Menschen blieben nicht mehr aus Gewohnheit Mitglieder

Bedford-Strohm: Kirchenaustritte werden "nicht deutlich sinken"

Veröffentlicht am 05.11.2020 um 12:48 Uhr – Lesedauer: 

Wetzlar ‐ Die Kirchenaustrittszahlen 2019 waren ein Schock für viele Kirchenvertreter. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm erwartet auch keine schnelle Besserung. Allerdings gebe es etwas, an dem die Kirchen arbeiten könnten.

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Die hohe Zahl der Kirchenaustritte wird nach Ansicht des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, "zunächst nicht deutlich sinken". "Heute entscheiden die Menschen sehr genau, wo sie Mitglied sein wollen und wo nicht", sagte Bedford-Strohm in einem Interview mit der evangelikalen Nachrichtenagentur "idea" am Mittwoch. Die Menschen blieben daher nicht mehr aus Tradition oder Gewohnheit Mitglieder, sondern aus Überzeugung. "Sie wollen in einer attraktiven, einladenden, lebensfrohen und in tiefer Frömmigkeit gegründeten Kirche dabei sein und treffen dafür eine aktive Entscheidung", sagte der EKD-Ratsvorsitzende weiter. Auf etwas anderes könne man die Kirchenmitgliedschaft in Zukunft nicht gründen. "Deshalb müssen wir uns verändern und können nicht in den gewohnten Strukturen weitermachen."

Der Grund für Kirchenaustritte seien gesellschaftliche Megatrends wie Individualisierung und Pluralisierung, die nicht von der Kirche zu verantworten seien. Kirchenaustritte seien aber trotzdem etwas, an dem man arbeiten könne, so Bedford-Strohm. "Wenn wir die Liebe Christi wirklich ausstrahlen, werden die Menschen diese Kraft spüren und wieder nach dem Evangelium fragen."

"Deswegen bleibe ich in der Kirche!"

Überrascht hätten ihn die vielen positiven Reaktionen vor allem von jungen Menschen auf das Seenotrettungsschiff Sea-Watch 4. "Das ist eben nicht das Projekt eines alten schwerfälligen Tankers, sondern einer agilen, risikobereiten Kirche in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen", so der EKD-Ratsvorsitzende. Neben kritischen Reaktionen habe er "zahlreiche E-Mails bekommen, in denen sich Menschen bedanken und sagen: Deswegen bleibe ich in der Kirche!"

In der vergangenen Woche hatte Bedford-Strohm angekündigt, bei der Synode der Evangelischen Kirche im kommenden Herbst nicht wieder für den Ratsvorsitz der EKD zu kandidieren. Er sei amtsmüde. "Es ist gut, wenn dann jemand Neues rankommt, neue Akzente setzt, neue Impulse gibt", so Bedford-Strohm, der steht seit 2014 an der Spitze der deutschen Protestanten steht.

2019 waren die Kirchenaustrittszahlen in Deutschland so hoch wie nie zuvor. Insgesamt traten im vergangenen Jahr rund 270.000 Menschen aus einer der Gliedkirchen der EKD aus. Das waren etwa 22 Prozent mehr als 2018. Aus der katholischen Kirche in Deutschland traten laut einer Statistik der Deutschen Bischofskonferenz 2019 272.771 Menschen aus. (cbr)