist sie nicht eigentlich genau in ihrem Sinne?

Eckholt: Mit dem Grundanliegen, das männlich geprägte Gottesbild aufzubrechen und auf die Geschlechtslosigkeit Gottes hinzuweisen, bin ich einverstanden. Was gut ist: In der Debatte über die Initiative ist genau die bereits genannte Tiefendimension des Gottesbildes durchgebrochen, um die es auch bei der Frage nach amtlichen Strukturen und Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche beim Synodalen Weg geht. Diese Dimension kann uns dabei helfen, aus Engführungen, auch in diesen Strukturfragen, herauszukommen. Wir sprechen von Gott, wenn wir um Ämter für Frauen ringen. Und wenn wir Gott wirklich in dieses Ringen "hineinlassen", so können wir entdecken: In allen Debatten geht es im Grunde immer um die immense Weite menschlicher Erfahrungen, um das Ganze unserer Wirklichkeit, das immer mitschwingt, wenn wir beginnen, von Gott zu sprechen. Dennoch wünsche ich mir keine solche Schreibweise.

Frage: Warum nicht?

Eckholt: Wir können über die Schreibweise "Gott*" Gefahr laufen, die uns immer übersteigende Wirklichkeit Gottes einzuengen. Letztlich geht es darum, in unseren Zeiten, in denen es kaum mehr gelingt, mit Karl Rahner gesprochen, das Wort "Gott" zu kultivieren, adäquat mit diesem Begriff umzugehen. Der Genderstern bei einem Wort steht dafür, die Vielfalt aller Menschen mit ihren unterschiedlichen geschlechtlichen Ausdrucksformen aufzuzeigen. Wenn ich das auf Gott beziehe, dann schreibe ich "Gott" im Besonderen die Vielfalt geschlechtlicher Eigenschaften zu. Aber Gott bleibt auch in diesen Beschreibungen derjenige, der jenseits jeglicher Geschlechtlichkeit ist. Wenn wir "Gott" mit Genderstern schreiben, gehen wir von unserer menschlichen Realität aus, von der Vielfalt geschlechtlicher Bestimmungen, und schreiben diese auch Gott zu. Zudem engen wir dadurch die Vielfalt von Eigenschaften, die aus unserer Wirklichkeit erwachsen können, und Bildern, in denen wir von Gott sprechen, ein. Um deutlich zu machen, dass Gott je größer ist als all unsere Erfahrungen, braucht man keinen Genderstern. Kirche und Theologie müssen viel mehr dazu beitragen, das Wort "Gott" wieder zu "kultivieren".

Gott* mit Gender-Stern – eine Kampagne der KSJ
Bild: ©Montage katholisch.de

Die KSJ schreibt "Gott*" künftig mit Genderstern. Mit dem Grundanliegen der Kampagne, das männlich geprägte Gottesbild aufzubrechen, ist Margit Eckholt einverstanden. Dennoch wünscht sie sich keine solche Schreibweise.

Frage: Wie kann das gelingen?

Eckholt: Indem die Kirche oder die Theologie bei den ganz grundlegenden menschlichen Erfahrungen ansetzt: beim Bezug des Menschen zu sich selbst, zu anderen, zur gesamten Wirklichkeit, zur bedrohten, mit Füßen getretenen Mitwelt, zur ganzen Schöpfung. Sprich, bei der Erfahrung von Vulnerabilität, von Gebrochenheit, bei der Sorge um die Zukunft. Den Menschen wird immer mehr die Begrenztheit, die Endlichkeit des Planeten Erde vor Augen geführt. Schauen Sie sich "Fridays for Future" an: In dieser Bewegung steckt eine tiefe Schöpfungsspiritualität, auch wenn sie säkular formuliert ist. Da kann man ansetzen – und das ist auch der Weg von Papst Franziskus.

Frage: Und abseits davon?

Eckholt: Die Fragen, die eine Religion auf den Weg bringen, sind die, woher der Mensch kommt, wohin er geht, was ihn trägt, was der Sinn des Lebens ist. Es sind die Fragen, die mit der Endlichkeit und Begrenztheit unseres Lebens zusammenhängen. Um darüber hinauszugehen, braucht es das Wort "Gott". Es steht für einen tragenden Ursprung und auch eine Hoffnung eröffnende Zukunft. Diese ist – und das ist dezidiert christliche Tradition – nicht antlitzlos oder namenlos, sondern eben ein Gott, der in Jesus Christus unsere Vulnerabilität geteilt hat und den wir in unserer Begrenztheit, in unserem Ringen um Menschlichkeit, um die Würde allen Lebens, um ein Miteinander, das gerade nicht ausschließt, im Kampf gegen Exklusionen aller Art erfahren können und erfahrbar "machen". Das ist das, was ich mit "kultivieren" meine. Auch Jesus hat in seinem Leben den Namen Gott "kultiviert" – in seinen Worten, in seiner ganzen Lebenspraxis. Seine Gleichnisse haben die Menschen seiner Zeit angesprochen, sie stammen meist aus der Lebenserfahrung einer bäuerlichen Umwelt und sind in das alltägliche Leben der Frauen und Männer seiner Zeit eingebettet. Um auf das Anliegen der KSJ zurückzukommen: Heutige Aufgabe ist es, so von Gott sprechen zu lernen, dass niemand ausgegrenzt wird, dass mit dem Wort Gott die Fülle der menschlichen und geschöpflichen Wirklichkeit zum Klingen kommt.

Frage: Was ist in diesem Zusammenhang die Rolle der Theologischen Frauenforschung?

Eckholt: Theologische Frauenforschung und feministische Theologien haben sich Ende der 1960er Jahre entwickelt, um die in der Geschichte ausgegrenzten Frauentraditionen – ihre Glaubenserfahrungen, ihre Art und Weise, von Gott zu sprechen, etwa in der mystischen Theologie – sichtbar zu machen und Frauen auch im kirchlichen Kontext, auf den Feldern der Pastoral und der Wissenschaft Orte zu eröffnen, die ihnen bislang verwehrt waren. So ist die Feministische Theologie im Grunde genommen eine Befreiungstheologie. Befreiungstheologische Denkmuster haben mit dem Schrei von Menschen zu Gott zu tun, um auf ihre Lage – auf Diskriminierung und Ausgrenzung –aufmerksam zu machen. Theologische Frauenforschung und feministische Theologien haben dabei dem Sprechen von Gott eine neue Weite eröffnet, biblische Texte und christliche Traditionen sind auf neue Weise gelesen worden, frauendiskriminierende Praktiken und Denkmuster sind einerseits benannt, andererseits weibliche Gottesbilder erschlossen worden. Viele dieser Ergebnisse haben zum Glück Eingang in biblische, historische und dogmatische Theologie gefunden und werden zum Beispiel im Rahmen der Gotteslehre fundiert verhandelt. Das sind etwa Denkfiguren im Sinne eines befreienden Glaubens an den Gott des Lebens, den Gott Jesu Christi, der Vater und Mutter ist. Feministische Anliegen und Sichtweisen rücken nun, gerade auf dem Synodalen Weg, in das Zentrum kirchlicher Praxis. Im Glauben an diesen Gott, der uns in einer großen Weite trägt und je neu in die Weite führt, können wir auch um neue Strukturen ringen.

Von Matthias Altmann